Vollakademisierung für Hebammen – aber nur 20 % bei Physiotherapeuten?

Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine vermehrte wissenschaftliche Qualifikation in den Gesundheits­fachberufen. Neben der Vollakademisierung der Hebammen sollten künftig bis zu 20 % der weiteren Angehörigen der Gesundheitsfachberufe akademisch ausgebildet werden, heißt es in den Empfehlungen an­lässlich seiner Herbstsitzungen.

„Wenn wir unsere Gesundheitsversorgung auf dem heutigen Niveau halten und möglichst verbessern wollen, brauchen wir attraktive Gesundheitsfachberufe mit einer größeren Autonomie und Entscheidungskompetenz.“

Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrates

Angesichts einer älter, kränker und pflegebedürftiger werdenden Gesellschaft und dem Fachkräftemangel im Gesundheitssystem sei es dringend notwendig, hochschulisch qualifizierte Kräfte auszubilden und die dahin­terstehenden wissenschaftlichen Disziplinen weiterzuentwickeln, sagte der Ärztliche Direktor der Neurologi­schen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg. Die dafür nötigen Voraussetzungen müssten rasch geschaff­en werden. Dabei sollte der Fokus auf den Auf- und Ausbau primärqualifizierend-dualer Studiengänge ge­richtet sein.

Gleichzeitig würden auch die Anforderungen an die Gesundheitsfachberufe, also die Pflege-, Hebammen- und Therapieberufe, zu denen Physiotherapie- und Ergotherapie sowie Logopädie und Sprachtherapie zählen, steigen, erläuterte Anja Boßerhoff, Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats.

Es würden immer mehr Aufgaben aus dem stationären in den ambulanten Sektor verlagert, die fachliche und kommunikative Kompetenz erforderten, etwa zur Aufklärung über Prävention, Rehabilitation und palliative Versorgung. Auch die zunehmende Technisierung und Digitalisierung mache eine Ausbildung auf hohem Niveau erforderlich.

„Die bestehenden Probleme erfordern dringend Lösungen und zeigen, dass es ein ,Weiter so‘ nicht geben kann."

Anja Boßerhoff, Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats.

Eine Vollakademsierung des Hebammenberufs wird als erforderlich angesehen. Weshalb aber in den Therapieberufen eine Teilakademiseirung für nur 20 % der Berufseinsteiger ausreichend sein soll, wird nicht ersichtlich. Bei der angestrebten Quote verblieben immer noch 80 % neu ausgebildete Therapeuten, die nicht ausreichend qualifiziert wären, um den Beruf ausüben zu können. Keines der Probleme des Berufes würde dadurch gelöst.

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Der Autor

  • Jan Althoff

    Jan Althoff ist Physiotherapeut, hat einen M.Sc. in Neurorehabilitationsforschung und ist Auditor für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. Er sammelte Erfahrung in internationalen Projekten im Bereich Rehabilitation, Entwicklung und Aufbau von Rehaeinrichtungen, Aus- und Weiterbildung von Therapeuten.