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Frauen im Fitnessmarkt – die vernachlässigte Zielgruppe

Frauen sind im Fitnessmarkt nach wie vor eine vernachlässigte Zielgruppe. Was sich erst einmal paradox anhört, bestätigt sich schnell, wenn man sich viele Fitnessanlagen anschaut. Dabei gibt es gute Gründe, Frauen als Zielgruppe auf die Agenda zu setzen. An welchen Stellschrauben man drehen kann, lesen Sie in diesem Artikel.

5,5 % der Mitglieder in deutschen Fitnessanlagen sind Frauen (laut DSSV-Eckdaten 2019). Selbst Mathematik-Legastheniker sollten erkennen, dass die Mehrheit der Studiomitglieder Frauen sind. Nun sollte man die Frage stellen, warum sich das mehrheitliche Fitnessangebot sowie die Werbung für Fitnesstraining nach wie vor an Männer richten. Denn trotz ihrer Überzahl werden die Bedürfnisse von Frauen häufig vernachlässigt und damit zählen sie ebenfalls zu den zu wenig beachteten Zielgruppen. 

Ist es das, was ihr wollt?
Dabei könnte man meinen, dass Frauen sich eigentlich nicht darüber beschweren können, wie viel Aufmerksamkeit sie derzeit bekommen. Für sie werden spezielle Areale in den Fitness-Clubs angelegt, meistens mit rosa Geräten, denn diese Farbe spricht sie ja schließlich an und natürlich gibt es hier auch Geräte, um insbesondere den Po stärker zu trainieren. Aber ist es wirklich das, was Frauen wollen? Auf Geräten in klischeehaften Farben zu trainieren, die sich jedoch letztlich nicht von den anderen Trainingsmaschinen abheben? Das reicht aber nicht. Um Frauen wirklich anzusprechen, braucht es etwas mehr Verständnis für sie als Zielgruppe. Damit reiht sich die Fitnessbranche in eine Reihe anderer Branchen ein, die Frauen als Zielgruppe ebenfalls vernachlässigt haben. Woran das häufig liegt? In Führungsebenen und selbst unter Produktentwicklern findet man häufig Männer und diese machen sich dann darüber Gedanken, was Frauen sich denn wünschen. Und genau hier können wir von den anderen Branchen lernen. Ironisch nur, dass dieser Artikel ebenfalls von einem Mann geschrieben wird.

Emanzipiert wie nie, aber nicht gleichgestellt
Anders als die Rollenbilder der 50er- und 60er-Jahre, die Frauen an den Herd und ins Kinderzimmer stellten und ihnen absprachen, eigene Entscheidungen zu treffen, sind moderne Frauen nicht mehr bereit, sich in diese Rollen pressen zu lassen. Sie wollen mehr: arbeiten, Geld verdienen, gleichwertige Aufgabenverteilung in der Familie und echte Gleichberechtigung. Und sie wollen richtig angesprochen werden. Schließlich treffen sie Kaufentscheidungen mittlerweile selbst und sind nicht auf das Haushaltsgeld ihres Vaters, Freundes oder Mannes angewiesen. Und das ist nicht nur gut so, sondern erfordert ein Umdenken in der Fitnessbranche und in anderen Branchen. 

Schaut man sich modernere Werbespots wie z.  B. den Commerzbank-Spot zur Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft an, tritt ein neues Frauenbild in den Vordergrund. Eines, das eigentlich schon jahrelang gelebt, sich in manchen Köpfen allerdings noch nicht durchgesetzt hat. Hier treten selbstbewusste Frauen auf, denen nicht nur relativ egal ist, was man über sie denkt, sondern ihr Frausein stilisieren und sogar ironisieren. Aber eines ist wichtig: Sie wollen mit ihren Wünschen ernst genommen werden. Damit symbolisieren sie ein modernes Frauenbild, mit dem Fitnessanlagen sich ebenfalls konfrontiert sehen, mit dem sie umzugehen lernen müssen. Mit dem Erstarken der Influencer-Szene, insbesondere im Fitness-Markt, hat sich zumindest im Endverbraucher-Markt einiges geändert. Viele erfolgreiche, weibliche Influencer bedienen ihre Zielgruppe mit Bekleidung und Nahrungsergänzungsmitteln, die sich zumindest im letzten Fall nicht von den Männervarianten (Eiweißpulver bleibt Eiweißpulver) unterscheiden, aber sie emotional anders treffen. Bei der Bekleidung treffen sie ebenfalls den Nerv der Frauen. Denn gerade hier gibt es einen offensichtlichen Gender-Split. Tragen Männer gerne schulterfreie Shirts und kurze Hosen, so setzen Frauen auf kurze Bras und 2/3-Tights. Dieser findet sich häufig aber in dem Auftritt der Fitnessanlage nach außen nicht. 

 

 

Trotzdem haben wir gesehen, dass der größte Anteil der Studiomitglieder von Frauen gestellt wird. Es scheint also alles nicht so schlimm zu sein, oder? Sie kommen ja trotzdem. Bisher ja. Die Frage ist nur, ob sie das auch immer noch tun, wenn sich der Markt noch weiterentwickelt und Frauen Alternativen bietet. Sei es in reinen Frauenstudios, in Form von reinen Kursstudios, durch das größere Angebot der Aggregatoren etc. Wer Frauen als Zielgruppe erhalten möchte (und das ist äußerst sinnvoll), sollte sich stärker ihren Bedürfnissen anpassen. Doch was wollen Frauen denn eigentlich? Hier können wir Erkenntnisse aus anderen Bereichen adaptieren.

Training als Event: Viele Frauen, die ins Fitness-Studio gehen, machen sich gezielt zurecht. Schließlich wird man beim Training auf der Fläche oder im Kursbereich gesehen. Es ist ein Event – wie das Weggehen mit den Freundinnen oder eine Samstag-Shopping-Tour. Und darauf wird sich vorbereitet. Nun muss es von der Studioseite her ebenfalls ein Event werden. Sicherlich mit ein Grund, warum der Kursbereich beinahe ausschließlich von weiblichen Mitgliedern frequentiert wird. Mit der Musik und den anderen Personen in der Gruppe und dem motivierenden Kursleiter bekommt der Kurs einen Eventcharakter. Und das gilt es dann auch in den anderen Bereichen der Anlage umzusetzen.

Frauen wollen begeistert werden: Für Frauen ist Fitness, wie vieles andere in ihrem Leben auch, mit Emotionen verbunden. Damit sie darin aufgehen können, ist es nötig, das Training mit Gefühlen aufzuladen. Wo geht das besser als im Kursraum? Hier treffen die Beobachtungen aus dem Punkt oben ebenfalls zu.

Wohlfühlcharakter: Vielleicht ist die Idee der rosa Geräte aus dem Wissen entstanden, dass Frauen mehr Wert auf Aussehen, Farben und Formen legen. Damit haben sie ja auch recht. So einfach ist es dann aber doch nicht. Das Thema Wohlfühlen zieht sich durch alle Ebenen einer Anlage – vom Design über die Freundlichkeit der Mitarbeiter bis hin zu dem Platz zwischen den Geräten. Wer Frauen ansprechen möchte, sollte auf die kleinen Details genauso achten wie auf das große Ganze. An diesem Punkt kann man von bereits bestehenden Anlagen lernen, insbesondere denen, die sich ausschließlich der weiblichen Zielgruppe widmen. 

Von den Besten lernen
Aktuell richten sich 11 % der Anlagen in Deutschland ausschließlich an das weibliche Geschlecht. Natürlich können sich diese Clubs voll auf ihre Zielgruppe fokussieren und balancieren nicht zwischen den Bedürfnissen von Frauen und Männern hin und her, daher macht es sicherlich keinen Sinn, alles 1:1 zu adaptieren. Aber man kann sich zumindest inspirieren lassen und einige Ideen zumindest mal durchdenken.

 


Training als Event: sicherlich mit ein Grund, warum der Kursbereich beinahe ausschließlich von weiblichen Mitgliedern frequentiert wird

 

Wie wir gesehen haben, wollen Frauen richtig angesprochen werden. Ein wichtiger Punkt ist das Wording. Wie so häufig machen es auch hier die Adjektive. Toll, einzigartig oder ausgezeichnet hört man überall. Diese Begriffe sind austauschbar. Für Frauen (und sicherlich auch einige Männer) eignen sich Begriffe wie persönlich, nachhaltig, individuell. Worte wie wohlfühlen, modern oder selbstbewusst sprechen eher moderne, jüngere Frauen an, können aber ebenfalls gut eingesetzt werden. Insbesondere Licht und Farben tragen zum Wohlgefühl bei. Von knalligen Farben sollte man eher etwas Abstand nehmen. Gedeckte Farben sind wenig aufdringlich und schaffen ein Gefühl von Wärme. Generell sind eher zurückhaltende, gedeckte Farben zu wählen. Die Ansprache der Trainer sollte sich natürlich auch unterscheiden. Hier sind wieder das Wording sowie das generelle Auftreten entscheidend. Wer den Mitgliedern mit Wertschätzung begegnet und ihre Bedürfnisse ernst nimmt, punktet nicht nur bei Frauen, sondern bei allen Trainierenden. 

Fazit
Aus den oben genannten Punkten wird deutlich, dass es nicht ganz einfach ist, Frauen für sich zu gewinnen. Achtung, Klischee – es ist wie im echten Leben: Man(n) muss einiges dafür tun. Die Veränderung muss sich durch den gesamten Club bis hoch in die Führungsebene durchziehen. Die Zahl der weiblichen Führungskräfte muss auch in unserer Branche nach oben gehen, zumindest sollte das Marketing für die Anlagen, die Frauen wirklich ansprechen wollen, dann auch von einer Frau umgesetzt werden. 

 

Quellen
Header: Rido - stock.adobe.com
Bild 2: Rido - stock.adobe.com
Bild 3: Rido - stock.adobe.com

Der Autor

  • Jonathan Schneidemesser

    Seit seinem Germanistik-und Philosophie-Studium in Mannheim arbeitet er für das Fachmagazin BODYMEDIA. 2015 übernahm er nach Abschluss seines BWL-Studiums die Chefredaktion für das Magazin. 2017 etablierte er die BODYMEDIA dann mit einem eigenen Magazin im Physio-Bereich. Seine sportliche Erfahrung sammelte vor allem in seiner aktiven Zeit als 800m-Läufer. In seiner Freizeit joggt er durch den Wald oder schwingt Kettlebells.

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