BODYMEDIA: Unternehmensentwicklung bedeutet für Sie gleichzeitig auch Persönlichkeitsentwicklung. Wie meinen Sie das? Können Sie das erklären?
Steffen Kirchner: Unternehmen und auch Teams werden nur dann besser, wenn die Menschen in diesen Unternehmen und Teams besser werden. Und damit ein Mensch besser wird, muss u. a. auch alles, was mit seinem Geist und mit seinem Kopf zu tun hat, besser werden.
Sein Gehirn darf besser funktionieren in dem Sinne, dass er z. B. Stress besser verarbeiten und abbauen kann. Das heißt, es geht darum, dass man wirklich in der Lage ist, Gehirnstrukturen zu verändern, entweder selbst oder als Führungskraft. Persönlichkeit ist ja im Endeffekt nichts anderes als die Gesamtheit aller meiner Rollen und Glaubenssätze und erlernten Strukturen, die ich habe, sowohl mental, körperlich als auch emotional.
Erst dann, wenn ich in der Lage bin, diese eingefahrenen Strukturen, sei es neuronale, aber auch mentale Strukturen, also Einstellungsmuster zu hinterfragen und upzudaten, bin ich in der Lage, auch andere Dinge zu tun oder die Dinge, die ich bisher getan habe, auch besser zu tun, oder vielleicht auch mal das, was ich nicht mehr tun sollte, zu lassen.
So entsteht dann das, was man Persönlichkeitsentwicklung nennt. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, das sagten die alten Griechen schon, und so kommt man dann praktisch immer mehr zu dem, was man wirklich sein könnte, die beste Version seiner selbst zu werden.
Und wenn möglichst viele Leute immer besser werden oder mehr von dem verwirklichen, was in ihnen als Potenzial angelegt ist, dann wird natürlich auch das Unternehmen besser.
BODYMEDIA: Bedeutet das, dass die häufigsten und größten Probleme, die in vielen Firmen vorherrschen, größtenteils auf den Unternehmer zurückzuführen sind? Wenn ja, können Sie das anhand von Beispielen verdeutlichen?
Steffen Kirchner: Es gibt einen schönen Satz, der lautet: Die Persönlichkeit des Unternehmers oder auch der Unternehmerin spiegelt sich direkt im Unternehmen wider. Man könnte sagen, Pinguine stellen immer Pinguine ein. Das heißt, dass eine bestimmte Grundstruktur der Führungsebene natürlich dazu führt, dass diese Muster, die ich bei mir selbst vielleicht wertschätze und mag, zu replizieren versuche.
Gleich und gleich gesellt sich gerne und am Ende des Tages hole ich mir Leute ins Unternehmen, die gut zu mir passen, und versuche dann Strukturen einzuführen, die eben auch zu meiner Struktur gut passen. Das gilt vielleicht nicht, wenn ich jetzt z. B. ein Familienunternehmen übernehme oder als Fremdgeschäftsführer in ein Unternehmen komme und dort schon fremde, vorgefundene Strukturen übernehmen muss.
Aber wenn ich es selbst aufbaue oder dem Unternehmen schon über Jahre meine Handschrift gegeben habe, dann ist es tatsächlich so, dass diese Unternehmerpersönlichkeit dann auch die Unternehmenspersönlichkeit oder das Branding mit allem, was dazugehört, entscheidend mitprägt.
BODYMEDIA: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Unternehmer in wichtigen Situationen häufig nicht das tun, was sie tun sollten?
Steffen Kirchner: Bei Entscheidungen ist es, glaube ich, erst mal wichtig, dass man immer vorsichtig ist bei der Unterscheidung, was richtige und was falsche Entscheidungen sind. Manchmal trifft man eine Entscheidung und danach entsteht etwas, das man nicht unbedingt wollte oder vorhergesehen hat.
Und dann spricht man natürlich schnell von der falschen Entscheidung. Das Ergebnis, wohin eine Entscheidung führt, ist oftmals erst deutlich später sichtbar und manchmal kann dann nach einer entsprechenden Entscheidung erstmal die Erstverschlechterung eintreten.
Steffen Kirchner ist gefragter Speaker und Unternehmenscoach (Bildquelle: © Steffen Kirchner Academy GmbH & Co. KG)
In der Medizin würde man vom Heilungsschmerz sprechen. Aber deswegen ist ja nicht die Therapie falsch, bloß weil der Schmerz erst mal zunimmt, sondern manchmal erhält man auch das, was man braucht, und nicht das, was man will. Genau aus diesem Grund treffen viele Unternehmer eben nicht die wirklich wichtigen Entscheidungen, weil sie natürlich richtig entscheiden möchten.
Aber meistens weiß man bei einer Entscheidung nicht, was die wirklich wichtige Entscheidung ist, gerade in der heutigen Zeit, in der es so viele Variablen und Ungewissheiten gibt.
Deswegen ist es eher wichtig, eine Entscheidung zu treffen, von der ich sagen kann, da stehe ich wirklich zu 100 % dahinter. Vielmehr gilt es, im Nachhinein dafür zu sorgen, dass die Entscheidung zu etwas Gutem führt. Das ist wichtiger, als sich im Vorfeld unter Druck zu setzen.
Unglückliche Entscheidungen, die dann auch nachhaltig zu etwas Schlechtem führen, haben oft auch mit emotionalen Dysbalancen im Moment der Entscheidungsfindung zu tun. Es gibt die Grundregel, keine wichtigen Entscheidungen in hochemotionalen Momenten zu treffen.
Unter hochemotionalen Momenten, und zwar egal welche Art von Emotion, ob negativ, frustriert, verärgert, traurig oder auch euphorisch, ist man mental nicht ganz zurechnungsfähig. Durch diese Verzerrung der Realität oder der Wahrnehmung der Realität kommen dann auch komische Entscheidungen zustande, die man manchmal im Nachgang nicht mehr richtig eingefangen bekommt, und deswegen ist ein wichtiges Element die Fähigkeit, in seine Mitte zu kommen.
BODYMEDIA: Unternehmer und Führungskräfte müssen jeden Tag wichtige Entscheidungen treffen. Welche Empfehlungen und Tipps haben Sie, damit auch tatsächlich die richtigen Entscheidungen getroffen werden?
Steffen Kirchner: Im Sport, wo ich herkomme, nennt man es Selbstregulationsfähigkeit. Das heißt zu wissen, wann ich was brauche, um sozusagen eine innere Balance wiederherzustellen. Manchmal muss man ein bisschen aufs Gaspedal drücken und dann braucht man eher die Bremse. Diese Regulationsfähigkeit in meinem System zu erzeugen, aber nicht nur in der Menge, sondern auch in der Qualität, ist die Eigenschaft, die es in dieser Zeit braucht.
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Wir sehen ja, dass so viele Stressfaktoren und Einflussfaktoren von außen, vor allem durch die Technologie getrieben, in einer hohen Geschwindigkeit auf uns zukommen, wie wir das bisher noch nie hatten. Das heißt, die technologischen Netzwerke haben sich deutlich schneller weiterentwickelt als die inneren Netzwerke.
Unser Gehirn ist von morgens bis abends überfordert. Wir erhalten heute an einem Tag mehr Information als die Leute vor 200 Jahren in einem Jahr. Evolution schreitet halt langsam voran und da hilft es nicht, die Technologie immer schneller zu machen. Dem dürfen wir Rechnung tragen.
Ich nenne das „Inner Programming“, also eine Art der inneren Programmierung. Das heißt, dass man sich selbst genauso gut managt wie die Prozesse im Außen. Und wenn man selbst stimmt und wieder in diesem Modus ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidungen auch stimmig sind, relativ hoch.
Selbstregulation hat viel mit allem zu tun, was auch u. a. in die Balance führt, wie z. B. Meditation. Es geht darum, voll bei dem zu sein, wo ich gerade bin, um mich nicht gedanklich schon mit der Zukunft zu beschäftigen oder noch in der Vergangenheit zu weilen. Präsenz im gegenwärtigen Moment, Achtsamkeit und Bewusstheit sind das Mittel, das wir brauchen.
In einer Multitasking-Gesellschaft, wo alle versuchen, immer drei Dinge gleichzeitig zu machen, entstehen eben genau diese Fehler, die Probleme und übrigens auch die Erschöpfungssyndrome.
BODYMEDIA: Einer der größten Erfolgsfaktoren für Firmen sind die Mitarbeiter. Wie sieht die ideale Mitarbeiterführung aus? Worauf müssen Unternehmer und Führungskräfte achten?
Steffen Kirchner: Sehr wichtig ist eine sogenannte motivorientierte Mitarbeiterführung. Das heißt, dass ich als Unternehmer wirklich verstehe, welche inneren Antreiber meine Mitarbeitenden haben. Jürgen Klopp war im Fußball einer der Ersten, der das im größeren Stil eingeführt hat.
Er hat mit einem System namens „Reiss Motivation Profile“ gearbeitet. Das ist eine Möglichkeit für eine Persönlichkeitsdiagnostik, um herauszufinden, was einen Menschen antreibt und was die jeweiligen Lebensmotive sind. In diesem Fall sind es 16 Stück. Man kann es mit anderen Methoden auch einfacher, aber im Endeffekt sichtbar machen, wofür Menschen innerlich brennen.
Man muss sich klarmachen, dass Mitarbeiter erst einmal nicht fürs Unternehmensziel brennen. Die wichtigste Aufgabe für eine Führungskraft ist es, zu verstehen oder es zu schaffen, die persönlichen emotionalen Ziele der Mitarbeitenden zu erfüllen. Denn erst, wenn du mir hilfst, meine Ziele zu erreichen, werde ich dir auch helfen, deine Ziele zu erreichen.
Es gilt das Reziprozitätsprinzip. Wenn es die Führungskraft schafft, die Mitarbeiterziele zu erfüllen und dass sich Menschen zugehörig fühlen und ein gewisses Maß an Autonomie haben, dann werden die Mitarbeitenden sich tatsächlich für die Unternehmensziele oder bestimmte Projektziele interessieren.
Deswegen würde ich immer motivorientiert führen, das heißt, ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ich darf als Unternehmer nicht mit irgendwelchem Lob oder variablen Gehaltsanteilen kommen. Das ist nicht schlecht, aber das ist zu wenig.
BODYMEDIA: Sie kommen aus dem Profisport. Gibt es Parallelen zum Unternehmertum? Was genau können Unternehmer von Sportlern lernen? Welche konkreten Strategien lassen sich auch als Unternehmer anwenden?
Steffen Kirchner: Das ist eigentlich der Kern meiner Arbeit, um genau das zu vermitteln. Es gibt ein paar Kernpunkte, von denen ich sagen möchte, darauf fokussiert es sich. Erstens natürlich das Thema Motivation. Wie schaffe ich es, Menschen zu emotionalisieren und zu motivieren, und zwar nicht durch die berühmte Kabinenansprache, sondern eben langfristig und ohne dass einer immer schreien oder incentivieren muss.
Wie schaffe ich es sozusagen, das innere Feuer zu entzünden? Der zweite Punkt ist natürlich die Frage, wie aus Einzelkönnern und Fachexperten ein Team wird, in dem alle nicht mehr miteinander, sondern im Idealfall füreinander arbeiten und schon gar nicht gegeneinander oder nebeneinander?
Drittens: das Change Mindset. Wie schafft man es, sich an sich ständig verändernde Situationen anzupassen? Mentale Fitness ist ja ein Kernelement im Profisport, das man lernen kann und auch lernen muss. Das heißt, sich an die verschiedenen Situationen anzupassen.
Dann ist natürlich Führungskraft entscheidend. Das hat viel mit Selbstführung zu tun, aber auch mit der Fähigkeit, meine Energie zu übertragen. Denn Menschen folgen nicht den Menschen, die ihnen irgendetwas sagen, sondern Menschen folgen immer denen, die ihnen mehr Energie geben oder auch mehr Energie haben.
Das heißt, Menschen folgen der Energie und nicht irgendwelchen Worten, sie folgen dem, was sie beobachten, und nicht irgendwelchen Ansagen, die sie erhalten. Das sind Kernelemente, die im Profisport wichtig sind, neben Routinen, Einstellungsprinzipien, Vorbereitung, Regeneration usw.
BODYMEDIA: Was können Unternehmer im Bereich Persönlichkeitsentwicklung tun, um besser und im Business erfolgreicher zu werden? Haben Sie konkrete Beispiele?
Steffen Kirchner: Ein wichtiger Aspekt ist immer auch an einem Thema, Projekt oder an einem Ziel zu arbeiten, für das man sich vielleicht gerade noch nicht bereit fühlt. Weil man dann gezwungen ist, in einen Bereich zu gehen, wo man sich noch nicht auskennt und Dinge lernen muss, die man bisher nicht kannte. Dafür lohnt es sich, Input zu holen – einen Coach braucht es dafür nicht unbedingt. Da helfen auch Seminare, Bücher oder Onlinekurse.
Ich bin ein Fan von Wissenskompetenz und Umsetzungskompetenz, und das darf parallel gehen. Es gibt Leute, die einfach machen, ohne wirklich zu verstehen, was sie eigentlich genau machen und wie man es noch besser machen könnte. Es gibt aber auch viele Leute und Unternehmen, die viel Zeit und Geld in Weiterbildung stecken, aber nicht verstehen, dieses erworbene Wissen umzusetzen.
Das heißt, die Umsetzungskompetenz kommt der Wissenskompetenz nicht hinterher. Deswegen, glaube ich, ist es immer wichtig, erst einmal zu arbeiten und sich auszuprobieren in einem Bereich, wo man noch Pionier ist, um dann festzustellen, was ich selbst hinbekomme und wo es noch eine Lücke gibt.
Dann ist es wichtig, sich gezielt auf die andere Seite zu begeben und Wissen, Impulse und Strategien aufzunehmen, um dann wieder weiterzugehen. Stefan Raab, der ein sehr erfolgreicher Unternehmer ist, hat das so schön gesagt: „Vorne ist immer dort, wo sich noch keiner auskennt.“ Und genau das ist auch aus meiner Sicht der unternehmerische Leitsatz.
Ich hatte mit Götz Werner, dem Gründer der DM-Drogeriemärkte, einen großartigen Mentor, der immer Folgendes gesagt hat: „Revolutionär denken, aber evolutionär umsetzen.“ Das ist auch genau das Prinzip von Stefan Raab. Revolutionär heißt, dorthin zu gehen, wo noch keiner war, und Dinge zu machen, die noch nie gemacht wurden.
Aber wir müssen es evolutionär umsetzen. Wir müssen Menschen mitnehmen, wir dürfen nicht zu schnell sein und wir müssen uns auch selbst mitnehmen, weil man sich bei dem Ganzen auch überfordern kann.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
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