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Künstliche Intelligenz oder was unsere Branche wirklich bedroht

Als false friends – „falsche Freunde“ – werden Wörter in der englischen Sprache bezeichnet, die einen im Deutschen in die Irre führen. Sie haben nicht die Bedeutung, wie im ersten Moment angenommen. Ein gängiges Beispiel ist hier „to become“. Es bedeutet eben nicht das, wonach es klingt: bekommen, sondern es bedeutet: werden.

Dieses Beispiel verdeutlicht: Wer es sich zu leicht macht und seinem ersten Eindruck folgt, liegt sehr schnell falsch. Auf die Irreführung folgen Fehler. Diese „false friends“ gibt es auch in der Geschäftswelt immer wieder. Häufig wird man mit Themen konfrontiert, die im ersten Moment als gute, einfache oder schnelle Möglichkeiten erscheinen, um sich dann im Nachhinein als eine der größten Bedrohungen und Enttäuschungen herauszustellen.

Bedrohung durch falsch eingesetzte künstliche Intelligenz

Gerade in unseren Branchen Fitness und Physiotherapie sind viele Betreiber nach den vergangenen sehr belastenden beiden Jahren anfällig für solche schnellen Heilsversprechen. Künstliche Intelligenz ist eines dieser Heilversprechen. Die Medien sind voll von ChatGPT, von Bots, die für uns sprechen, und von Maschinen, die Aufgaben besser lösen sollen als wir Menschen. Viele Firmen brüsten sich damit, mit künstlicher Intelligenz (KI) Menschen überflüssig zu machen. Digitale Trainer sollen in Zukunft Menschen betreuen und sogar therapeutische Maßnahmen durchführen.

In vielen Bereichen kann eine sinnvoll eingesetzte KI zu fantastischen Ergebnissen führen. Die Frage ist nur: für wen? Bei jeder Anwendung von KI geht es darum zu hinterfragen, ob sie für den Menschen oder gegen den Menschen eingesetzt wird. Nicht umsonst warnen zahlreiche Internetexperten, darunter Apple-Mitgründer Steve Wozniak oder Elon Musk, vor einem drohenden Kontrollverlust über unsere Zivilisation durch künstliche Intelligenz.

Vorsicht vor Trends, die in die falsche Richtung führen

Es gibt ökonomische und soziale Trends, die den eigentlichen echten Wettbewerb, die reale Bedrohung für den professionellen Fitnessmarkt darstellen. Dieser Trend heißt Immobilisierung. Dabei handelt es sich um einen Megatrend.

Nahezu alle Big Player der Weltwirtschaft haben das gleiche Ziel. Sie möchten den Bewegungsradius des Menschen einschränken. Immobilisieren – nicht mobil, das heißt unmobil machen. Sie möchten uns Menschen an einem Ort haben, und zwar zu Hause, in gewohnter Atmosphäre, dort, wo wir uns sicher fühlen. Und wir sollten „online“ sein. Mit dem Handy, Tablet oder Computer auf dem Sofa. Denn in dieser Umgebung kaufen wir am liebsten und am meisten. Firmen wie Zalando, Amazon und Alibaba sind bereits ein fester Bestandteil unseres Lebens und gefühlt gar nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile liefern Fast-Food-Ketten das Essen und sogar die einzelnen Lebensmittel werden bereits nach Hause gebracht. Bei Kleidung und sonstigen Waren sind wir das ja schon seit einiger Zeit gewohnt. Diese Entwicklung ist gekommen, um zu bleiben.

Werfen wir einen Blick auf unser Leben, also wie wir leben und wo wir leben, so erkennt man eine weitere Tendenz, die unsere Fitness- und Physiotherapielandschaft prägen wird: das urbane Wohnen. Menschen zieht es in die Stadt. Und Städte sind in viele, zunehmend autarke Viertel unterteilt, in denen man alles bekommt, was man braucht. Bewohner müssen ihr Viertel nur noch sehr selten verlassen. Alles, was sie benötigen, muss in maximal 15 Minuten zu erreichen sein. Wir sollen nicht mehr mobil sein müssen und Benzin oder Öl einsparen. Am besten haben wir alles in den eigenen vier Wänden. Das dient dann direkt auch dem Klimaschutz und entspricht dem „Think green“-Gedanken. Diese Entwicklung findet dadurch schnell Anklang und klingt logisch für die Konsumenten.

In nahezu allen uns wichtigen Bereichen erleben wir diese Entwicklung bereits:

  • Essen
  • Unterhaltung (Streaming)
  • Textilien
  • Einzelhandel

Was ist nun mit Sport, Fitness und Gesundheit? Wer glaubt wirklich, dass die großen Player diesen Bereich nicht auch nach Hause verlagern wollen? Firmen wie Apple mit ihrem Angebot Apple Fit+, Peloton, VAHA und Homefitness-Apps wie Gymondo sind nur ein paar Beispiele, die diese Entwicklung bereits voranbringen. Sie alle kommunizieren, dass es Fitness- und Therapieeinrichtungen nicht braucht, um zu trainieren. Sie wollen diejenigen bewegen, die noch nichts tun, aber natürlich auch diejenigen, die gerade in unseren Einrichtungen trainieren oder behandelt werden. Wenigstens machen sie keinen Hehl aus ihren Absichten.

Wie erkennt man nun „falsche Freunde“?

Technologien und Produkte, die versprechen, dass man aufgrund von Apps, Kameras und künstlicher Intelligenz keinen Trainer mehr braucht, denn es gibt ja digitale Trainer. In diesen Fällen wird Technologie nicht genutzt, um Fachkräfte zu entlasten, sondern um sie zu entlassen. Das klingt zwar ähnlich, ist aber das Gegenteil.

Firmen, die uns ihre Produkte anbieten, aber nicht um uns und unsere Kunden erfolgreicher zu machen, sondern um über uns einfacher, schneller und günstiger an unsere Mitglieder und Patienten zu kommen, um diese langfristig davon zu überzeugen, dass sie „das alles“ zu Hause machen können – App, KI und Kamera sei Dank!

Wie kann man sich davor schützen?

Jeder Fitness- und Physiotherapiebetreiber muss sich die Frage stellen, ob seine Dienstleistung nicht auch zu Hause oder im Freien durchgeführt werden kann. Gibt es keinen Grund, für eine Leistung das Haus zu verlassen, dann wird der Mensch das auch nicht tun. Selbst in den USA nimmt z. B. die Anzahl der Kardiogeräte in den Studios systematisch ab.

Wer sich diese Frage nicht stellt oder die Antwort ignoriert, öffnet falschen Freunden sprichwörtlich die Türe. Um die trainingswissenschaftlichen Prinzipien von Muskeltraining, Beweglichkeitstraining und Gehirntraining richtig und gesund umsetzen zu können, sind Hilfsmittel, Geräte und vor allem Menschen auch in Zukunft noch essenziell. Zumindest für den Großteil unserer Gesellschaft. Hier kommen professionelle Fitness- und Gesundheitsanbieter ins Spiel. Sie müssen einen echten Grund bieten, das Haus zu verlassen. Diese Trainingsformen stellen aktuell den größten Schutz vor dieser Entwicklung dar. Lassen Sie also niemals zu, dass man Ihre Einrichtung auf eine Stufe stellen kann mit Bewegung oder Heimtraining. Anbieter, die Technologien verkaufen, die sie auch den Endverbrauchern für zu Hause anbieten, erweisen dem Betreiber keinen Freundschaftsdienst, sondern einen sogenannten Bärendienst.

Stellen Sie sich die Frage nach dem Motiv

Zum Schluss noch ein Tipp: Stellen Sie sich die Frage nach dem Motiv, das wie so oft in Krimis zum Täter führt. Wer profitiert am Ende? Sollte die Antwort nicht „meine Patienten, meine Mitglieder, mein Team und meine Einrichtung“ lauten, so sollte man lieber vorsichtig sein. Es könnten falsche Freunde im Spiel sein. Viele kennen den Spruch: „Familie hat man, Freunde sucht man sich aus“. In diesem Sinne sind es wir als Unternehmer und unsere Entscheidungen, die über Erfolg und Misserfolg bestimmen. Gesundheit braucht Training. Und Training braucht Wissenschaft.
 

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Der Autor

  • Mario Görlach

    Mario Görlach ist Vorstandsvorsitzender der Experten Allianz für Gesundheit e. V.