Briefe an Lauterbach - Weltverband mahnt Physio-Akademisierung an

Der Weltverband World Physiotherapy (WPT), der weltweit 129 Mitgliedsorganisationen und mehr als 600.000 Physiotherapeuten repräsentiert und die Europa-Region des Weltverbandes (ER-WPT) haben sich jeweils mit einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach gewandt. Der Grund: Die längst überfällige Reform der Berufsgesetze und die regelhafte Einführung einer hochschulischen Ausbildung auch in Deutschland.

Jonathon Kruger, Chief executive officer (Geschäftsführer) von World Physiotherapy, macht in seinem Papier deutlich, dass Deutschland ohne Reform immer weiter hinter die internationalen Standards in der Physiotherapie zurückfällt. Schon jetzt ist Deutschland das einzige Land in Europa, in dem noch ein fachschulischer Abschluss für Physiotherapeuten ausreichend ist.

"Die Situation in Deutschland, wo die Physiotherapieausbildung sowohl auf fachschulischem, als auch auf akademischem Level stattfindet, muss geklärt werden. Es ist offensichtlich, dass die Physiotherapie in Deutschland weiterhin hinter die internationalen Maßstäbe zurückfällt. Besonders enttäuschend ist die Tatsache, dass dies in einem Land geschieht, welches Gründungsmitglied der World Physiotherapy Foundation war und vor siebzig Jahren eine weltweite Führungsposition innehatte. In allen anderen Ländern der Region Europa ist ein Bachelor- oder ein höherer Abschluss die Mindestvoraussetzung für die Aufnahme des Berufs. International bieten nur 19 % der Länder (fachschulische) Berufsdiplome in Physiotherapie an. Von den Ländern mit (fachschulischen) Berufsabschlüssen befinden sich 46 % in der Region Afrika, 42 % in der Region Asien-Westpazifik, 8 % in der Region Amerika und nur eines in Europa (Deutschland). Ich fordere Sie höflich auf, diese Situation dringend anzugehen", appeltiert Jonathon Kruger.

Aitor Carpio Garcia, Generalsekretär der europäischen Region des Weltverbandes (ER-WPT), unterstreicht in seinem Brief die Notwendigkeit für eine politische Entscheidung hin zu einer hochschulischen Ausbildung

"In der Region Europa ist man der Ansicht, dass die erste berufliche Qualifikation ein Abschluss einer Physiotherapieausbildung sein sollte, der den Physiotherapeuten für die Tätigkeit als unabhängige und eigenständige Fachperson qualifiziert. In allen Ländern der Europäischen Union haben sich die Physiotherapeuten weg von der Abhängigkeit der ärztlichen Verschreibung hin zur autonomen Berufsausübung entwickelt. Auf der Einstiegsebene müssen die Kompetenzen gemäß dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR, 2017) mindestens auf Stufe 6 erworben werden, der Problemlösung, evidenzbasierte Praxis und effektive berufliche Praxis einschließt. Dies sollte auf Hochschulniveau angelegt sein und, kongruent mit Standards und Empfehlungen zum Berufseinstieg, mindestens dem Bachelor-Niveau entsprechen (World Physiotherapy 2019). Darüber hinaus sind die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auf der Grundlage der gegenseitigen Evaluierung der Physiotherapieberufe unter der Leitung der EU-Kommission, entweder bereits zu einer 4-jährigen Hochschulausbildung übergegangen oder sind dabei, dies zu tun", argumentiert Altor Carpio Garcia.

Die beiden Briefe können im vollen Wortlaut hier heruntergeladen werden:

Bildquelle Header: © BMG / Thomas Ecke

Der Autor

  • Jan Althoff

    Jan Althoff ist Physiotherapeut, hat einen M.Sc. in Neurorehabilitationsforschung und ist Auditor für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. Er sammelte Erfahrung in internationalen Projekten im Bereich Rehabilitation, Entwicklung und Aufbau von Rehaeinrichtungen, Aus- und Weiterbildung von Therapeuten.