Physiotherapie

Digitale Behandlungsmöglichkeiten werden immer attraktiver

Physiotherapeuten können nicht allen Patienten helfen, zumindest nicht in ihrer Praxis. Dafür gibt es digitale Möglichkeiten wie Telephysiotherapie oder Medical Apps, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Erlaubnis für die Behandlung via Video ist zurzeit (Stand 30.06.) bis zum 30.09.2021 gültig.
  • Dafür sollte vorzugsweise eine auf Telemedizin ausgelegte Software verwendet werden.
  • Mit der Videotherapie wird einerseits die Digitalisierung der Physiotherapie vorangebracht, andererseits gewinnt die Bewegungstherapie immer mehr an Relevanz in der Behandlung.
  • Apps und Co. können gute Hilfestellungen sein, ersetzen jedoch auf keinen Fall die Therapie.

Während sich in der Corona-Zeit viele Jobs zwangsläufig in die Telearbeit verlagerten, änderte sich an den Präsenzbehandlungen der Physiotherapeuten eher wenig. Die meisten Behandlungen fanden nach wie vor in der Praxis statt. Eine Veränderung dieser Lage wurde eher von der Patientenseite her eingeläutet. Aufgrund der Gefahr einer Ansteckung vermied es ein nicht geringer Anteil insbesondere älterer Patienten, das Haus zu verlassen.

Das Ergebnis: Die Physiopraxen waren unterdurchschnittlich gefüllt und Patienten erhielten keine Behandlung, was deren Gesundheitszustand eher verschlechterte. Eine Lösung, die Praxen nun einführten, war die Behandlung über digitale Medien. Häufig wurden Physiosprechstunden über Zoom und ähnliche Plattformen abgehalten, oder es wurden Übungen durch den Bildschirm angeleitet und durchgeführt.

Das sind wichtige Bestandteile digitaler Behandlungsmethoden – es gibt allerdings noch wirksamere, auch im Bezug auf verschiedene Krankheitsbilder, wie z. B. Rückenschmerzen. Nicht nur Corona, auch andere Faktoren können eine Online-Behandlung attraktiv machen. Wer viel unterwegs ist oder lange arbeitet, profitiert natürlich ebenfalls von dieser Möglichkeit.

Mit der Telephysiotherapie können viele Behandlungsbereiche abgedeckt werden, insbesondere das Anleiten von Übungen und die Information zu den Beschwerden (Bildquelle: ©M-Production - stock.adobe.com)

Dürfen Physios online behandeln?

Bevor man darüber nachdenkt, digitale Behandlungen anzubieten, gibt es einige Rahmenbedingungen zu klären. Zuerst einmal muss rechtlich geklärt werden, ob Physiotherapeuten diese Form der Behandlung überhaupt anwenden und abrechnen dürfen.

Die Antwort darauf ist: aktuell ja. Die Erlaubnis für die Behandlung via Video ist zurzeit (Stand 30.06.) bis zum 30.09.2021 gültig. Zumindest für die Übungsbehandlung gemäß § 19 Absatz 3 Nummer 1a, für die allgemeine Krankengymnastik (KG und KG-Atemtherapie) gemäß § 19 Absatz 3 Nummer 3a sowie für die Krankengymnastik-Mukoviszidose gemäß § 19 Absatz 3 Nummer 3c in der Physiotherapie. Die Patienten müssen den Behandlungen zustimmen. Der Nachweis über die Zustimmung muss aufbewahrt werden.

Die passende Software finden

Eine der Grundvoraussetzungen für das Angebot der Videosprechstunde ist das Vorhandensein einer passenden Software. Zwar ist es heutzutage recht einfach, über verschiedene Dienste Patienten digital zu behandeln, aber nicht jeder ist gleich sinnvoll. Von gängigen Microsoft- und Google-Produkten wird derzeit eher abgeraten, ebenso wie von WhatsApp oder auch Facebook. Das hat einerseits abrechnungstechnische Gründe, andererseits sind diese Plattformen, ähnlich wie auch Zoom, nicht auf Telemedizin ausgelegt.

Der KBV hat eineListe zertifizierter Video-Anbieter erstellt, die gut für die Telemedizin funktionieren.

Bei der Durchführung der Behandlung sollte eine gewisse Privatsphäre eingehalten werden, wie in der Praxis eben auch. Die Patienten sollten um sich herum genug Platz haben. Optimalerweise findet das Anamnesegespräch vor Ort statt, damit alle Ebenen der Kommunikation wahrgenommen werden können. Auch wenn das Screening nicht mit direktem Körperkontakt durchgeführt wird, kann der Therapeut durch verschiedene Bewegungen des Patienten erkennen, wo er in der Therapie ansetzen kann.

Die Videotherapie beschleunigt zwei positive Entwicklungen in der Physiotherapie – zum einen die längst überfällige Digitalisierung und zum anderen die Bewegungstherapie. Selbst Therapeuten, die beinahe ausschließlich passiv behandeln, werden zum Umdenken und damit zum Einsatz von Trainingstherapie motiviert. Wie sinnvoll das ist, zeigen mittlerweile sehr viele Studien, insbesondere da manuelle Techniken oder auch Massagen oft nur vorübergehend wirken.

Medical Apps können Physiotherapeuten bei der Behandlung von Patienten unterstützen – in manchen Fällen erreichen sie sogar bessere Ergebnisse als die reine Physiotherapie (Bildquelle: ©New Africa - stock.adobe.com)

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Neben den Telesprechstunden gibt es in der Medizin noch weitere Einsatzmöglichkeiten digitaler Behandlungsmethoden. Sei es nun die elektronische Patientenakte, eine klinische Entscheidungshilfe, Symptomtracking, Chatbots oder auch, und das ist für die Physiotherapie sehr interessant, Medical Apps.

Die Behandlungsplätze von Physiotherapeuten sind nach wie vor ein knappes Gut. Nicht selten warten Patienten mehrere Wochen und Monate auf einen Termin. Nicht nur für sie ist das unbefriedigend, sondern auch für die Therapeuten, denen einfach die Möglichkeiten fehlen, um zu helfen. Hier kommen die digitalen Helferchen ins Spiel, die bereits in Studien zeigen konnten, dass sie Patienten ohne chronische Schmerzen gut helfen können – manchmal sind die Ergebnisse sogar besser als die reine Physiotherapie. Einige sind sogar zugelassene Medizinprodukte, was das Vertrauen der Anwender zusätzlich stärkt.

Medical Apps für die breite Masse

Eine App wurde bereits im vorderen Teil des Magazins vorgestellt: Starke Knochen online stärkt, wie der Name schon sagt, das Knochen- und Skelettsystem, sichert das Gangbild und trägt zur Sturzprävention bei. Andere Apps wie z. B. FitBack oder auch die Kaia App werden zur Behandlung des unspezifischen unteren Rückenschmerzes (NLBP) eingesetzt und zeigen hier durchaus gute Erfolge.

Wer NLBP leitliniengemäß behandeln möchte, sollte neben den körperlichen Übungen auch psychologische Interventionen durchführen sowie Informationen zur Krankheit an sich vermitteln. Das können Physiotherapeuten in den 20-minütigen Terminen, die ihnen zur Verfügung stehen, häufig nicht leisten. Spätestens bei den psychologischen Interventionen ist die Machbarkeit einfach nicht gegeben. Und hier kommen die Apps ins Spiel. Diese stehen einer breiten Masse zur Verfügung und können direkt helfen.

Studien liefern zudem interessante Ergebnisse zur Wirksamkeit der Apps. So konnten RCTs zeigen, dass die Patienten durch die App eine stärkere Verbesserung ihrer Rückenschmerzen erreichen konnten als mit reiner Physiotherapie. Im Fall von Kaia waren die Ergebnisse sogar besser als Physiotherapie gepaart mit Online-Wissenstransfer. Das deutet auf die Wichtigkeit der psychologischen Komponente hin, die Physiotherapie leider nur selten abdecken kann. Dafür werden die Apps so wertvoll für Physiotherapeuten. So können sie ihr Angebotsportfolio erweitern und Patienten außerhalb der Praxis helfen.

Apps wie z. B. Starke Knochen online werden zudem von der Krankenkasse übernommen. Ähnlich wie bei der aktiven Trainingstherapie werden den Patienten hier Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen sie sich selbst helfen können.

Und das ist auch das Wichtige hier – die digitalen Helferchen sollen die Therapie unterstützen, nicht ersetzen. Daher muss jeder Physiotherapeut für sich entscheiden, in welchem Rahmen er auf digitale Behandlungsmethoden setzt. Es wäre zumindest zu hoffen, dass die Corona-Pandemie hier einen wertvollen Schub nach vorne gegeben hat.

Fazit

Digitale Behandlungsformen werden sich zukünftig stärker durchsetzen. Sie sind flexibler, oft einfacher und in manchen Fällen sogar noch wirksamer als die Behandlungen in der Praxis. Ganz klar ist, dass sie eine Unterstützung für die Physiotherapie sind und den Therapeuten die Möglichkeit geben umfassender zu behandeln oder aber Zugang zu Patienten zu bekommen, die es vielleicht nicht in die Praxis geschafft hätten.

Bildquelle: ©sdecoret - stock.adobe.com

Der Autor

  • Jonathan Schneidemesser

    Seit seinem Germanistik-und Philosophie-Studium in Mannheim arbeitet er für das Fachmagazin BODYMEDIA. 2015 übernahm er nach Abschluss seines BWL-Studiums die Chefredaktion für das Magazin. 2017 etablierte er die BODYMEDIA dann mit einem eigenen Magazin im Physio-Bereich. Seine sportliche Erfahrung sammelte vor allem in seiner aktiven Zeit als 800m-Läufer. In seiner Freizeit joggt er durch den Wald oder schwingt Kettlebells.

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