Das deutsche Gesundheitswesen steht vor immensen Herausforderungen. Der demografische und epidemiologische Wandel, gesellschaftliche und technische Entwicklungen, die Verlagerung gesundheitsfachlicher Aufgaben aus dem stationären in den ambulanten Sektor sowie berufsdemografische Entwicklungen führen nicht nur zu einem erhöhten Bedarf an angemessenen Versorgungsleistungen, sondern auch zu qualitativ veränderten – komplexeren – Versorgungsbedarfen.
Mit seiner Empfehlung zu den „Perspektiven für die Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe (2023)“ trägt der Wissenschaftsrat den Herausforderungen im Gesundheitssystem Rechnung. In Fortführung seiner Empfehlungen aus dem Jahr 2012 unterstreicht der Wissenschaftsrat den Bedarf an in Gesundheitsfachberufen hochschulisch qualifiziertem Personal und verweist auf die HQGPlus-Studie.
Der Wissenschaftsrat empfiehlt, den Aufbau der wissenschaftlichen Disziplinen voranzutreiben und den Fokus der hochschulischen Qualifizierung weiterhin auf den Aufbau primärqualifizierend-dualer Studiengänge in der 2012 empfohlenen Größenordnung von 10 bis 20 % zu richten.
Als entscheidend sieht er hierfür die Aufhebung der Modellklauseln und die Reform der entsprechenden Berufsgesetze mit einer regelhaft primärqualifizierend-dualen hochschulischen Ausbildung an. Betrachtet man die bisher erreichten Akademisierungsquoten in den drei Berufsgruppen, so erscheint ein Aufbau bzw. die Konsolidierung primärqualifizierend-dualer Studiengänge im Rahmen der genannten Größenordnung leistbar, wobei die verschiedenen Fachgebiete vor spezifischen Herausforderungen stehen.
Physiotherapie
Nach den Erhebungen der HQGplus-Studie (Stand 2019) bedarf es ca. 600 zusätzlicher Studienplätze in neuen primärqualifizierend-dualen Studiengängen, um eine Akademisierungsquote von 15 % zu erreichen. Letztlich hängt der Bedarf neu einzurichtender primärqualifizierend-dualer Studiengängen von der geplanten Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb des in Erarbeitung befindlichen Konzepts für eine Teilakademisierung der Berufe in der Physiotherapie und der daraus resultierenden Akademisierungsquote ab. In die weiteren Bemühungen zur Etablierung primärqualifizierend-dualer Studienangebote sollte auch die Umwandlung bereits bestehender ausbildungsintegrierender-dualer Studiengänge in primärqualifizierend-duale Studiengänge einbezogen werden.
Ergotherapie
Um eine Akademisierungsquote von 10 bis 20 % zu erreichen, müssten insbesondere neue primärqualifizierend-duale Studiengänge eingerichtet werden. Die Umwandlung bereits bestehender ausbildungsintegrierender-dualer Studiengänge in primärqualifizierend-duale Studiengänge würde lediglich geringfügig zu einer Erhöhung der Akademisierungsquote beitragen.
Logopädie/Sprachtherapie
Die Akademisierungsquote liegt bereits über 20 %, wenn man alle Studienformate betrachtet. Hier gilt es, auch im Sinne der Harmonisierung des Berufsfeldes, die bereits bestehenden ausbildungsintegrierenden-dualen Studiengänge sowie die weiteren Studiengänge, die zur Ausübung des Berufs qualifizieren (sprachtherapeutische Studiengänge) in primärqualifizierend-duale Studiengänge umzuwandeln.
Masterstudiengänge
Der Wissenschaftsrat verweist darauf, dass der Einsatz hochschulisch qualifizierter Angehöriger der Gesundheitsfachberufe, insbesondere wenn sie auch erweiterte Rollen übernehmen, einen großen Unterschied in der Therapie- und Prozessteuerung und damit für die Qualität der Gesundheitsversorgung bewirken kann. Er erachtet daher die Entwicklung und Umsetzung von patienten- und klientennahen Masterstudienprogrammen als entscheidend, um mit innovativen Versorgungsansätzen und durch Benennung erweiterter Rollen im Sinne von Advanced Practice Nursing, Advanced Practice Midwifery und Advanced Scope Practitioner den Versorgungsnotwendigkeiten in der erforderlichen und zukunftsorientierten Weise begegnen zu können.
Beibehaltung fachschulischer Ausbildungsgänge
Der Wissenschaftsrat hält es für einen gangbaren Weg, zunächst mehrere Ausbildungswege (hochschulisch und berufsfachschulisch) offenzuhalten, auch wenn sich daraus möglicherweise andere Probleme ergeben (Konkurrenz der Ausbildungssysteme, Unterhaltung von Doppelstrukturen). Er empfiehlt jedoch, die internationale Entwicklung und Anschlussfähigkeit im Blick zu behalten und in zehn Jahren auf Basis der erreichten Akademisierungsquoten und des erzielten Aufbaus der wissenschaftlichen Disziplinen differenziert zu prüfen, welche weiteren Entwicklungen erforderlich sind.
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