Was stimmt nicht mit der Osteopathie?

Osteopathie ist eine auch in Deutschland verbreitete Methode und wird zur Behandlung von chronischen Schmerzen, aber auch vielen anderen Problemen eingesetzt. Oliver P. Thomson und Andrew MacMillan, beide selbst Osteopathen, untersuchen kritisch die grundlegenden Annahmen, Praktiken und die behaupteten Besonderheiten, auf denen die Osteopathie basiert.

Oliver P. Thomson ist Associate Editor für das International Journal of Osteopathic Medicine (IJOM), Andrew MacMillan ist als Gutachter (Peer-Review) für die IJOM tätig. In Ihrem aktuell in der Zeitschrift "Osteopathische Medizin" erschienenen Kommentar benennen die Autoren für die Osteopathie als höchst problematisch:

  • die schwache theoretische Basis,
  • die inhärente Biomedikalisierung,
  • den Monointerventionismus,
  • die standardmäßige Zentrierung auf die Therapeutin resp. den Therapeuten und
  • die Vorliebe für nicht plausible Mechanismen.

„Die Osteopathie erhebt den Anspruch auf eine ganzheitliche Sichtweise von Gesundheit, legt jedoch den Schwerpunkt auf die Anatomie, was sich offenkundig widerspricht, und einem reduktiven Standpunkt gleichkommt. Dies führt zu einer erkenntnistheoretischen Dissonanz, da Osteopathen sich fast ausschließlich auf eine kleine Untergruppe von manuellen Interventionen konzentrieren, die auf anatomisch-biomechanische Merkmale des Menschen ausgerichtet sind, während sie gleichzeitig die Tugend der „Behandlung der ganzen Person“ propagieren.”

Die Autoren argumentieren, dass diese Bereiche überdacht und Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Entwicklung, Einheit und Legitimität des osteopathischen Berufs nicht zu gefährden. Die zugrunde liegenden Theorien, Annahmen und daraus abgeleiteten Fähigkeiten müssen auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse und des Wissens aus nicht-osteopathischen Disziplinen neukonzipiert werden.

„Die Vorstellung, dass jemand etwas über die komplexe soziale Geschichte, die Erfahrungen, Wahrnehmungen, Überzeugungen, Werte, Motivationen, Erwartungen und die Ethik einer Person erfahren kann, indem er in erster Linie ihre Haut und den Körper berührt, ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls wahnhaft. Die Zuverlässigkeit der manuellen Palpation ist gering und die Wirkung der manuellen Therapie ist unspezifisch und (z. B. bei Rückenschmerzen) bescheiden.”

Die Autoren leiten folgende Implikationen für die Praxis ab:

  • Die schwache theoretische Basis der Osteopathie, die Biomedikalisierung, der Monointerventionismus, die Praxiszentriertheit und die nicht plausiblen Mechanismen sind problematisch und stellen eine große Gefahr für die Entwicklung, Einheit und Legitimität der Osteopathie dar.
  • Ständige kritische Reflexion, Neukonzipierung der Praxis und Forschung sind für die osteopathische Professionalität erforderlich.
  • Osteopathen sollten sich auf Theorien und Erkenntnisse aus nicht-osteopathischen Fachbereichen stützen.

Link zum Artikel auf ScienceDirect

Textquelle: Thomson, O.P. and MacMillan, A. (2023). Was stimmt nicht mit der Osteopathie? Osteopathische Medizin, 24(3), pp.4–11. doi:https://doi.org/10.1016/s1615-9071(23)00074-6.
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Der Autor

  • Jan Althoff

    Jan Althoff ist Physiotherapeut, hat einen M.Sc. in Neurorehabilitationsforschung und ist Auditor für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. Er sammelte Erfahrung in internationalen Projekten im Bereich Rehabilitation, Entwicklung und Aufbau von Rehaeinrichtungen, Aus- und Weiterbildung von Therapeuten.