Physiotherapie

Die Privatpreise für Physiotherapieleistungen müssen steigen!

Kein Thema blieb in deutschen Physiotherapiepraxen so lange unberührt wie die Preise für Privatpatienten. Einmal vor Jahren festgelegt, traut man sich kaum noch, diese Stellschraube nach oben zu drehen. Aber warum ist das so? Haben wir Angst vor den Patienten oder schämen wir uns, über Geld zu sprechen?

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ein Unternehmer sollte seine Privatpreise regelmäßig überprüfen, da diese neben der Wirtschaftlichkeit der Praxis auch für die Mitarbeitergewinnung und -bindung entscheidend sind.
  • Die Erhöhung der Privatpreise ist eine Möglichkeit, die Vergütung der Mitarbeiter zu verbessern, insbesondere wenn keine anderen Zusatzleistungen angeboten werden.
  • Privatpreise können bis zum 1,8-fachen einer GKV-Leistung betragen.
  • Viele Patienten kommen wegen der Qualität der Leistung und nicht wegen des Preises in die Praxis.

Es gibt eine Angst vor Preiserhöhungen. Wir erschaffen ein schlafendes Monster, das wir nicht wecken möchten. Wir meckern als Therapeuten über die Preise der GKV, doch trauen uns selbst nicht, angemessene Privatpreise zu verlangen. Und das, obwohl uns das Jahr 2022 stark steigende Energiekosten, Zinserhöhungen und eine sehr hohe Inflation gebracht hat.

Fachkräftemangel: Wir haben es uns selbst eingebrockt

Schauen wir einmal an, wie es in anderen Bereichen des Lebens abläuft: Das Arbeiten im Handwerk war lange Zeit unpopulär. Relativ geringer Verdienst, körperliche Arbeit. Fällt Ihnen die Parallele auf? Doch was ist dann passiert? Weniger Nachfrage für den Beruf, weniger Nachwuchs im Handwerk. Inzwischen haben Handwerksbetriebe die Auftragsbücher teilweise für Jahre voll und können sich ihre Kunden aussuchen. Die Betriebe nutzen dies, um die Preise zu erhöhen, damit sie höhere Löhne zahlen können, um wieder attraktiv für Berufseinsteiger zu werden. Doch warum macht es die Physiotherapiebranche nicht genau so?

Fremdbestimmung: Wie kann ich bessere Löhne zahlen?

Rollen wir das Ganze einmal von hinten auf: Eines der größten Probleme in unserer Branche ist der Fachkräftemangel. Doch dieser kommt nicht von irgendwoher. Die hohen Kosten für die Aus- und Weiterbildung, das stressige Termingeschäft und ebenfalls das an sich „sehr anstrengende Handwerk“ machen den Beruf in einem gewissen Grad unattraktiv.


Viele Praxen trauen sich nicht ihre Privatpreise anzupassen aus Sorge, dass ihnen die Patienten weglaufen (Bildquelle: © pololia - stock.adobe.com)

Hinzu kommt die Abhängigkeit von den gesetzlichen Krankenkassen. Denn sie entscheiden über die Preise bzw. die Entlohnung unserer Arbeit. Wie hoch also Ihr Stundenumsatz ist und somit auch, wie hoch das Gehalt der Therapeuten sein kann, liegt zu einem gewissen Teil nicht in der Hand des Unternehmers.

Paradox wird es insbesondere dann, wenn man bei der Abgabe einer Leistung wie der Manuellen Lymphdrainage, für welche die Therapeuten kostspielige und langwierige Fortbildungen durchführen müssen, das Unternehmen im Minutenpreis schlechter entlohnt wird als bei einer Krankengymnastik. Je mehr Lymphdrainage-Rezepte also bei GKV-Patienten durchgeführt werden, desto schlechter können die Mitarbeiter bezahlt werden. Es ist ein „verrücktes“ System, in dem wir uns alle befinden. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.

Was ich damit klar machen möchte: Folglich sind Unternehmer in der Physiotherapie stark fremdbestimmt. Zumindest in dem Grad, in dem sie Patienten der gesetzlichen Krankenkassen behandeln – und dieser Anteil liegt im bundesweiten Durchschnitt bei ca. 80 %. Gibt es in der Praxis keine Angebote, wie zusätzliche Behandlungszeiten für GKV-Patienten oder einen Trainingstherapiebereich, sind gerade die Privat-
preise
die einzige Möglichkeit als Unternehmer einer Therapiepraxis, die Stellschrauben für das Gehalt der Mitarbeiter anzupassen.

Woher kommt das Problem?

Wenn wir über gerechte Privatpreise sprechen, sollte der Blick nicht zu den anderen Therapiepraxen im Umkreis wandern. Denn aufgrund der Tatsache, dass sich diese Praxen auch nicht getraut haben, die Preise für PKV-Patienten an die stetigen Kostenentwicklungen und die aktuelle Marktlage anzupassen, sind diese bei fast allen Therapiepraxen so niedrig geblieben. Daraus resultiert diese prekäre Schieflage der deutschen Privatpatientenpreise. Wir können festhalten, dass dies ein hausgemachtes Branchenproblem ist.

Fragen Sie sich doch einmal selbst: „Wann habe ich das letzte Mal meine Privatpreise spürbar angehoben?“ Die einzigen Gewinner der derzeitigen PKV-Preispolitik sind insbesondere die Krankenkassen und an zweiter Stelle die Patienten. Die großen Verlierer sind der Unternehmer und die qualifizierten Mitarbeiter.

Was bedeutet gerecht?

Wenn ich von einer gerechten Ausgestaltung von Privatpreisen spreche, dann meine ich mindestens den 1,8-fachen Satz, den ich für die GKV-Leistungen erhalte. Warum den 1,8-fachen Satz? Da dieser aufgrund der durchschnittlichen prozentualen Verteilung von GKV- zu PKV-Patienten die einzige Chance darstellt, ohne durch weitere unternehmerische Maßnahmen (z. B. zusätzliche Behandlungszeit für GKV-Patienten, Selbstzahlerleistungen auf der Trainingsfläche, Generierung von Ausfallhonoraren …) die Mitarbeiter angemessener zu entlohnen.


Werden die Privatpreise nicht angehoben, verlieren insbesondere der Unternehmer und die Mitarbeiter (Bildquelle: © pololia - stock.adobe.com)

Ähnlich wie man als Privatpatient beim Hausarzt schon des Öfteren mit dem 1,8-fachen – oder meist 2,3-fachen – Satz Bekanntschaft gemacht hat, so ermutige ich alle Therapeuten, es den werten „Kollegen“ gleichzutun.

Was bedeutet das in der Praxis?

Nehmen wir den GKV-Preis von 24,08 € für eine Krankengymnastik (KG). Der PKV-Preis für die KG müsste folglich mit dem 1,8-fachen Satz bei ungefähr 43,34 € liegen. Jetzt werden einige Therapeuten den Mund nicht mehr zubekommen. Doch in der großen Gemeinschaft aus über 150 Therapiezentren und Physiopraxen, die ich tagtäglich begleiten und beraten darf, sind der 1,8-fache Satz ein „Standard“ und die Kür der 2,3-fache Satz.

Es funktioniert also in ganz Deutschland, in jedem noch so kleinen oder noch so großen Ort. Doch ich greife Ihnen schon mal vorweg: Folgende Einwände wurden auch bei den Kollegen einmal entgegengebracht.

Argument 1: „Aber das ist doch unfair! Die Preise sind somit viel höher als bei einem GKV-Patienten, und das bei denselben Leistungen.“

Das ist vollkommen richtig. Aber: Sind die GKV-Preise von 24,08 € für eine KG gerechtfertigt? Nein! Doch hier sind wir eine „Geisel des Systems“. Dürfte man die GKV-Preise selbst bestimmen können, so würden sie sicherlich höher bepreist werden. Denn: Therapie ist mehr wert!

Argument 2: „Aber die Patienten bekommen ja keine 100-prozentige Erstattung des Preises!“

Ja, das mag bei vielen Patienten zutreffen. Jedoch ist es wie bei jeder anderen Versicherung auch: Je mehr Risiko ich im Schadensfall abgeben möchte, umso höher gestaltet sich mein monatlicher Versicherungsbeitrag.

Wenn ich monatlich Geld sparen möchte, nehme ich einen höheren Eigenanteil bei Inanspruchnahme meiner Versicherungsleistungen im Schadensfall in Kauf. Aus diesem Grund liegt es in der Eigenverantwortung eines jeden Privatpatienten, die monatlichen Kosten und den damit verbundenen Eigenanteil zu bestimmen. Dies ist mitnichten das Problem der Praxis. Als Unternehmer sollte man sich die Wertigkeit der eigenen Leistungen einmal vor Augen halten: Sie ist jeden Cent wert.

Argument 3: „Aber für die Beihilfe-Patienten muss ich doch andere Privatpreise nehmen, da hier der Beihilfe-Satz für die Kostenübernahme festgeschrieben ist.“

Nein, das stimmt so nicht. Zum einen verhält es sich bei Beihilfe-Patienten mit ihrer privaten Pflichtversicherung ähnlich, wie bereits in dem vorherigen Punkt zwei beschrieben. So weist auch das Bundesministerium des Innern und für Heimat darauf hin, dass die beihilfefähigen Höchstsätze im Heilmittelbereich nicht kostendeckend sind und dass der oder die Beihilfeberechtigte mit entsprechenden Eigenanteilen zu rechnen hätte:

„Die Beihilfe ergänzt lediglich die zumutbare Eigenvorsorge. Die beihilfeberechtigte Person muss daher für die von der Beihilfe nicht übernommenen Kosten für Behandlungen, Medikamente und Ähnliches selbst aufkommen. In der Regel wird deshalb eine entsprechende private Krankenversicherung abgeschlossen.“

Abschließend lässt sich zu dieser Thematik unterstreichen, dass beihilfefähige Höchstsätze so niedrig sind, dass der Minutenpreis der Leistung meist sogar schlechter ist als der Minutenpreis für die gleiche GKV-Leistung.

Argument 4: „Was ist, wenn mir dann Privatpatienten verloren gehen?“

Hier kann ich natürlich aus meiner großen Erfahrung sprechen. Deshalb fällt es mir auch viel leichter als anderen, dieses Risiko einzuschätzen. Es werden Ihnen mitnichten alle Privatpatienten weglaufen, selbst wenn sich der Preis von derzeit 28 Euro PKV-Preis für die KG auf 45 Euro erhöht. Denn für viele Patienten sind die Praxis und die Therapeuten das auch wert. Diese Patienten kommen gerne genau in diese Praxis und lassen sich gerne behandeln, da sie den Nutzen für sich verstehen.

Und es wird auch Patienten geben, die bei 45 Euro den vollen Betrag erstattet bekommen. Doch es werden auch Patienten gehen. Und wer dann geht, der geht wegen des Geldes. Im Ruhrpott gibt es ein Sprichwort: „Wer für Geld kommt, der geht für Geld.“ Und wenn das Einzige, was diese Patienten in der Praxis hält, der günstige Preis ist, dann ist es in Ordnung, wenn sie gehen.

Argument 5: „Wenn PKV-Patienten gehen, habe ich dann nicht einen finanziellen Schaden?“

Ob man einen finanziellen Schaden durch die Abgänge hat, hängt von zwei Punkten ab:

  1. Erstens: Wie hoch sind derzeit die Privatpreise? Denn die Fallhöhe ist umso geringer, je näher sich die derzeitigen Privatpreise den GKV-Preisen annähern. Wenn diese nämlich nicht hoch genug sind, dann macht es oft auch keinen großen Unterschied, ob man nun den ein oder anderen Privatpatienten weniger hat und dafür dann einen GKV-Patienten behandelt.
  2. Zweitens: Wie viele Patienten gehen wirklich? Und man sollte auch hier nicht nur an die Patienten denken, die neue Preise ggf. nicht mehr akzeptieren, sondern an diejenigen, die sie akzeptieren, und an jeden neuen Privatpatienten, der sich in Zukunft zu den neuen Preisen in der Praxis behandeln lässt. Denn gerade durch diese Patienten erwirtschaftet man die so notwendigen finanziellen Ressourcen, die man als Unternehmer braucht.

Lassen wir Zahlen sprechen

Ich bin selbst Therapeut und ich weiß, wir Therapeuten sprechen nicht gerne über Geld. Doch als Inhaber ist es unser aller Pflicht, diesen Punkt zu beleuchten. Dazu nehmen wir einmal ein vereinfachtes Rechenbeispiel vor: Angenommen, in einer Praxis arbeiten vier Therapeuten zu je 40 Wochenstunden. Das sind 160 Brutto-Therapeutenstunden pro Woche. Davon ziehen wir aufgrund von Urlaub, Krankheit, Auslastungseinbußen etc. 20 % ab, sodass wir letzten Endes auf 128 Netto-Therapeutenstunden die Woche kommen, in denen auch tatsächlich behandelt wird.

Nun gehen wir weiter davon aus, dass der Anteil an Privatpatienten bei 20 % ist. Folglich werden circa 25 Stunden pro Woche Privatpatienten therapiert.

In 25 Stunden Therapiezeit können, bei einer Taktung von 20 Minuten, also 75 Behandlungseinheiten durchgeführt werden. Nehmen wir an, die PKV-Preise erhöhen sich nun um 10 € (bspw. von 33 Euro für eine KG auf 43 Euro für eine KG), so würde in diesen 75 Behandlungseinheiten pro Woche ein Mehrgewinn von 750 € netto (75 Einheiten x 10 €) erwirtschaftet werden. Aufs Jahr gerechnet wäre das Potenzial bis zu 39.000 € mehr Gewinn vor Steuern.

Veranschaulichen wir uns mein Rechenbeispiel mit den 39.000 Euro doch einmal so: Würde man dieses Geld komplett in die vier Therapeuten investieren, entspräche das einer Brutto-Gehaltserhöhung von rund 625,- € monatlich (AG-Kosten schon berücksichtigt). Ist das nicht ein Grund, eine Privatpreisanpassung in Erwägung zu ziehen?

Bildquelle Header: © pololia - stock.adobe.com

Der Autor

  • Thomas Kämmerling

    Thomas Kämmerling, seit 1983 in der Gesundheitsbranche tätig, ist selbst Physiotherapeut, Inhaber mehrerer Therapiezentren und Geschäftsführer der KWS Unternehmensberatung.

Magazin

BODYMEDIA Physio 1-2023E-Book lesen

BODYMEDIA Physio 1-2023

Mehr erfahren