Auf die Frage, warum sie trainieren, antworten viele Menschen, dass sie länger leben, abnehmen oder Muskeln aufbauen möchten. Das sind legitime Ziele, keine Frage – aber sie sind ergebnisorientiert.
Das Problem: Ergebnisse brauchen Zeit und Fortschritte können ausbleiben. Wer nur für ein weit entferntes Ziel trainiert, verliert schnell die Motivation. Deswegen ist es ratsam, Ziele zu ergänzen, die auch den Prozess stärken – und damit die Konstanz. Diese drei unterschätzten Trainingsziele helfen, langfristig gesund, flexibel und motiviert zu bleiben:
- Regelmäßig statt maximal: Kontinuität schlägt Intensität und Technik schlägt Gewicht
- Anpassen statt absagen: Trainingsplan und -pensum spontan an die Tagesform angleichen
- Training im Hier und Jetzt: Muskeln „zum Brennen bringen“ und Stimmungsaufhellung sind realistische Ziele einer Session
Das bedeutet: Es ist nicht nur wichtig, für sein Ziel zu trainieren, sondern auch für sich. Heute. Und morgen wieder.
Wenn das „Warum“ krank macht
Manche Menschen trainieren nicht, um sich gut zu fühlen – sondern aus Angst, sich schlecht zu fühlen, wenn sie es nicht tun. In einer Studie von Cosh und Team (2023) wurde dieses zwanghafte Trainingsverhalten untersucht: Vermeidungsverhalten, starre Regeln, Schuldgefühle bei Trainingspausen und der Verlust von Trainingsfreude – all das hing zusammen mit höheren Werten bei Depression, Stress, sozialer Körperangst und geringem Selbstwertgefühl.
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Besonders gefährlich: Diese Muster werden oft nicht als problematisch erkannt, da sie mit „Disziplin“ verwechselt werden können.
Das Studio als Spiegel gesellschaftlicher Erwartungen
In einer weiteren Studie von Cowley & Schneider (2025) zeigte sich, dass besonders Frauen im Fitnessstudio häufig unter Bewertungsdruck leiden – sei es durch Blicke, Kommentare oder das Gefühl, nicht „hineinzupassen“. Selbst die Wahl der Kleidung wird zur Herausforderung: zu eng, zu weit, zu wenig Marke? Das beeinflusst Motivation und Wohlbefinden.
Besonders Frauen leiden im Fitnessstudio häufig unter Bewertungsdruck (Bildquelle: © Iona – stock.adobe.com)
Gleichzeitig berichteten einige von Empowerment – besonders in Studios mit inklusiver Kultur und gegenseitiger Unterstützung.
Muskeldysmorphie: Wenn es nie genug ist
Bei Männern äußert sich Zwang oft in Form der Muskeldysmorphie – dem ständigen Gefühl, zu wenig Muskeln zu haben. In einer Studie von Underwood & Olivardia (2022) schildern Bodybuilder selbst, wie tief diese Wahrnehmung in Fitnesskultur und Männlichkeitsidealen verankert ist. Das Leben dreht sich nur noch um Training, Ernährung und das eigene Spiegelbild – mit massivem Leidensdruck.
Was Fitnessstudios tun können
Fitnessstudios und Trainer haben die Chance und die Verantwortung, psychisch gesundes Training zu fördern und problematische Verhaltensweisen frühzeitig zu erkennen – nicht nur durch Trainingspläne, sondern durch Bewusstseinsbildung. Konkrete Maßnahmen können sein:
- Sensibilisieren statt Stigmatisieren: Trainingszwang und Körperunzufriedenheit offen thematisieren – z. B. durch Workshops, Infomaterialien oder Kooperationen mit Psychologen.
- Werbung und Social-Media-Präsenz überdenken: weg von Sixpack-Modellen, hin zu realistischen, diversen Körperbildern. Fokus auf Gesundheit, Lebensfreude und Wohlbefinden (Big Why) statt Ästhetik (Small Why).
- Raum für Regeneration und Flexibilität schaffen: nicht nur Training pushen, sondern auch Pausen, spontane Änderungen, Schlaf, Ernährung und mentale Balance wertschätzen.
- Atmosphäre im Studio gestalten: klare Anti-Harassment-Regeln festlegen, gendersensible Gestaltung der Räume, wertschätzender Umgang – das Studio als Safe Space.
- Trainer schulen: Wissen über zwanghaftes Verhalten, Muskeldysmorphie und soziale Körperangst gehört zur professionellen Betreuung. Disziplin nicht immer automatisch loben.
Gesundheit ist mehr als ein Ziel – sie ist ein Weg
Zwanghaftes Training ist kein Randphänomen mehr. Es betrifft nicht nur Spitzenathleten, sondern auch Freizeitsportler – häufig unbemerkt. Trainingsziele sind wichtig, aber nur dann gesund, wenn sie nicht starr verfolgt, sondern mit Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse gestaltet werden. Wer regelmäßig aktiv ist, sollte das nicht trotz, sondern wegen seines Wohlbefindens tun. Denn das wichtigste Ziel ist nicht, perfekt zu sein, sondern dranzubleiben – auf gesunde Weise.
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Textquelle 1: Cosh, S. M., McNeil, D. G., & Tully, P. J. (2023). Compulsive exercise and its relationship with mental health and psychosocial wellbeing in recreational exercisers and athletes. Journal of Science and Medicine in Sport, 26(7), 338–344. doi.org/10.1016/j.jsams.2023.05.006
Textquelle 2: Cowley, E. S., & Schneider, J. (2025). “I sometimes feel like I can’t win!”: An exploratory mixed-methods study of women’s body image and experiences of exercising in gym settings. PLOS ONE, 20(1), e0316756. doi.org/10.1371/journal.pone.0316756
Textquelle 3: Underwood, M., & Olivardia, R. (2023). ‘The day you start lifting is the day you become forever small’: Bodybuilders explain muscle dysmorphia. Health, 27(6), 998–1018. doi.org/10.1177/13634593221093494
Textquelle 4: In Bestform: »Muskeln sind das männlichste aller Attribute«. (2022). Retrieved July 8, 2025, from: www.spektrum.de/kolumne/muskeln-sind-das-maennlichste-aller-attribute/1992049