Physiotherapie

Hybride Physiotherapie: die Patientenbetreuung der Zukunft

Digital Health ist so viel diskutiert wie noch nie. Damit das Thema nicht einfach vorbeizieht, schauen wir uns in diesem Artikel an, was hybride bzw. digital gestützte Physiotherapie bedeutet, wie der Einstieg in der eigenen Praxis gelingen kann und worin die Vorteile für Physiotherapeuten liegen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Bei der hybriden Therapie handelt es sich um einen Ansatz, bei dem die Therapie durch den gezielten Einsatz digitaler Anwendungen unterstützt wird.
  • Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann die hybride Therapie dazu beitragen, die Patientenversorgung zu verbessern und die Arbeitsbedingungen der Therapeuten zu erleichtern.
  • Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Einsatz von digitalen Tools als Unterstützung und Ergänzung der klassischen Physiotherapie und nicht als Ersatz gedacht ist.

Die Digitalisierung hat auch in der Physiotherapie viele Facetten und bietet viele Möglichkeiten der Umsetzung. Was zu der eigenen Praxis passt, ergibt sich aus den Gegebenheiten, um auch wirklich Vorteile zu bieten und nicht nur die Abläufe zu stören.

In diesem Text konzentrieren wir uns allerdings hauptsächlich auf die hybride Therapie. Diese beschreibt eine Therapieform, in der durch den gezielten Einsatz von digitalen Anwendungen die klassische (physische) Therapie unterstützt wird. Dabei werden Potenziale sowohl aufseiten der Therapeuten als auch auf Patientenseite aktiviert.

Darin liegt auch der Unterschied zu den immer populärer werdenden DiGAs, welche rein von Patienten genutzt werden und als Alternative zur Physiotherapie gelten. In der hybriden Therapie werden Apps und digitale Medien nicht als Ersatz von Leistungen, sondern als unterstützende Maßnahme eingesetzt.

Vorteile der hybriden Therapie für die Physiotherapie

Es gibt einige Aspekte, die auf das digitale Arbeiten und vor allem die digitale Therapie einen großen Einfluss haben werden. Für den Anfang widmen wir uns erstmal dem großen Ganzen, bevor wir später auf das eingehen, was eine Umstellung auf hybride Therapieansätze für die eigene Praxis bedeutet.

Die großen Probleme der Branche

Was sind sie eigentlich? Die Probleme, die das Arbeiten für die Branche und auch die Patientenbetreuung so schwierig machen? Das Erste worauf geschaut wird, ist natürlich der Fachkräftemangel1 und mit ihm die Frage, wie man eigentlich die nächste Generation der Schüler für die eigene Branche begeistert (zumal die Auswahl möglicher Berufe immer größer und exotischer wird)?

Dann drängelt natürlich das immer größer werdende Angebot der DiGA´s, die eigentlich die Physiotherapie entlasten sollen, allerdings auch Ängste mit sich bringen. DiGA´s lassen jedenfalls das Interesse der Patienten für digitale und vor allem agile Therapiemethoden wachsen.

Und selbstverständlich möchten Therapeuten langfristig auch das in Fortbildungen und in der Ausbildung gelernte Wissen anwenden – in 20 Minuten Zeit gar keine leichte Sache.


Der Befund kann ganz einfach auf dem Tablet an den Patienten übermittelt werden (Bildquelle: © Finn Schütt)

In hybriden Therapieansätzen liegen Potenziale, um diesen Branchenproblemen entgegenzuwirken. Der Fachkraftmangel ist so präsent wie eh und je und hat sich zu einem Problem entwickelt, das sich nicht von heute auf morgen lösen lässt. Dass es für eine nachhaltige Kehrtwende Zeit braucht, ist klar. Durch den Einsatz von digitalen Anwendungen können wir sowohl etwas für die langfristige Lösung, als auch für die kurzfristige Entlastung tun.

Um langfristig mehr Fachkräfte in die Branche zu bekommen, muss die Physiotherapie als Berufsfeld attraktiver für junge Menschen werden. Die Physiotherapie muss sich schließlich gegenüber 20.000 andere Berufe in Deutschland durchzusetzen.2 Und die Schulabgänger von morgen wünschen sich vor allem Eines: Modernes und digitales Arbeiten!3 Das heißt also, dass das Digitalisieren gewisser Bereiche nicht nur einen sofortigen Effekt in der Praxis hat, sondern dass es vor allem langfristig für die Branche wichtig wird.

Wichtig ist es zu verstehen, dass es nicht darum geht, nur noch hinter dem Bildschirm zu sitzen und den Patientenkontakt zu minimieren, sondern darum, die Zeit dazwischen und die Gespräche vor und nach dem aktiven Teil der Therapie zu vereinfachen, zu unterstützen und die Patienten auch außerhalb der Therapiezeit vor Ort zu aktivieren.

Dies bietet natürlich auch die Möglichkeit, mehr von den gelernten Inhalten in einer Therapie anzuwenden und so das Berufsbild auf den Stand zu heben, auf dem es eigentlich ist. Denn die Therapeuten von heute werden immer besser ausgebildet und wissen mehr, als sie in 20 Minuten anwenden können.

Vor allem das Thema Evidenz spielt dabei natürlich eine große Rolle. Apps bringen vieles mit, was evidenzbasiertes Arbeiten erleichtert, wie beispielsweise das Auswerten von Testergebnissen und das Einordnen dieser in den Therapiefortschritt. Auch dies trägt dazu bei, das Berufsbild attraktiver zu machen und das Ansehen der Physiotherapie in der nachrückenden Generation zu erhöhen.

Die digitalen Gesundheitsanwendungen

Dass es von der Seite des Staates das Bestreben gibt, den Gesundheitsmarkt mit digitalen Lösungen zu entlasten, wird immer deutlicher. Einer von vielen Ansätzen sind die DiGA’s (Digitale Gesundheitsanwendungen), welche in den Augen vieler Physiotherapeuten eher ein Übel sind, als eine Entlastung oder Hilfe. Dabei werden auch hier viele Möglichkeiten des Einsatzes nicht immer bedacht. Eine DiGA kann beispielsweise sehr gut Wartezeiten vor Operationen oder Physiotherapietermine überbrücken und so die Arbeit eines Physiotherapeuten durchaus ergänzen.


Patienten können zu Hause das Tablet für ihre Therapie einsetzen (Bildquelle: © Finn Schütt)

Nun gibt es nicht für jedes Krankheitsbild/Verletzungsbild eine DiGA und die Möglichkeiten des Einsatzes sind begrenzt. Allerdings lässt sich eine Tendenz erkennen, in welche Richtung auch der Patient von Morgen sich bewegt – in das digitale Arbeiten.4 Um diese Patienten auch in Zukunft abzuholen, ist eine Entwicklung in Richtung der hybriden Therapie essenziell.

Chance: Gesundheitsapp für die eigene Praxis

Als Physiotherapeuten hat man wenig Einfluss auf die DiGA´s und erhält nur bedingt Einblick in die Dinge, die Patienten damit anstellen und wie sie genutzt werden. Deswegen ist es umso wichtiger, das Thema hybride Therapie oder digitale Unterstützung der Therapie in der Praxis für Physios und Patienten selbst anzugehen.

Denn der Gedanke der DiGAs ist nicht verkehrt. Apps, die durch Therapeuten in der Behandlung eingesetzt werden, können umfangreich bei verschiedensten Beschwerdebildern unterstützen, erleichtern Arbeitsabläufe und geben Patienten Einsicht in ihre eigene Therapie.

Es wird mehr Eigenständigkeit der Patienten gefördert und sie können mehr Verständnis für die angewendeten Maßnahmen entwickeln. Dabei wird das Verhalten trotzdem weiter überprüft und gegebenenfalls so korrigiert, dass die Patienten Zuhause nicht kontraproduktiv arbeiten.5 Neben der gehobenen Behandlungsqualität für Patienten gibt es aber natürlich noch weitere Chancen, die die hybride Therapie mit sich bringt!

Hybride Therapie in der Praxis

Wo sich diese Chancen verstecken? Eigentlich überall. Natürlich kommt es in der Praxis auch auf die Gegebenheiten der Einrichtung und das eingesetzte Tool an. Grundsätzlich allerdings können Apps die Therapie bereits vor dem ersten Termin und auch noch bis über den letzten Termin hinaus unterstützen und Vorteile sowohl für Therapeuten als auch Patienten bieten.

Die Vorteile hybrider Therapie reichen von einer gesteigerten Compliance über zeiteffizientere Behandlungstermine und Zusatzverdienste für die Praxis zu einer allgemein erhöhten Behandlungsqualität und nachhaltigeren Therapieerfolgen.

Beginnen kann das Ganze schon zu Hause und bevor der Patient die Praxis zum ersten Mal betritt. Zum Beispiel kann dieser sich in einer App registrieren und bereits die erste Anamnese ausfüllen. So können Therapeuten und Patienten gezielter ins Befundgespräch starten und wertvolle Zeit sparen. Das Ausfüllen der wichtigsten Daten zu Hause, kann außerdem sicherstellen, dass bei der Anamnese nicht Wichtiges vergessen wird, wie beispielsweise Vorverletzungen, die einen unmittelbaren Einfluss auf die derzeitigen Probleme haben.

Aber auch das frühzeitige Angeben und übersichtliche Darstellen allgemeiner Daten, wie der Beruf oder der Verletzungshergang, kann dem Therapeuten helfen, sich schnell auf jeden Patienten einzustellen. Durch die neugewonnene Zeit können Therapeuten ihren Patienten am Ende einer Therapie-Einheit innerhalb einer App einen Trainingsplan zusammenstellen und ihnen diesen digital zur Verfügung stellen. Das führt in 68 % der Fälle zu einer höheren Compliance.5

Mithilfe von Symptomtrackern oder digitalem Feedback haben Therapeuten einen besseren Überblick über die Arbeit der Patienten zu Hause und können ggf. kurzfristige Anpassungen in ihrer Therapie vornehmen, ohne langwierige Gespräche führen zu müssen. So können sich beide Parteien auf die essenziellen Teile der Therapie konzentrieren und die Reha spezifische Kommunikation wird effizienter. Das verbessert die Zusammenarbeit und stärkt das Verantwortungsgefühl des Patienten, was wichtig ist, um eine langfristige Veränderung bei den Patienten zu erzielen.

Apropos langfristig: Da die Grundversorgung über die Rezepte oftmals für einen langfristigen Therapieerfolg nicht ausreichend ist, sind Zusatzangebote ein sinnvolles Mittel, um Patienten nachhaltig zu unterstützen. Auch hier bieten digitale Anwendungen ganz neue Möglichkeiten. Digitale Angebote haben schließlich den großen Vorteil, dass sie orts- und zeitunabhängig genutzt werden können. So lassen sich auch für Praxen ohne Trainingsfläche GKV-unabhängige Einnahmen generieren und mit Kunden, die für ihr Training nicht in die Praxis kommen wollen, lässt sich eine ganz neue Zielgruppe erschließen.

Vorteile für alle

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die hybride Therapie ein wichtiger Schritt ist, um die Physiotherapie zukunftsfähig zu machen. Durch den gezielten Einsatz von digitalen Anwendungen können sowohl Therapeuten als auch Patienten von den Vorteilen profitieren, die diese Technologien bieten. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels kann die hybride Therapie dazu beitragen, die Patientenversorgung zu verbessern und die Arbeitsbedingungen für die Therapeuten zu erleichtern.

Wichtig ist dabei, dass das Digitale als Unterstützung und Ergänzung zur klassischen Physiotherapie eingesetzt wird und nicht als Ersatz der klassischen Therapie dient. Das Potenzial der hybriden Therapie ist groß und wird in Zukunft ganz sicher eine große Rolle in der Patientenversorgung spielen.

Bildquelle Header: © Finn Schütt
Textquelle 1: statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Fachkraeftebedarf/Fachkraeftebedarf-Nav.html
Textquelle 2:www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-03-Studium/02-03-01-Studium-Studienreform/HRK_Statistik_BA_MA_UEbrige_WiSe_2021_22.pdf, de.statista.com/statistik/daten/studie/156901/umfrage/ausbildungsberufe-in-deutschland/
Textquelle 3: assets.ey.com/content/dam/ey-sites/ey-com/de_de/news/2020/11/ey-studierenden-studie-2020-digitalisierung.pdf
Textquelle 4: www.vde.com/resource/blob/2170668/4565d38189f0cf5df50c41af7456a761/positionspapier-gestaltung-digitalisierung-im-gesundheitswesen-data.pdf
Textquelle 5: Zukunftsreqion Digitale Gesundheit (ZDG). 2022. DiVA-Testung in der Zukunftsregion Digitale Gesundheit, Berlin

Der Autor

  • Finn Schütt

    Finn Schütt ist der Kopf und Gründer der Progressix GmbH. Der 21-Jährige wurde 1999 in Berlin geboren und zog 2009 nach Hamburg. Dort spielte er ab 2017 in der A-Jugend und später beim FC St. Pauli II, ehe er sich eine Sportverletzung zuzog und die Geschichte der digitalen Trainingssoftware INTELLI-ATHLETICS ihren Lauf nahm.

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