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Training von und für Menschen mit und ohne Behinderung

Der Westpark in Hanau-Steinheim ist, so könnte man auf den ersten Blick meinen, eines von vielen Fitnessstudios in Deutschland. Doch weit gefehlt! Das Konzept der Anlage ist besonders und einmalig, denn es handelt sich um das bundesweit erste Fitness- und Gesundheitszentrum von und für Menschen mit und ohne Behinderung.

Die Eröffnung des Westparks in Hanau-Steinheim am 16. Oktober 2019 war gleichzeitig der Startschuss für ein bis dato einmaliges Konzept. In der 1.400 m² großen Anlage, die sich im Gebäude eines ehemaligen Lebensmitteldiscounters befindet, trainieren völlig selbstverständlich Menschen mit und ohne Behinderung. Die Westpark GmbH ist eine hundertprozentige Tochter des Behinderten-Werks Main-Kinzig e.V. (BWMK), einem gemeinnützigen Träger der freien Wohlfahrtspflege. Die Verantwortlichen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Inklusion zu leben und sie ganz selbstverständlich erfahr- und erlebbar zu machen. Zu den Dienstleistungen der BWMK-Gruppe, zu der mehrere Unternehmen zählen, gehört die Betriebliche Gesundheitsförderung. Aus diesem Bereich heraus ist letztlich die Idee für den Westpark entstanden, dass Menschen mit und ohne Behinderung, gemeinsam trainieren. Wladimir Römmich, Betriebsleiter des Westparks und in der BMWK-Gruppe für die Mitarbeitergesundheit verantwortlich ist, erinnert sich „Im Rahmen verschiedener BGF-Maßnahmen haben wir in der Vergangenheit immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass das Training in Fitnessstudios für Menschen mit Beeinträchtigung alleine wegen der fehlenden Barriere-freiheit schwierig sei. Dieses Feedback veranlasste den Vorstand dazu, sich mit Plänen eines eigenen Fitness- und Gesundheitszentrums zu beschäftigen. Von der ersten Idee bis zur Eröffnung dauerte es letztlich ca. dreieinhalb Jahre.“ 

Das Team des Westparks in Hanau-SteinheimWladimir Römmich, Leiter des Wetsparks (2. v. r.) und das Mitarbeiterteam, das von Anfang an dabei ist 

Anders und doch ganz normal 
Wenn man sich das Angebot und die Ausstattung des Westparks anschaut, so stellt man fest, dass es eigentlich keine Unterschiede zu einem „herkömmlichen“ Premiumclub gibt. Auf der Trainingsfläche gibt es zahlreiche Geräte für das Kardio- und Krafttraining sowie einen elektronischen Zirkel und einen Bereich für Beweglichkeitstraining und Functional Training. Abgerundet wird das Trainingsangebot durch das Kursprogramm und einen großen Outdoorbereich. Außerdem sind ein Wellnessbereich und eine Physiotherapiepraxis in die Anlage integriert. Nach dem Training lädt das Bistro zur Stärkung und zum geselligen Miteinander ein. „Zwar ist die Zusammensetzung unserer Zielgruppe außer-gewöhnlich, doch das Konzept und der Umgang mit den Mitgliedern unterscheidet sich nicht von anderen Studios. Dass bei uns Menschen mit und ohne Einschränkung trainieren, wird bei uns von beiden Seiten als völlig normal angesehen. Und auch wir, die Mitarbeiter, nehmen keine Unterschiede zwischen Behinderung und Nicht-Behinderung vor. Wir möchten all unsere Mitglieder konstant gut betreuen“, so Wladimir Römmich.  

 

Frau im Rollstuhl trainiert im Westpark in Hanau-SteinheimIm Westpark in Hanau-Steinheim trainieren völlig selbstverständlich Menschen mit und ohne Behinderung miteinander

 

Damit alle Mitglieder, sowohl diejenigen mit als auch ohne Behinderung, gleichermaßen auf ihre Kosten kommen, gibt es allerdings doch ein paar Besonderheiten, die anders sind als in anderen Anlagen. So ist der Westpark z. B. so konzipiert, dass er komplett barrierefrei ist und sich Rollstuhlfahrer ohne Einschränkungen fortbewegen können. Bei den Umkleiden wurde darauf geachtet, dass die Schränke auch im Sitzen gut zu erreichen sind, und die Duschen wurden so geplant, dass sie mit dem Rollstuhl gut befahrbar sind. Auch an die erforderliche Zusatz-ausstattung, wie z. B. spezielle Extra-Sitze, damit Rollstuhlfahrer problemlos duschen können, wurde gedacht. Selbstverständlich ist auch die Sauna rollstuhlgerecht gebaut worden und kann befahren werden. Auch auf der Trainingsfläche haben Rollstuhlfahrer und diejenigen, die einen Rollator benötigen, ausreichend Platz. Bei der Anordnung der Geräte wurde darauf geachtet, dass sie weit genug auseinander stehen. Zudem habe man, so Wladimir Römmich, bei den Kardiogeräten auf niedrige Einstiegsmöglichkeiten Wert gelegt. Damit auch Rollstuhlfahrer ihr Kardiotraining absolvieren können, wurde auf das ein oder andere Laufband und Crosstrainer verzichtet und stattdessen wurden einige Oberkörper-Ergometer integriert. Um den Check-in für die Rollstuhl-fahrer zu vereinfachen, wurde zudem die Empfangstheke so gebaut, dass die Mitarbeiter ihnen auf Augenhöhe begegnen können. Da im Westpark nicht nur Mitglieder mit Gehbehinderungen und Amputationen trainieren, sondern z. B. auch psychisch Kranke und geistig Behinderte, haben die Verantwortlichen bei der Gestaltung der Trainingsfläche weitere wichtige Dinge beachtet. Für die Mitglieder, die nicht lesen und schreiben können, spielt das Thema visuelle Unterstützung eine wichtige Rolle. So signalisiert der Zirkel beispielsweise anhand von Lichtsignalen die jeweilige Trainings- und Pausenzeit und zeigt über das Video auf dem Display des jeweiligen Geräts die korrekte Übungsausführung, sodass auch diese Mitglieder effizient und sicher trainieren können. 

 

Frau macht Kardiotraining im Westpark in Hanau-SteinheimDer Kardiobereich ist mit einigen Oberkörper-Ergometern ausgestattet, sodass auch Rollstuhlfahrer problemlos ihr Training absolvieren können

 

Auch Mitarbeiter mit Behinderung zählen zum Team
Im Westpark trainieren nicht nur Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Einschränkungen. Zum Mitarbeiterteam zählen ebenfalls Personen mit Behinderung. Als Inklusionsunternehmen ist der Westpark dazu verpflichtet, dass sich die Hälfte des Personals aus Behinderten zusammensetzt. Um Menschen mit Einschränkungen an die Arbeit in einem Fitness- und Gesundheitsstudio heranzuführen, hat der Bildungscampus des BMWK in enger Zusammenarbeit mit dem Westpark die Ausbildung zum „Assistent für Fitness und Gesundheit“ konzipiert. „Wir schauen natürlich vorher, wer sich für den Job im Westpark eignen könnte. Die Ausbildung dauert ein halbes Jahr und umfasst verschiedene Module. Nach der Ausbildung ist der Start im Westpark so geregelt, dass jeder Kollege mit Einschränkung einen erfahrenen Kollegen zugewiesen bekommt, der die Arbeitsabläufe detailliert erklärt. Nach kurzer Zeit können die neuen Mitarbeiter dann Geräteeinweisungen und einen Großteil der Fragen der Mitglieder selbst beantworten. Die Erfahrungen zeigen, dass das reibungslos klappt. Alle Mitarbeiter, egal ob mit Einschränkung oder ohne, werden von unseren Mitgliedern akzeptiert und geschätzt“, erklärt Wladimir Römmich. Neben den Mitarbeitern mit Einschränkung zählen Sportwissenschaftler, Fitness-Trainer und Physiotherapeuten zum Team des Westparks. Ein wichtiger Punkt, der das Westpark-Team auszeichnet, ist die intensive Kommunikation. So kommunizieren beispielsweise die Mitarbeiter auf der Trainingsfläche nahezu täglich mit den Physiotherapeuten, um zu besprechen, bei welchen Mitgliedern die Verknüpfung beider Bereiche sinnvoll ist und welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden könnten. Doch nicht nur auf die Kommunikation innerhalb des Teams wird Wert gelegt, auch der Austausch mit den Mitgliedern steht im Fokus. Nur so sei es möglich, die Betreuungsqualität konstant aufrechtzuhalten, so Wladimir Römmich. 

Fazit
Das Tolle am Westpark ist, dass er anders und dennoch ganz normal ist! Es wird nicht unterschieden zwischen Mitgliedern mit und ohne Behinderung. Alle sind gleich und das Trainingsangebot inklusive Kurse kann von jedem genutzt werden. Und genau diese Tatsache macht den Westpark zu einem Vorzeigeprojekt, das sowohl in der Behinderten-szene als auch durch die lokale Presse jede Menge Zuspruch erfahren hat. Da selbst Menschen extra aus Aschaffenburg und dem Frankfurter Raum zum Training in den Westpark kommen, sollte das Ziel, die Mitgliederzahl von derzeit 350 bis Ende des Jahres auf 500 auszubauen, mühelos erreicht werden. Viel wichtiger ist, dass die Idee und das Konzept, dass sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung beim gemeinsamen Training begegnen, funktioniert und bereits einige weitere Träger Interesse bekundet haben, Projekte nach dem Vorbild des Westparks ins Leben zu rufen. Und wer weiß, vielleicht erfüllt sich auch der Wunsch von Wladimir Römmich, dass das Thema Inklusion in der Fitnessbranche weiter in den Fokus rückt und weitere Studios Angebote für diese Zielgruppe schaffen. 

Der Autor

  • Constantin Wilser

    Constantin Wilser ist seit 2006 in der Fitnessbranche als Redakteur tätig. Davor absolvierte er sein Bachelor-Studium der Sportwissenschaften am KIT in Karlsruhe. Seit 2019 ist er Bestandteil des BODYMEDIA-Redaktionsteams. Seit Anfang 2023 ist er Chefredakteur. In seiner Freizeit trainiert der Fußball-Fan gerne im Studio, geht laufen oder fiebert im Fußball-Stadion mit.

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