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Training – die „Happy Pill“ für die Psyche

Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Eine wesentliche Ursache: der fehlende Ausgleich zu alltäglichen Belastungen! Was Training zur „Happy Pill“ macht und wie Anbieter diese für sich nutzen, erfahren Sie in diesem Artikel.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Fitnessstudios bieten Raum für den Ausgleich von mentalem Stress und körperlicher Inaktivität
  • Die Effektivität von Training liegt nur knapp unter der von Antidepressiva-Medikation - nur hat Training keine Nebenwirkungen
  • Mit regelmäßigem Training ist man besser auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet
  • Eine gesunde Physis beeinflusst die Psyche positiv

Die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Studien zeigen besorgniserregende Trends bezüglich des psychischen Wohlbefindens der deutschen Bevölkerung. Knapp 23 % von 541 befragten Deutschen gaben in einer im Frühjahr 2020 durchgeführten Erhebung von Knolle und Kollegen einen Anstieg an depressiven Symptomen im Vergleich zum Vorjahr an. Auch andere Symptome wie beispielsweise Ängste nahmen zu. Das sind drastische Entwicklungen, die nicht nur die erwachsene Bevölkerung betreffen. Denn auch die jüngeren Deutschen leiden unter den Folgen von sozialer Distanzierung und körperlicher Inaktivität.


Gerade in der heutigen Zeit sind effiziente Lösungen gefragt, die das soziale Miteinander in der echten Welt ermöglichen und für sicheres und regelmäßiges körperliches Training sorgen (Bildquelle: © NDABCREATIVITY - stock.adobe.com)

Eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt auf, dass der Anteil der 16- bis 19-Jährigen, die unter depressiven Symptomen leiden, im Frühjahr 2020 um 15 Prozentpunkte auf 25 % im Vergleich zu 10 % im Jahr 2018/19 angestiegen ist. Ein womöglich wesentlicher Einflussfaktor: Der fehlende Ausgleich zu alltäglichen Belastungen.

Aktivitäts- und Interaktionsräume als wichtige Säule

Das Zusammensein mit Freunden und Verwandten oder auch das ein oder andere Pläuschchen an der Kaffeemaschine mit Kollegen. Der Weg zur Arbeit, Uni oder Schule auf dem Rad mit der Lieblingsmusik auf den Ohren und vor allem der Sprint nach Hause! Für viele Menschen sind soziale Interaktion und körperliche Aktivität der beste Weg, um effektiv abzuschalten und die Batterien wieder aufzuladen. Doch gerade in Zeiten von Bildschirmarbeit, Streaming-Diensten und sozialen Netzwerken bleibt meistens nur wenig Zeit und oft auch zu wenig Motivation für ein ausreichendes und notwendiges Maß an Aktivität und realer Interaktion.

Deswegen sind effiziente Lösungen gefragt, die das soziale Miteinander in der echten Welt ermöglichen und für sicheres und regelmäßiges körperliches Training sorgen. Als Anbieter eines solchen Trainings sind die stationären Trainingseinrichtungen und Vereine des organisierten Sports eine flächendeckende und essenzielle Säule im Konstrukt der körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit. Dass das Trainieren und Sporttreiben so guttut, ist dabei auf zahlreiche verschiedene Mechanismen zurückzuführen.

Neurobiologische Wirkweisen von körperlichem Training

In der Therapie von depressiver Symptomatik wird körperliches Training mit seinen antidepressiven Effekten bereits standardmäßig eingesetzt. Mit einer Ansprechrate von 46 % liegt die Effektivität vom Training nur knappe 10 % unter der Ansprechrate von Antidepressiva-Medikation. Dabei sind die Wirkmechanismen sowohl beim Sport als auch bei den „Happy Pills“ die gleichen: Eine erhöhte Sekretion von „Glückshormonen“, zu denen Serotonin, Dopamin und auch Endorphine sowie Endocannabinoide zählen. Sie wirken stimmungsaufhellend und sogar schmerzlindernd.

Zusätzlich schütten Muskeln unter Belastung hormonähnliche Proteine aus, sogenannte Myokine, die am Schutz und auch am Aufbau von Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen beteiligt sind. Zu den gut untersuchten Myokinen zählen der insulin-like growth factor (IGF) und der brain-derived neurotrophic factor (BDNF). Doch es gibt noch etliche mehr, deren positive Wirkung auf den menschlichen Körper wir bisher nur in Ansätzen kennen.

Training und Sport – die wahre Happy Pill

Gemeinsam mit weiteren Prozessen, die ebenfalls durch körperliches Training ausgelöst werden, führen die beschriebenen neurobiologischen Mechanismen zu kurzfristigen und auch langfristigen psychologischen Anpassungserscheinungen. Beispielsweise ist die durch regelmäßiges Training ausgelöste Verbesserung der sogenannten exekutiven Funktionen ein wichtiger Gewinn für die kognitive Gesundheit.


Die Wirkmechanismen sowohl beim Sport als auch bei den „Happy-Pills“ sind die gleichen. Im Gegensatz zu Medikamenten ist körperliche Aktivität nebenwirkungsarm und macht Spaß (Bildquelle: © Uta Konopka)

Die exekutiven Funktionen bilden die Grundlage für die Urteils-, Entscheidungs-, Planungs- und die Organisationsfähigkeit. Diese Fähigkeiten ermöglichen eine adäquate Anpassung an die sich ständig ändernden Herausforderungen des Lebens. Eine wichtige kognitive Leistung, die die emotionale, die soziale und somit die psychische Gesundheit sichert. Und das Allerbeste an der körperlichen Aktivität – der wahren Happy Pill – ist, dass diese im Gegensatz zu Medikamenten nebenwirkungsarm ist und Spaß macht!

In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist

Neben den immer besser erforschten neurologischen Anpassungserscheinungen hat ein regelmäßiges Training auch noch weitere Asse im Ärmel. Training verbessert die körperliche Leistungsfähigkeit und stärkt den Körper gegenüber alltäglichen Belastungen. Seit jeher ist der menschliche Organismus auf Bewegung ausgelegt. Denn die meisten unserer Stoffwechsel- und Wachstumsprozesse bekommen entscheidende Aktivierungsreize durch körperliche Aktivität. Muskelaufbau, Knochenwachstum und die Bildung von neuen Blutgefäßen sorgen für Widerstandsfähigkeit gegenüber körperlichen Strapazen. Überanstrengung setzt später ein und auch Schmerzen treten seltener auf.

In einer Studie aus dem Jahr 2005 untersuchten Niedenthal und ihre Kollegen den Einfluss des Körpers auf die Psyche. Während bekannt ist, dass sich Stimmung und Gefühle auf körperlicher Ebene beispielsweise durch die Haltung manifestieren, wiesen die Forscherinnen und Forscher auch den umgekehrten Effekt nach. Zum Beispiel ruft eine selbstbewusste Körperhaltung oder ein freudiges Lachen die entsprechende Emotion hervor. Eine gesunde und leistungsfähige oder „glückliche“ Physis kann demnach auch die darin wohnende Psyche positiv beeinflussen.

Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse

In der Psychologie wird oft von drei basalen Grundbedürfnissen gesprochen: Dem Bedürfnis nach Autonomie, nach Kompetenz und dem Bedürfnis nach Beziehung oder sozialer Eingebundenheit. In der psychiatrischen Reha hat man erkannt, dass sich Sport und Training hervorragend eignen, um diese tiefliegenden Bedürfnisse zu befriedigen.

Wenn Kunden selbst entscheiden können, wann und wie oft sie eine Fitness- und Gesundheitsanlage besuchen, wie lange trainiert wird, welche Geräte verwendet werden oder wann auch mal eine Trainingspause eingelegt wird, dann unterstützt das Training die eigene Entscheidungsfreiheit und befriedigt das Autonomie-Bedürfnis. Wenn man nun auch noch das Training durchführen kann, in dem man gut ist, und realistisch gesetzte Trainingsherausforderungen aus eigener Kraft meistert, dann fühlt man sich fähig und kompetent. Das gemeinsame Training und der Austausch mit Gleichgesinnten stärken das Gefühl nach sozialer Eingebundenheit und Beziehung.

Ob man nun eher der Autonomietyp oder der Beziehungstyp ist, das kann ganz unterschiedlich sein. Doch im Großen und Ganzen ist es die Befriedigung dieser drei grundlegenden menschlichen Bedürfnisse, die den Besuch in der Trainingseinrichtung des Vertrauens zu einem Wohlfühlerlebnis macht.

Strukturen schaffen, die Bedürfnisse befriedigen

Für jeden nun das Trainingserlebnis zu ermöglichen, das die individuelle Ausprägung der psychischen Grundbedürfnisse befriedigt, das ist ein herausforderndes, jedoch keinesfalls ein unerreichbares Ziel. Denn wenn ein vielfältiges Angebot für verschiedene Trainingstypen bereitsteht, dann finden sich die richtigen Nischen beinahe von selbst. Dabei stehen Ganzheitlichkeit, Abwechslung und Flexibilität klar im Vordergrund. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder neue Fitness-Trend sofort in das eigene Portfolio integriert werden muss. Vielmehr geht es darum, Verhältnisse und Strukturen zu entwickeln, die Raum für Bedürfnisbefriedigung lassen.

Erfolgsfaktoren können sein:

  • Gezielt Möglichkeiten für unterschiedliche Bedürfnisse durch ein vielfältiges Angebot an Trainingsmaterialien und Kursen zu schaffen, um die Ziele verschiedener Zielgruppen oder auch unterschiedliche Tagesformen zu adressieren.
  • Soziale Interaktion zu ermöglichen und Raum bzw. Zeit für Austausch z. B. in einladenden Meeting-Areas oder Veranstaltungen zu gewähren.
  • Erfolgserlebnisse durch regelmäßige Assessments und Evaluation des Trainings bei den Trainierenden zu schaffen.
  • Die Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit durch variable Mitgliedschaften und flexible Angebotsstruktur zu fördern.

Mit solchen Maßnahmen, die das Individuum und dessen Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, ist schon viel erreicht. Noch wichtiger ist allerdings die Art der Kommunikation. Damit ist sowohl die Bild- und Schriftsprache in der Außenkommunikation als auch die persönliche Kommunikation mit den Trainierenden gemeint.

Im Mittelpunkt steht der Mensch

Ein erprobtes Kommunikationsprinzip aus dem Coaching ist die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers. Sie ist eine kommunikative Grundhaltung, in der Klienten als die Experten ihrer Selbst angesehen werden und ihnen mit einem wertschätzenden, empathischen und authentischen Kommunikationsstil entgegengetreten wird. In einer Welt, in der Leistungsdruck und psychische Beanspruchung im Alltag zum guten Ton gehören, genau dort muss das physische Erleben als wohltuender Gegenpol fungieren.

Doch die richtige Herangehensweise ist hier entscheidend! Denn rigide Trainingspläne und der Fokus auf „höher, schneller und weiter“ machen aus dem Hobby Training eine alltägliche Verpflichtung. Intrinsische Motivation hingegen wird durch das Erforschen der persönlichen Motivation und der individuellen Stärken der Trainierenden erzeugt. Dabei sind eine gewissenhafte Anamnese und eine realistische Zielsetzung genauso wichtig wie die achtsame Begleitung des Trainingsprozesses.

Über direkte Rückmeldung, vor allem bei Erfolgen, kann Freude erzeugt und Motivation aufgebaut werden. Der wesentlichste Grundsatz lautet: Im Vordergrund steht immer der Mensch mit seinen persönlichen Zielen, Stärken und Schwächen.
 

Bildquelle Header: © NDABCREATIVITY - stock.adobe.com

Der Autor

  • Lukas Leibfried

    Lukas Leibfried studierte Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement (M. A.) an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er hat mehrjährige Erfahrung als Sporttherapeut in der psychiatrischen und internistischen Reha sowie als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter für digitale Gesundheitsförderungsprojekte. Zurzeit koordiniert er das Forschungsinstitut für Training in der Prävention (FIT-Prävention) unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Ingo Froböse.

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