Das Wichtigste in Kürze
- Vertrauen, persönliche Ansprache und echtes Gesehenwerden sind die Nr.-1-Treiber langfristiger Studiotreue.
- Kündigungsgründe sind selten das, was sie scheinen: Zeitmangel & Co. werden oft zu simpel interpretiert – dahinter stecken meist komplexere Motivations- und Lebenslagen.
- Haltung schlägt Hardware: Nicht mehr Geräte, sondern mehr Zuhören und Empathie schaffen die Basis für Motivation und Veränderung.
- Mit MI-Spirit (Empathie, Akzeptanz, Partnerschaft, Empowerment) wird aus „Ausrede“ ein Ansatzpunkt – und aus Mitgliedern echte Langzeitfans.
Die Mitgliederbindung ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren in der Fitnessbranche. Hier lautet die bestimmende Frage: Was hält Menschen langfristig in einem Fitnessstudio? Es sind vor allem Vertrauen, persönliche Ansprache und das Gefühl, wirklich gesehen zu werden. Untermauert wird das durch eine aktuelle Studie von Attri, Bhagwat & Reardon (2024), die zeigt, dass ein positives Service-Umfeld eine entscheidende Rolle für Loyalität und langfristige Bindung in Fitness- und Gesundheitseinrichtungen spielt.
Mit diesem Wissen können wir uns die Frage stellen, warum so viele Mitglieder, obwohl sie ihre Ziele noch nicht erreicht haben, wieder kündigen. Untersuchungen zeigen, dass rund 50 % der Mitglieder innerhalb der ersten sechs Monate aussteigen – meist aufgrund fehlender Motivation oder einer nicht passenden Trainingsroutine. Als Gründe nennen Mitglieder u. a.:
- Zu wenig Zeit (42 %)
- Berufliche Verpflichtungen und Projekte (28 %)
- Unsicherheit bei der Umsetzung des Trainings (16 %)
- Enttäuschung, weil sichtbare Veränderungen ausbleiben (14 %)
Aber entscheidend ist nicht nur, warum Mitglieder offiziell aufhören, sondern wie diese Gründe von Dienstleistern gelesen und gedeutet werden. In der Praxis entstehen dabei oft verkürzte Interpretationen:
- „Zu wenig Zeit“ wird übersetzt mit: Das Mitglied setzt falsche Prioritäten oder hat ein schlechtes Zeitmanagement.
- „Berufliche Verpflichtungen“ gelten schnell als: typische Sommerloch- oder Jahresend-Ausrede.
- „Unsicherheit bei der Umsetzung“ wird gedeutet als: fehlende Eigenverantwortung – der Trainingsplan liegt ja vor.
- „Enttäuschung, weil Veränderungen ausbleiben“ führt zur Annahme: Eigenverschulden – er oder sie müsste nur häufiger ins Training kommen.
Weniger Schublade, mehr Zuhören
Hinter all diesen Deutungen steckt ein Muster: Wir hören zu wenig hin und packen Mitglieder zu schnell in Schubladen. Doch Menschen sind komplexer – ihre Gründe, Motivation zu verlieren, ebenfalls. Wer genauer hinsieht, entdeckt nicht Ausreden, sondern Ansätze, um Vertrauen und Motivation neu zu entfachen. Und braucht es dafür wirklich noch mehr Geräte, bessere Angebote oder immer neue Rabatte? Oder wäre es nicht viel kraftvoller, endlich wieder den Menschen ins Zentrum zu rücken?
Hier hilft die Motivierende Gesprächsführung
Die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ist ein wissenschaftlich fundierter Gesprächsansatz, der Menschen dabei unterstützt, ihre eigene Motivation zur Veränderung zu entdecken und zu stärken. Die Begründer William Miller und Stephen Rollnick definieren MI folgendermaßen: „Motivierende Gesprächsführung ist eine besondere Art, mit Menschen über Veränderung und Wachstum zu sprechen – mit dem Ziel, ihre eigene Motivation und Verpflichtung zu stärken.“ Entwickelt wurde MI Anfang der 1980er-Jahre in der Arbeit von William Miller mit suchtkranken Klienten. Gemeinsam mit Stephen Rollnick griff er dabei zentrale Gedanken des Humanisten Carl Rogers auf, dem Begründer der klientenzentrierten Gesprächstherapie. Rogers prägte drei Grundhaltungen, die bis heute für jede Form der Gesprächsführung grundlegend sind: Kongruenz (Echtheit), unbedingte Wertschätzung und Empathie.

Was Menschen langfristig an ein Fitnessstudio bindet, sind vor allem Vertrauen, eine persönliche Ansprache und das Gefühl, wirklich gesehen zu werden (© Dusan Petkovic – stock.adobe.com)
Das war ein klarer Bruch mit den Methoden der damaligen Zeit: In den 1960er- und 1970er-Jahren war die Suchttherapie häufig von einem harten, konfrontativen Stil geprägt. Patienten wurden direkt mit ihrem problematischen Verhalten konfrontiert – in der Annahme, dass Druck und Klartext Einsicht und Veränderung fördern würden. Die Praxis zeigte jedoch das Gegenteil: Statt Veränderung entstand meist Widerstand. Miller und Rollnick entwickelten die Motivierende Gesprächsführung als Gegenentwurf. An die Stelle von Konfrontation traten Partnerschaftlichkeit, Akzeptanz, Mitgefühl und Empowerment. Diese vier Punkte beschreiben die Grundhaltung – den sogenannten MI-Spirit. Ziel ist es, dass Menschen ihre eigene Motivation zur Veränderung entdecken und gestärkt werden, diese auch umzusetzen.
Warum ist die Grundhaltung so entscheidend?
Die Grundhaltung bestimmt, ob Gesprächstechniken überhaupt wirken. Ein empathisches Nachfragen kann motivierend wirken – oder belehrend, je nachdem, mit welcher inneren Haltung es geschieht. Fachwissen und Trainingspläne sind wertlos, wenn Mitglieder sich nicht verstanden fühlen. Genau deshalb ist der MI-Spirit kein „Soft Skill“, sondern eine Kernkompetenz: Er entscheidet über Motivation, Umsetzung und langfristige Mitgliederbindung – und damit auch über den wirtschaftlichen Erfolg eines Fitnessstudios.
Um eine Brücke von der Suchtberatung zu Fitness- und Gesundheitsthemen zu schlagen, braucht es nicht viel. Auch hier geht es im Kern darum, ungünstige Verhaltensweisen zu erkennen, zu verändern oder zu optimieren. Gleichzeitig ist Gesundheit immer das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren: Training, Ernährung, Schlaf, Arbeit und Familie gehören dabei zu den wichtigsten Bausteinen, die gemeinsam das große Ganze „Gesundheit“ formen.
Was bedeutet eigentlich Grundhaltung …
… und warum liegt in ihrem Verständnis mehr Potenzial für Mitgliederbindung und Motivation als in jedem neuen Trainingsgerät? Und wer löst eigentlich das Problem unserer Kunden? Wir als Dienstleister – oder der Kunde selbst? Die Wahrheit liegt dazwischen. Am Ende ist es der Kunde, der Training, Ernährung und Verhaltensänderungen tatsächlich umsetzen muss. Er trägt Verantwortung – und er ist Experte seines Lebens. Genau hier entsteht ein Widerspruch: Warum verfügen wir als Branche kaum über Kompetenzen, Menschen bei dieser Umsetzung zu begleiten? Warum frustriert es uns, wenn Mitglieder aus den bekannten Gründen – Zeitmangel, fehlende Motivation, Unsicherheit – wieder aussteigen?
Ein Blick in die Ausbildungslandschaft zeigt: Gesprächsführung und zwischenmenschliche Interaktion sind kaum Teil der Curricula. Wenn Kommunikation vorkommt, dann meist in Verbindung mit Verkaufsgesprächen – nicht mit echter Verhaltensänderung. Damit fehlt uns eine Kernkompetenz: Menschen in ihrer Autonomie zu stärken.
Genau das ist die Aufgabe der Grundhaltung – in der Motivierenden Gesprächsführung als MI-Spirit bezeichnet. Sie beschreibt keine Technik, sondern die innere Einstellung, mit der Trainer oder Coaches ihrem Gegenüber begegnen. Ohne diese Haltung bleiben alle Methoden wirkungslos. Die entscheidende Frage lautet also: Wie sehe ich Menschen – und warum deute ich ihre Aussagen so, wie ich es tue? In dieser Haltung liegt der Schlüssel für echte Veränderung und nachhaltige Mitgliederbindung.
Im zweiten Teil unserer Serie zur Motivierenden Gesprächsführung erfahren Sie, wie Sie die richtige Grundhaltung mit konkreten Gesprächstechniken im Praxisalltag wirksam umsetzen.
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