Eigentlich gibt es nichts schönzureden. Bereits 2017 prognostizierte eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragte Studie, dass das Ungleichgewicht zwischen Fachkräfteangebot und -bedarf im nichtärztlichen Bereich der Gesundheitswirtschaft bis 2030 seinen Tiefpunkt erreichen wird.
Viele Therapeuten gehen, wenige kommen
Die Gründe für diese Schieflage sind komplex und vor allem nicht über Nacht aus der Welt zu schaffen. Kurz gesagt, es ist kompliziert. Eine rasant alternde Gesellschaft mit erhöhtem therapeutischen Bedarf gehört dabei ebenso zu den unveränderbaren Fakten wie die alarmierend hohe Zahl an Physiotherapeuten, die demnächst das Rentenalter erreichen werden.
Bereits 2025 wird der erste Jahrgang die Ausbildung an der Gisela Eckstein Akademie abschließen (Bildquelle:© Gisela Eckstein Akademie)
Verhandelbar bleibt allein die Frage, warum so wenige Nachwuchskräfte den Beruf als attraktiv wahrnehmen. An konkreten Bestrebungen, dies zu ändern, mangelt es derweil nicht: Schulgeldbefreiung, Vergütung für Auszubildende an kommunalen Krankenhäusern und Unikliniken oder die vorangetriebene Akademisierung der Physiotherapie, von der man sich eine Qualitätsentwicklung in der Versorgung verspricht, sind hier wichtige Maßnahmen.
Dennoch bestehen weiterhin Baustellen, wie eine leistungsgerechte Bezahlung der Branche, alternative Arbeitszeitmodelle, Entwicklungsmöglichkeiten für Physiotherapeuten im Angestelltenverhältnis oder eine grundlegende Ausbildungsreform. Die Bilanz ist nach wie vor ernüchternd: Aktuell bleiben Stellen im Schnitt über acht Monate unbesetzt.
Aus der Not eine Tugend machen
Als Unternehmerin im Gesundheitswesen reagiere ich seit zwanzig Jahren flexibel auf Marktanforderungen. Die Lust, Dinge eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen und zu gestalten, gehört dazu. Was also wäre, wenn wir unseren eigenen Nachwuchs ausbilden würden, der dann zukünftig den Standorten des Physio Zentrums Sauerland zur Verfügung stünde? Das waren initiale Gedanken im Coronajahr 2021. In 2025 wird der erste Jahrgang die Ausbildung an der Gisela Eckstein Akademie abschließen, der zweite Jahrgang läuft und die Anmeldezahlen für den dritten Jahrgang stimmen.
Dem vorausgegangen sind ausgesprochen fordernde Jahre. Wir waren absolute Novizen in Sachen Schulgründung, Genehmigungsverfahren und in allen Fragen zur staatlichen Anerkennung auch. Gleichzeitig galt es, geeignete Räumlichkeiten zu finden und ein Schulkonzept zu entwickeln, das uns unterscheidet und besonders macht.
Mehr erfahren: Höhere Glaubwürdigkeit bedeutet besseres Recruiting für die Physiopraxis
Ziel war von Beginn an, den Synergieeffekt der aktiv aufgebauten Kooperation mit dem ortsansässigen Krankenhaus und weiteren regionalen physiotherapeutischen Einrichtungen zu nutzen, um eine maximal patientennahe Ausbildung anbieten zu können. Ihre ersten begleiteten Gehversuche in Richtung Praxis machen unsere Schüler deshalb bereits einen Monat nach Schulstart.
Als Hospitanten lernen sie die verschiedenen medizinischen Bereiche kennen, in denen Physiotherapeuten tätig sind, sammeln Eindrücke und haben die Chance, frühzeitig herauszufinden, welcher Fachbereich für den eigenen Berufsweg als besonders spannend erscheint. Zusätzlich komplettiert ein breit angelegtes Training für soziale und kommunikative Kompetenzen den schuleigenen Lehrplan, um den Schülern effiziente Mittel an die Hand zu geben, die sie befähigen, im Patientenkontakt Situationen einschätzen und kommunikativ gestalten zu können.
Natürlich agieren wir an der Gisela Eckstein Akademie (GEA) wie jede andere Berufsfachschule für Physiotherapie auch im Rahmen der allgemein verbindlichen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Doch bin ich davon überzeugt, dass es innerhalb des Systems möglich und zielführend ist, zusätzliche Lerninhalte anzubieten, die eine zeitgemäße physiotherapeutische Ausbildung ebenso im Blick haben wie eine Schülerschaft, die nicht mehr dieselbe ist wie noch vor zehn oder zwanzig Jahren.
Schulgründung als Gestaltungsweg
Als Unternehmerin habe ich mir deshalb die Frage gestellt, welche Möglichkeiten einer erfüllten Ausbildung und Berufsausübung ich angehenden Physiotherapeuten bieten möchte und kann. So stehen etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gehaltsvorstellungen und individuelle Möglichkeiten der beruflichen Verwirklichung bei der nachfolgenden Generation ganz oben auf der Liste.
Hierüber mit den Absolventen und Absolventinnen der GEA konstruktiv ins Gespräch zu kommen, Konzepte neu zu denken, Chancen und Grenzen auszuloten und sie für den Standort dauerhaft zu gewinnen, ist meine Aufgabe. Den einen Königsweg, um der Misere des Fachkräftemangels zu entkommen, gibt es sicherlich nicht.
Es gibt jedoch kleinere Stellschrauben, die die Attraktivität des Berufes erhöhen und mittelfristig zur Gewinnung des physiotherapeutischen Nachwuchses als Mitarbeitende beitragen können. Mit der Gründung der Gisela Eckstein Akademie haben wir uns für einen möglichen und gangbaren Weg entschieden.
Bildquelle Header: © Gisela Eckstein Akademie