Das Wichtigste in Kürze:
- Long-COVID betrifft rund 6–15 % der Infizierten in Deutschland und zeigt sich durch über 200 unterschiedliche Symptome – darunter Fatigue, Atemnot, „Brain Fog“ und Belastungsintoleranz.
- Körperliche Aktivität, insbesondere individualisiertes Training, verbessert nachweislich die Sauerstoffversorgung durch positive Einflüsse auf die roten Blutkörperchen.
- Das TRIBAL-Trainingsprogramm basiert auf diesen Erkenntnissen und ist derzeit die einzige wissenschaftlich evaluierte Therapieform für Long-COVID.
- TRIBAL kombiniert strukturierte Testverfahren mit stufenweise angepasstem Training und einer App zur Echtzeitsteuerung. Die Teilnahme ist für gesetzlich Versicherte möglich, sofern der ICD-Code U09.9 vorliegt und ein Schweregrad ≤ 3 besteht.
Interview mit Dr. Björn Haiduk
BODYMEDIA: Wie sehen die typischen Long-COVID-Symptome aus? Wie unterscheiden sich diese z. B. von einer Erkältung oder Grippe?
Dr. Björn Haiduk: Long-COVID bezeichnet ein Spektrum von Symptomen, die Wochen bis Monate nach der akuten Phase einer COVID-19-Infektion persistieren können. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind die häufigsten Symptome von Long-COVID extreme Erschöpfungszustände (Fatigue), kognitive Beeinträchtigungen, oft als „Brain Fog“ bezeichnet, sowie Belastungsintoleranz.
Darüber hinaus berichten Betroffene über Atembeschwerden, anhaltenden Husten, Brustschmerzen, Herzklopfen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen sowie Gelenk- oder Muskelschmerzen. Insgesamt werden mehr als 200 verschiedene Symptome mit Long-COVID assoziiert, die intermittierend auftreten und in ihrer Intensität stark variieren können.
Während sowohl Erkältungen als auch Grippe virale Infektionen sind, die ähnliche akute Symptome hervorrufen – wie Fieber, Husten, Halsschmerzen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen –, sind diese Beschwerden in der Regel vorübergehend und klingen innerhalb weniger Tage bis zu zwei Wochen ab. Im Gegensatz dazu ist Long-COVID durch eine Vielzahl anhaltender Symptome charakterisiert, die nicht nur über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen haben können.
Ein weiterer entscheidender Unterschied besteht darin, dass die Symptome von Long-COVID nicht notwendigerweise mit der Schwere des akuten Verlaufs der COVID-19-Erkrankung korrelieren. Das bedeutet, dass selbst Personen mit milden Verläufen an Long-COVID leiden können. Diese chronischen Symptome stellen eine signifikante Herausforderung für das Gesundheitssystem dar und erfordern eine differenzierte Betrachtung. Long-COVID stellt sich als komplexes Syndrom dar, dessen Symptomatik weit über die typischen Beschwerden einer Erkältung oder Grippe hinausgeht und das Potenzial hat, langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen zu verursachen.
BODYMEDIA: Wie viele Menschen sind derzeit in Deutschland bzw. weltweit an Long-COVID erkrankt?
Dr. Björn Haiduk: Die Prävalenz von Long-COVID in Deutschland wird derzeit auf etwa 6 bis 15 % der COVID-19-Infizierten geschätzt, was einer Anzahl von ungefähr 5,1 bis 12,73 Millionen Betroffenen entspricht (Peters et al., 2022; RKI, 2024). Diese Schätzungen basieren auf einer bevölkerungsbasierten Studie, die die postakuten Fälle von COVID-19 sechs bis zwölf Monate nach der Infektion untersucht hat (Peter et al., 2022).
Auf globaler Ebene variieren die Schätzungen zur Häufigkeit von Long-COVID erheblich, abhängig von den jeweiligen epidemiologischen Bedingungen und den verwendeten Definitionen. Es wird angenommen, dass weltweit 400 Millionen Menschen an Long-COVID leiden, wobei genaue Zahlen schwer zu ermitteln sind (Al-Aly et al., 2024).
Die Auswirkungen dieser Erkrankung sind nicht nur gesundheitlicher Natur, sondern auch ökonomischer Art. Die jährlichen Kosten für das Gesundheitswesen im Zusammenhang mit Long-COVID werden auf etwa 1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geschätzt, was in Deutschland rund 41,9 Milliarden Euro entspricht (Al-Aly et al., 2024).
BODYMEDIA: Gibt es den typischen Long-COVID-Patienten? Welche Personen sind am häufigsten von der Erkrankung betroffen?
Dr. Björn Haiduk: Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, da das Krankheitsbild von Long-COVID durch eine erhebliche Heterogenität in den Symptomen und deren Ausprägungen gekennzeichnet ist. Ein einheitliches Krankheitsprofil kann aufgrund der individuellen Unterschiede in der Symptomatik und den betroffenen Personengruppen nicht definiert werden.
TRIBAL ist eine komplexe Therapie- und Trainingsform, deren zentraler Bestandteil eine individualisierte und stufenspezifische Trainingsintervention darstellt (Bildquelle: © S.P.O.R.T. Instituts Overath)
Eine Studie von Carfi et al. (2020) zeigt, dass 87 % der Patienten auch 60 Tage nach dem Auftreten der ersten COVID-19-Symptome weiterhin mindestens ein Leitsymptom aufwiesen. Dies verdeutlicht die Persistenz der Symptome über den akuten Verlauf hinaus.
Zu den Leitsymptomen zählen:
- Fatigue und Belastungsintoleranz (53 %)
- Atembeschwerden (43 %)
- Muskel- und Gelenkschmerzen (27 %)
- Brustschmerzen (22 %).
Darüber hinaus wurden Gedächtnisprobleme dokumentiert, die in einigen Fällen zu Beeinträchtigungen normaler Bewegungsabläufe führten. Zudem berichteten 44 % der untersuchten Personen von einer anhaltenden Verschlechterung ihrer Lebensqualität.
In Bezug auf die demografischen Merkmale der am häufigsten betroffenen Personen zeigen aktuelle Studien, dass Long-COVID sowohl Menschen mit milden als auch mit schweren Verläufen der COVID-19-Erkrankung betreffen kann. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen tendenziell häufiger betroffen sind als Männer und dass jüngere Erwachsene sowie Personen mit bestimmten Vorerkrankungen ein höheres Risiko für die Entwicklung von Long-COVID aufweisen könnten. Es lässt sich festhalten, dass Long-COVID ein komplexes Syndrom darstellt, dessen Symptome individuell variieren und das verschiedene Bevölkerungsgruppen betreffen kann.
BODYMEDIA: Wie lässt sich Long-COVID behandeln? Welche Rolle spielt gezieltes Training für den Behandlungserfolg? Gibt es hierzu wissenschaftliche Studienergebnisse?
Dr. Björn Haiduk: Die Behandlung von Long-COVID, als komplexes Krankheitsbild, stellt eine erhebliche Herausforderung dar, die ein tiefes Verständnis der zugrunde liegenden Pathomechanismen erfordert. Um geeignete Behandlungsansätze zu entwickeln, war es entscheidend, die Mechanismen zu identifizieren, die für die Symptome verantwortlich sind.
Eine zentrale Erkenntnis aus den Studien zu COVID-19 und den Ergebnissen des TRIBAL-Programms ist die Identifizierung einer veränderten Morphologie der roten Blutzellen als wesentlichen Pathomechanismus. Diese Veränderungen beeinträchtigen die Blutflussdynamik und somit die Sauerstoffversorgung des Gewebes, was signifikant mit einer Vielzahl von Long-COVID-Symptomen, insbesondere Fatigue, korreliert (Grau et al., 2024).
Aus der Sportwissenschaft ist bekannt, dass mechanische Reize durch körperliche Aktivität positive Effekte auf die Morphologie der roten Blutzellen haben und somit die Sauerstoffversorgung verbessern können (vgl. Haiduk, 2022). In diesem Kontext stellt körperliche Aktivität bzw. gezieltes Training einen wesentlichen therapeutischen Ansatz und eine entscheidende Rolle im Behandlungserfolg von Long-COVID dar. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Dosierung dieser Aktivitäten individuell angepasst werden muss, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Ein weiterer innovativer Bestandteil von TRIBAL ist die TRIBAL-App, welche als digitale Behandlungsanweisung fungiert und als technische Anleitung, die individuelle Dosierung des Trainings ermöglicht (Bildquelle: © Sergey Peterman – stock.adobe.com, © S.P.O.R.T. Instituts Overath)
TRIBAL hat nicht nur dazu geführt das Phänomen und ein wesentliches Problem hinter Long-COVID besser zu verstehen, sondern auch direkt eine Lösung geliefert. Das war das Ziel. TRIBAL ist eine komplexe Therapie- und Trainingsform, deren zentraler Bestandteil eine individualisierte und stufenspezifische Trainingsintervention darstellt. Zusätzlich ist es die einzige Innovation, deren Wirksamkeit bei Long-COVID wissenschaftlich nachgewiesen wurde.
Ein weiterer innovativer Bestandteil von TRIBAL ist die TRIBAL-App, welche als digitale Behandlungsanweisung fungiert und als technische Anleitung, die individuelle Dosierung des Trainings ermöglicht. Die Behandlungsanweisung ist patentiert und bietet Therapeuten eine benutzerfreundliche Plattform zur Behandlung und zur Anpassung ihrer Trainingsprogramme in Echtzeit. Gleichzeitig ermöglicht die App, eine Qualitätssicherung durch das S.P.O.R.T Institut durchzuführen. Wissenschaftliche Studien belegen bereits den positiven Einfluss von TRIBAL-Training auf Long-COVID-Symptome.
BODYMEDIA: Sie haben das TRIBAL-Trainingsprogramm entwickelt. Für welche Patienten ist das Training geeignet, über welchen Zeitraum ist das Training angelegt und wie genau sieht ein solches Training aus?
Dr. Björn Haiduk: TRIBAL wurde speziell für Patienten mit Long-COVID entwickelt, die gemäß dem ICD-Code U09.9 klassifiziert sind und in den Schweregrad 3 oder weniger nach Klok et al. (2020) eingeordnet werden können. Dieses Programm ist darauf ausgelegt, eine breite Patientengruppe zu unterstützen, die unter den langfristigen Folgen einer COVID-19-Infektion leidet.
Ein wesentliches Merkmal von TRIBAL ist, dass es zeitlich nicht limitiert ist. Das Training wird über einen Zeitraum von mehreren Monaten durchgeführt, wobei eine Frequenz von zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche angestrebt wird. Ziel des Programms ist es, die Patienten schrittweise zu einem Schweregrad von 1 zu führen, was eine signifikante Verbesserung ihrer Symptome und Lebensqualität impliziert.
Die Struktur des Trainingsprogramms gliedert sich in zwei wesentliche Phasen:
- Zu Beginn des Programms erfolgt eine umfassende Testung der individuellen Leistungsfähigkeit und der gesundheitlichen Ausgangssituation der Patienten. Die Testung dient dazu, die komplexen und individuellen Parameter der funktionalen Einschränkungen zu identifizieren.
- Nach der Testung folgt die eigentliche Trainingsphase. Diese umfasst individuell angepasste Belastungsintensität, die auf die Verbesserung der körperlichen Fitness und der allgemeinen Gesundheit abzielt. Die Trainingseinheiten werden in Echtzeit evaluiert und angepasst, um sicherzustellen, dass sie den Fortschritt der Patienten optimal unterstützen.
BODYMEDIA: Welche Voraussetzungen gibt es für Patienten, um an dem TRIBAL-Trainingsprogramm teilnehmen zu können?
Dr. Björn Haiduk: Zunächst müssen die Patienten den Diagnosecode gemäß ICD-10: U09.9 aufweisen, der spezifisch für Long-COVID-Fälle definiert ist. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Patienten in den Schweregrad 3 oder weniger eingestuft werden. Diese Einstufung stellt sicher, dass die Teilnehmer über eine ausreichende körperliche Leistungsfähigkeit verfügen, um an dem Programm teilnehmen zu können, ohne dass gesundheitliche Risiken entstehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Die Patienten sollten GKV-versichert sein, um die finanziellen Aspekte der Teilnahme am TRIBAL-Programm abdecken zu können.
BODYMEDIA: Wo wird das TRIBAL-Trainingsprogramm derzeit angeboten? Können auch Fitness- und Gesundheitsstudios sowie Physiotherapiepraxen das Training anbieten? Wenn ja, welche Voraussetzungen sind hierfür erforderlich?
Dr. Björn Haiduk: Die zentrale Koordinationsstelle für TRIBAL ist das S.P.O.R.T Institut in Overath. Darüber hinaus haben Physiotherapiepraxen, die über eine Zulassung für Krankengymnastik am Gerät verfügen, die Möglichkeit, das TRIBAL-Programm im Rahmen einer Kooperation als TRIBAL-COOP anzubieten.
Es ist jedoch von wesentlicher Bedeutung, darauf hinzuweisen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Durchführung des Programms gegenwärtig im Wandel befinden. Es wurde erkannt, dass die langfristige Behandlung von Patienten mit Long-COVID sowie von Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen nicht allein durch physiotherapeutische Maßnahmen abgedeckt werden kann.
In Anbetracht dieser Herausforderungen hat der gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie zur berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung von Patienten mit diesen Krankheitsbildern beschlossen. Diese Richtlinie zielt darauf ab, eine strukturierte, umfassendere und nachhaltigere Betreuung sicherzustellen, indem verschiedene Gesundheitsberufe zusammenarbeiten und ihre Ressourcen bündeln.
In diesem Kontext stellt das TRIBAL-Programm eine Blaupause für diese Richtlinie dar und setzt Maßstäbe für eine neue Versorgungsstruktur. Darüber hinaus befassen sich die Innovationsausschüsse einiger großer Krankenkassen derzeit intensiv mit dem TRIBAL-Programm als innovative Therapie- und Versorgungsmethode.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
Interview mit Stefan Polzer
Stefan Polzer ist Inhaber des J+ JUST MORE. Nach einer Corona-Infektion im September 2022 leidet er unter Long-COVID. Seinen Gesundheitszustand – er leidet u. a. unter extremer Erschöpfung, Atemproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten und Bluthochdruck – versucht er durch das TRIBAL-Programm zu verbessern.
BODYMEDIA: Stefan, du bist an Long-COVID erkrankt. Wie hast du das festgestellt? Unter welchen Symptomen hast du gelitten?
Stefan Polzer: Ich leide unter Kurzatmigkeit nach Belastung, einem dauerhaft hohen Ruhepuls (teilweise über 100), Bluthochdruck und insbesondere unter dem Fatigue-Syndrom. Die Müdigkeit, die fehlende Leistungsfähigkeit und die anhaltende Erschöpfung haben mich stark eingeschränkt.
BODYMEDIA: Wie geht es dir aktuell? Kann man schon absehen, wann du wieder vollständig genesen bist?
Stefan Polzer: Mittlerweile geht es mir etwas besser – vor allem das Fatigue-Syndrom ist deutlich schwächer geworden, sodass ich wieder etwas leistungsfähiger bin. Allerdings sind die anderen Symptome weiterhin vorhanden. Eine vollständige Genesung? Nach meinem Besuch in der Infektionsambulanz der Universität Köln wurden meine Hoffnungen etwas gedämpft, da es derzeit keine wirklichen Behandlungsmöglichkeiten gibt – außer abzuwarten, ein wenig Physiotherapie, Ergotherapie, Atemtraining. Deshalb setze ich große Hoffnung auf das TRIBAL-Trainingsprogramm.
BODYMEDIA: Du absolvierst u. a. auch das TRIBAL-Trainingsprogramm. Seit wann absolvierst du das Training? Hat sich dein Gesundheitszustand durch das Training bereits verbessert?
Stefan Polzer: Seit Januar bin ich im TRIBAL-Programm. In Kombination mit meiner Stoffwechselkur, die ich ebenfalls seit Januar durchführe und durch die ich bereits 14 kg abgenommen habe, merke ich tatsächlich eine Verbesserung meines Zustands.
BODYMEDIA: Wie engagierst du dich, um diese Therapieform auch anderen zugänglich zu machen?
Stefan Polzer: In Zusammenarbeit mit unserer Physiopraxis haben wir eine Kooperation mit dem S.P.O.R.T. Institut gestartet, um diese Therapieform vielen Betroffenen zugänglich zu machen. Unser Ziel ist es, Menschen mit ähnlichen Symptomen eine echte Chance auf Besserung zu geben – und damit auch ihre Lebensqualität wiederherzustellen.
Für Physiotherapeuten bietet sich dabei die Möglichkeit, Patienten auf eine sanfte Art zu behandeln. Der große Vorteil für die Patienten ist, dass die Therapie über die Krankenkasse abgerechnet werden kann. Zudem lassen sich mehrere Patienten gleichzeitig betreuen.
Mit jedem Fortschritt in der Therapie gewinnen die Teilnehmer auch die Freude am Sport zurück – und aus wirtschaftlicher Sicht könnten sie später potenzielle Kunden werden. Das ist jedoch nur ein Nebeneffekt. Der Fokus liegt ganz klar auf dem Menschen und seiner Gesundheit.
BODYMEDIA: Vielen Dank.
Bildquelle Header: © S.P.O.R.T. Instituts Overath