Marketing

Bei unternehmerischen Entscheidungen nicht nur auf das Bauchgefühl vertrauen

In Krisenzeiten sollten Unternehmer weder allein auf ihren Verstand noch auf ihr Bauchgefühl vertrauen. Dasselbe gilt letztlich für alle strategischen Entscheidungen, denn: Sie beruhen stets auf vielen Annahmen.

 

Im Alltag geraten wir oft in Situationen, in denen wir uns instinktiv entscheiden müssen – zum Beispiel beim Autofahren, wenn vor uns ein anderes Fahrzeug fährt. Dann sagt uns zuweilen unser „Bauchgefühl“ bzw. „sechster Sinn“: Vorsicht, der könnte, ohne zu blinken, abbiegen. Und was wir ahnten, geschieht meist auch. 

Ähnlich verhält es sich im Business-Alltag. Auch hier müssen Unternehmer oft Entscheidungen treffen, bei denen sie sich nicht allein auf harte Daten und Fakten stützen können. Dies gilt nicht nur in Krisenzeiten wie der aktuellen Krise, in denen niemand weiß, was der Morgen bringt, sondern für alle strategischen Entscheidungen, denn sie nehmen die Zukunft gedanklich vorweg. Auf entsprechend vielen Annahmen beruhen sie. Zum Beispiel darüber, wie sich der Markt entwickelt. Oder was in fünf Jahren technisch möglich ist. Oder wie andere Physiopraxen in der Umgebung auf die aktuelle Situation reagieren. Zuweilen ist es für uns selbst ein Rätsel, warum wir Personen und Situationen intuitiv richtig einschätzen. Denn eigentlich sind wir überzeugt: Wir entscheiden weitgehend rational. Doch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Selbst unsere scheinbar rationalsten Entscheidungen werden von Emotionen mitbestimmt – nur ist uns dies meist nicht bewusst. 

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Häufig müssen Entscheidungen aufgrund einer unvollständigen Informationslage getroffen werden

Intuition: Eine Stimme aus unserem Unterbewussten
Eine Ursache hierfür ist: Auf uns prasselt nicht nur in Krisensituationen eine Flut von Informationen ein. Nur einen Bruchteil von ihnen nimmt unser Gehirn bewusst wahr. Der Rest wird an unser Unterbewusstsein weitergeleitet und dort bearbeitet und archiviert. Und wenn wir eine Situation intuitiv erfassen? Dann dringt sozusagen ein Fetzen des Unterbewusstseins in unser Bewusstsein. Jedoch nicht einfach so. Unser Unterbewusstsein nimmt vielmehr einen Abgleich der aktuellen Situation mit den in ihm gespeicherten Erfahrungen vor und signalisiert uns, wenn es Parallelen findet, zum Beispiel: Vorsicht, hier kann Gefahr entstehen. Oder: Achtung, vermutlich ist folgendes Verhalten angesagt. 

Eine wichtige Orientierungshilfe
Hilfreich ist diese Leistung unseres Unterbewusstseins im Alltag, in dem wir oft ohne lange nachzudenken auf Ereignisse reagieren. Doch auch bei vielen anderen Aufgaben ist unsere Intuition eine wichtige Orientierungshilfe. Einige seien beispielhaft genannt: Zwischen mehreren scheinbar gleich „guten“ Alternativen wählen. Vor dieser Herausforderung stehen Entscheider zum Beispiel beim Besetzen vakanter Stellen. Dann haben sie nicht selten mehrere gleich gute Bewerber zur Auswahl. Trotzdem müssen sie sich entscheiden. Meist tun sie dies aufgrund ihres Bauchgefühls.

Häufig müssen Entscheidungen trotz „schlechter“, ungenügender Information getroffen werden. Auch vor dieser Herausforderung stehen Unternehmer in der von rascher Veränderung geprägten modernen Welt oft. Und in Krisenzeiten wie der aktuellen Krise ist dies sozusagen „normal“. 

Den passenden Zeitpunkt wählen: Vor der Herausforderung, den passenden Zeitpunkt zu finden, stehen Unternehmer bei Investitionsentscheidungen oft. Dann ist meist das Timing erfolgsentscheidend. Oder aber es muss für ein Problem eine ganz neue Lösung gefunden werden. Gerade in Krisen- und Marktumbruchzeiten kommen Unternehmen mit ihrer gewohnten Art, Dinge anzugehen, meist nicht weit. Sie brauchen eine „zündende Idee“, wie das Problem eventuell ganz anders gelöst werden könnte.

Intuition ist auch das Ergebnis von Erfahrung
Viele Menschen sind überzeugt: Den „sechsten Sinn“ hat man oder nicht. Wissenschaftliche Studien zeigen aber: Jeder Mensch verfügt über die Fähigkeit, Menschen, Situationen und Konstellationen intuitiv richtig einzuschätzen. Sie ist nur verschieden stark ausgeprägt.

Und: Diese Fähigkeit lässt sich trainieren. Denn inwieweit wir Personen sowie Situationen und Konstellationen richtig wahrnehmen und einschätzen können, hängt auch von unserem Vorwissen und unserer Erfahrung ab. So nimmt zum Beispiel ein routinierter Autofahrer brenzlige Verkehrssituationen meist eher wahr als eine Person, die gerade den Führerschein erwarb. Letztere hat zwar auch oft das Gefühl „Das wird gefährlich“. Dieses Gefühl resultiert aber häufig aus Unsicherheit – also eben gerade daraus, dass sie die Situation noch nicht einschätzen kann. 

Ähnlich verhält es sich im Arbeitsbereich. Ein erfahrener Unternehmer spürt oft intuitiv, was eine gewinnversprechende Geschäftsidee ist und was nicht. Und Techniker, die seit Jahren bestimmte Maschinen warten? Sie müssen zuweilen eine Maschine scheinbar nur anschauen und schon wissen sie, warum diese nicht funktioniert. Doch wie können wir unser Gespür für Menschen, Situationen und Konstellationen trainieren? Eine Voraussetzung ist: Wir müssen akzeptieren, dass Emotionen und unser Unterbewusstsein viel stärker unser Verhalten bestimmen, als wir gemeinhin vermuten. Zudem müssen wir grundsätzlich bereit sein, auch auf unser Bauchgefühl zu hören. 

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Intuition kann trainiert werden. Sich einfach mal fragen, was der Kollege als Nächstes sagen wird

Die Intuition im Alltag trainieren
Ist dies der Fall, können Sie selbst zahllose Übungen zum Trainieren Ihrer unbewussten Wahrnehmung erfinden. Einige Beispiele: Angenommen, Sie warten mit vielen Menschen auf einen Fahrstuhl. Dann können Sie sich, bevor sich die Tür öffnet, fragen: Welche Personen werden wohl als Erste den Fahrstuhl betreten? Oder Sie sind in einem Meeting. Dann können Sie sich fragen: Wann ergreift mein Mitarbeiter das Wort und was sagt er? Wenn Sie sich solche Aufgaben regelmäßig stellen, merken Sie nach einiger Zeit: Ihre Prognosen sind häufiger richtig. Denn hierdurch lernen Sie, Personen und Situationen intuitiv richtig wahrzunehmen und einzuschätzen. 

Besonders gut können wir unsere Intuition in der Freizeit trainieren. Denn: Wer gestresst ist, arbeitet Aufgaben nur mechanisch ab. Er ist nicht offen für Neues. Ebenso verhält es sich, wenn wir Angst haben. Anders ist es, wenn wir relaxt sind und uns pudelwohl fühlen. Dann nehmen wir unsere Umwelt und Empfindungen sensibler wahr. Versetzen Sie sich deshalb, wenn Sie das Unterbewusstsein als Ideenquelle anzapfen möchten, zunächst in die richtige Stimmung. Zum Beispiel mit Entspannungsübungen oder -musik. 

Gewiss haben Sie die Erfahrung auch schon gemacht, dass Sie, wenn Sie sich von derHektik des Alltags lösen, eher auf ganz neue Ideen kommen. Zum Beispiel, wenn Ihnen beim Spazierengehen oder unter der Dusche plötzlich die Lösung für ein Problem einfiel, über das Sie schon tagelang gegrübelt haben. 

Hilfreich ist es oft auch, ein Problem mit anderen Augen als gewohnt zu sehen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihr Problem sei eine Landschaft. Wie würde diese aussehen? Dunkel und bedrohlich oder hell und sonnig? Eher wie ein Park oder ein Urwald? Oder stellen Sie sich vor, die Herausforderung sei ein Theaterstück. Wäre es dann ein Drama oder eine Komödie? Wer würde darin die Hauptrolle spielen, wer wäre ein Statist? Wenn Sie das tun, gewinnen Sie einen neuen Blick auf Ihr Problem und in Ihnen steigen neue Gedanken und Ideen empor. 

Den Empfindungen nicht blind vertrauen
Vorsicht! Nicht jeder Gedanke ist eine „zündende Idee“. Und nicht alles, was uns unser Empfinden sagt, sollten wir umsetzen. Viele Menschen tappen regelmäßig in Fettnäpfchen, weil sie blind ihrem Bauchgefühl folgen, statt ihre Eingebungen zunächst zu prüfen. 

Dies sollten Sie speziell dann tun, wenn bestimmte Situationen oder Konstellationen aufgrund Ihrer Vorerfahrungen sozusagen automatisch positive oder negative Emotionen in ihnen wecken. Das ist in der aktuellen Corona-Krise gewiss der Fall. Dann sollten Sie sich zum Beispiel fragen: Warum lässt mich diese Situation erschauern? Primär, weil viele Kündigungen eintrudeln? Oder weil ich keine Erfahrung mit einer solchen Krisensituation habe und nicht weiß, wie ich reagieren soll? Oder weil sich alte Entscheidungen von mir im Rückblick als falsch erwiesen? Oder weil ich neue, harte Entscheidungen treffen und verkünden muss? Oder weil ...? 

Denn nicht jede Emotion ist eine zielführende Intuition. Wer sich rein auf sein Bauchgefühl verlässt, ist gerade in Krisenzeiten, die Umbruchzeiten sind, oft verlassen. Hören Sie deshalb zwar auf Ihre innere Stimme und schulen Sie diese. Vertrauen Sie Ihren Emotionen und Geistesblitzen aber nicht blind. Denn gerade bei wichtigen Weichenstellungen in unserem beruflichen und privaten Leben sind oft auch unser analytischer Verstand sowie unsere fachliche Expertise oder die von Experten gefragt.
 

Der Autor

  • Joachim Simon

    Joachim Simon, Braunschweig, ist Führungskräftetrainer. Zudem unterstützt er als Coach Top-Manager von Unternehmen beim Treffen strategischer Entscheidungen. Mit dem von ihm konzipierten Online-Programm „Egoleading“ können (angehende) Führungskräfte die Skills trainieren, die sie im digitalen Zeitalter zum Führen von Menschen und Organisationen brauchen (www.joachimsimon.info).