Physiotherapie

So findet die Vitova Gruppe neue Physiotherapeuten

Viele der etablierten Methoden zur Mitarbeitergewinnung reichen heute nicht mehr aus, um junge Physiotherapeuten für die eigene Praxis zu begeistern. Wir sprachen mit Tobias Labermeier von der Vitova-Gruppe darüber, welche Gründe das haben kann und wie sie das Thema in ihren Praxen lösen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen veraltete Strukturen erneuert werden und evidenzbasiertes Arbeiten Einzug in die Praxis erhalten.
  • Die Mitarbeiterzufriedenheit sollte mehr im Fokus stehen als die Patientenzufriedenheit.
  • Wer neue Physiotherapeuten sucht, muss guten Content auf Social Media kreieren und parallel weitere kreative Wege finden, Mitarbeiter anzuwerben.
  • Für die immer größer werdende Patientenanzahl braucht es außerdem neue Konzepte zur effizienten Behandlung und Betreuung.

BODYMEDIA: Derzeit sieht man ja durchaus abenteuerliche Stellenangebote mit bisher undenkbaren Konditionen, die zeigen, wie verzweifelt manche Praxen nach Mitarbeitern suchen. Trotzdem meldet sich häufig niemand. Gibt es über den reinen Fachkräftemangel hinaus Erklärungen dafür?

Tobias Labermeier: Wir haben ja nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch steigende Patientenzahlen. Das zeigen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Heilmittelleistungen, die sich in den letzten Jahren verdoppelt haben. Wir haben also viel mehr Patienten, die wir annehmen können oder müssen, als früher. An unseren Standorten mit der Vitova-Gruppe haben wir eine Wartezeit von sechs bis acht Wochen. Und das ist ja vielerorts so. Es ist also nicht nur der reine Fachkräftemangel.

Hinzu kommt ein weiterer Effekt: Die Zahl der Physiotherapiepraxen mit einem Unternehmer über 60 steigt. Diese werden voraussichtlich in den nächsten Jahren aussteigen und die Patienten, die von ihnen bisher betreut wurden, müssen von irgendjemandem aufgefangen werden.

Ein sehr aktuelles Gutachten gibt vor, dass viele Operationen nicht mehr in Krankenhäusern ausgeführt werden dürfen, sondern ambulant passieren sollen. Auch auf diesem Weg kommen also neue Patienten auf uns zu. Meiner Einschätzung nach lässt sich eine 1:1-Therapie wie bisher nicht mehr lange aufrechterhalten. Hier werden in den nächsten Jahren viele neue Therapiekonzepte entstehen.

Aber viele Physiotherapiepraxen finden keine Mitarbeiter, weil sie nicht mehr zeitgemäß arbeiten. Manche Praxen haben an den Rahmenbedingungen, wie gearbeitet wird, in den letzten Jahren nichts verändert. Das hat vielleicht mal funktioniert, als es noch viele Fachkräfte gab, aber jetzt ist es so, dass sich ein Schüler, der frisch von der Schule kommt, einen Arbeitgeber sucht, bei dem er gerne arbeiten möchte und die Rahmenbedingungen für ihn passen.

Das bedeutet, er sucht sich einen Arbeitsplatz mit schönen Behandlungsräumen, wo es einen großzügigen Aufenthaltsraum gibt und man nicht 24 Patienten am Tag im Akkord behandeln muss, sondern auch mal unterschiedliche Aufgaben ausführen kann. Auch die Work-life-Balance spielt mittlerweile eine große Rolle.


Die Vitova-Gruppe verbindet Physiotherapie mit medizinischer Fitness und schafft so einen abwechslungsreichen Arbeitsplatz für junge Physiotherapeuten (Bildquelle: © Vitova)

Das Thema evidenzbasiertes Arbeiten muss in den meisten Physiopraxen jetzt Einzug halten, um die Therapie messbar zu machen. Es geht nicht mehr darum, Wünsche des Patienten zu erfüllen und ihm ein gutes Gefühl zu geben, sondern mit Methoden zu behandeln, die evidenzbasiert sind und gegen die Leiden des Patienten auch wirklich helfen.

Dann haben wir eine andere Außenwahrnehmung, als nur Masseure zu sein. 18 x Wellnessbehandlung muss nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Das verstärkt den Fachkräftemangel zusätzlich, weil die Patienten lange in Behandlung sind und keine neuen angenommen werden können. Das betrifft natürlich auch das Thema Dauerpatienten.
 
Da muss ein Umdenken stattfinden. Früher hieß es, dass man alles für die Patienten machen muss, damit diese ihren Freunden und Bekannten erzählen, wie schön es in der Praxis ist. Mittlerweile hat sich das aber gedreht. Wir müssen alles für die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter tun, damit diese sich wohlfühlen und bei uns bleiben. Das wichtigste Thema also muss das Thema Mitarbeiterzufriedenheit sein und nicht die Patientenzufriedenheit.

BODYMEDIA: Was kannst du Physiopraxen bei der Personalsuche empfehlen?

Tobias Labermeier: Man sollte nicht den Fehler machen, erst einen neuen Therapeuten zu suchen, wenn eine offene Stelle vorhanden ist. Dazu ist der Markt zu eng geworden. Wir suchen permanent neue Mitarbeiter und das auf vielfältigen Wegen. Aktuell haben wir acht parallele Wege, wie wir Mitarbeiter finden. Und mal funktioniert der eine besser und mal der andere. Man muss mittlerweile auch echt kreativ sein, damit es funktioniert.

Die Art zu arbeiten und die Unternehmenskultur müssen nach außen kommuniziert werden. Das passiert heutzutage im Besonderen über die sozialen Medien. Hier sollte nicht über Behandlungsmethoden oder Neuanschaffungen gesprochen werden, sondern wie das Arbeiten in der Praxis ist. Schließlich suchen wir keine neuen Patienten, sondern neue Mitarbeiter. Wir haben unterschiedliche Wege, wie wir neue Mitarbeiter ansprechen.


Für junge Physiotherapeuten müssen die Rahmenbedingungen stimmen. An den Standorten der Vitova-Gruppe gibt es bspw. eigene Mitarbeiterlounges (Bildquelle: © Vitova)

BODYMEDIA: Was ist für euch der erfolgversprechendste Weg?

Tobias Labermeier: Lange Zeit war es die Arbeit über Social Media in Kombination mit Landingpages. Das funktioniert heute nicht mehr so gut, da es immer mehr Praxen auch machen. Mittlerweile funktioniert es nur noch mit individuellem Inhalt, der auf die Praxis zugeschnitten ist. Jetzt kommt es auf den Content an: Man muss Emotionen übertragen, aus dem Team kommunizieren und die Teamstimmung nach außen transportieren.

Der zweite wichtige Weg ist, dass unsere Mitarbeiter andere Mitarbeiter werben. Physiotherapeuten kennen durch ihre Ausbildung oder das Studium und die Arbeit jede Menge andere Physiotherapeuten, die sie ansprechen können. Wenn Mitarbeiter kommunizieren, wie toll die Arbeit in der Praxis ist, wirkt das authentisch auf die anderen und sie werden interessiert. Mittlerweile bekommen bei uns Mitarbeiter, die andere Mitarbeiter werben, eine Erfolgsprämie. Klar ist aber auch: Für kleinere Physiotherapiepraxen ist das natürlich nicht so einfach.

Außerdem gehen wir aktiv in Schulen. Und zwar ganz gezielt in die Abschlussklassen. Dort spreche ich einen Tag lang darüber, wie man heute als Physiotherapeut arbeiten kann. Die Schüler lernen von ihren Lehrern leider, dass sie im Krankenhaus anfangen sollen, um das wahre Leben eines Physiotherapeuten kennenzulernen. Dann machen sie das, weil der Lehrer es gesagt hat, und werden verheizt. Nach einem Jahr wechseln sie dann die Branche, weil sie sich den Beruf des Physiotherapeuten anders vorgestellt haben.

Ich gebe den angehenden Therapeuten mit, wie wertvoll der Job des Therapeuten ist und dass es der “geilste Job der Welt” ist. Auch so werden Therapeuten auf uns aufmerksam. Wir haben dieses Jahr mit unseren acht Wegen knapp 20 Therapeuten eingestellt.

BODYMEDIA: Welche Rolle spielt es für neue Mitarbeiter, wie in einer Praxis gearbeitet wird? Und gibt es hier attraktive neue Arbeitsmodelle?

Tobias Labermeier: Abwechslung im Arbeitsalltag ist vielen schon sehr wichtig. Aber neue Konzepte können sicherlich helfen, das Arbeiten attraktiver zu machen. Wir arbeiten gerade an einem neuen Konzept, das wir erstmalig an einem neuen Standort von uns umsetzen wollen. Es beginnt alles mit einem digitalen Patientenonboarding über die Praxissoftware.

Gemeinsam mit der Plattform Physiomeetsscience und einem Softwareanbieter haben wir einen Patientenfragebogen ausgearbeitet, den jeder neue Patient zugeschickt bekommt und digital ausfüllt. Aufgrund der Antworten bekommt der Therapeut eine Empfehlung, welche Therapie hier am meisten Erfolg verspricht. In den meisten Fällen ist das die aktive Therapie.

Dann arbeiten wir im Viertelstundentakt. Der erste Patient ist z. B. von 8 bis 8.15 Uhr auf der Trainingsfläche mit seinem Therapeuten. Im Nachgang darf er unter Aufsicht dieses Therapeuten eine weitere halbe Stunde auf der Trainingsfläche bleiben und dort trainieren. Der Therapeut hat dann aber von 8.15 bis 8.30 Uhr seinen nächsten Patienten. So kann ein Therapeut recht entspannt vier Patienten in der Stunde behandeln.

Durch den Fragebogen filtern wir die Patienten heraus, die wirklich in die Einzelbehandlung in ein Therapiezimmer müssen, alle anderen werden aktiv behandelt. Dieses Konzept arbeiten wir gerade intensiv aus, testen es an unseren Standorten und wenn es funktioniert, stellen wir alle Tools über unsere Unternehmensberatung POSITION Physio anderen Praxen zur Verfügung.

Die Daten aus den Patientenfragebögen werden zusätzlich anonymisiert in einer Studie an der Hochschule Trier verarbeitet, somit haben wir hoffentlich bald viele Daten über den Erfolg unserer Therapie, die wir Ärzten und Krankenkassen zur Verfügung stellen können.

Und ein letzter Tipp noch: Wer neue Physiotherapeuten sucht, muss in den sozialen Netzwerken unterwegs sein. Junge Menschen schauen sich ihre Arbeitgeber auf Instagram und Facebook an, und wenn da nichts zu sehen ist, hat man schon mal schlechte Karten. Gerade ältere Praxisinhaber müssen das beachten. Und dann geht es darum, die Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen.

BODYMEDIA: Vielen Dank für das interessante Interview!

Bildquelle Header: © Vitova

Der Autor

  • Tobias Labermeier

    Tobias Labermeier ist 43 Jahre alt, zweifacher Familienvater und Physiotherapeut von Beruf. Zusammen mit seiner Frau und einem weiteren Partner hat er die Vitova-Gruppe, bestehend aus acht Standorten, darunter fünf Physiopraxen und drei gesundheitsorientierte Studios im Rhein-Main-Gebiet, aufgebaut. Dort sind knapp 100 Mitarbeiter beschäftigt. Die praxis­erprobten Konzepte, Teamführung, Prozesse und Digitalisierung ­werden in einer Unternehmensberatung ­POSITION health business consulting an andere Praxis- und Clubbetreiber vermittelt. Alles kommt aus den eigenen Anlagen, von Therapeuten für Therapeuten. Derzeit werden knapp 400 Kunden im Physio- und Fitnessmarkt in ganz Deutschland betreut.

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