Physiotherapie

Therapie und Prävention von unspezifischen Rückenschmerzen

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Wenn man eine Schraube immer fester anzieht, kommt irgendwann der Moment, in dem der Kopf der Schraube abreißt. Eine dauerhafte BWS-Hyperkyphose hat eine vergleichbare Wirkung. Bevor es dazu kommt, sendet der Rücken Schmerzsymptome aus und beugt damit größeren Schäden vor. In diesem Artikel geht es um praktische und wissenschaftliche Erfahrungen in der Therapie und Prävention der unspezifischen Rückenschmerzen durch gezielte Druckentlastung aus der BWS-Kyphose.

Mein Name ist Tanja Kühne und meine Rückenschmerzen haben mich damals gezwungen, meine aktive Karriere als Leistungssportlerin in der ukrainischen Nationalmannschaft zu beenden. Bereits vor 25 Jahren habe ich mich gefragt, wie es dazu kam. Eigentlich hatte ich ausreichend Muskulatur und meine Wirbelsäule war beweglich genug. Auch viele meiner Patienten und Klienten klagten über Rückenschmerzen.

Das sind meine Erkenntnisse

  • Zu viel Druck = Kompression.
  • Meine Lösung: Druck-Entlastung = De-Kompression aus der BWS-Kyphose.

Auffälligkeiten bei Rückenschmerzen

Geprägt durch meine Vorgeschichte und berufliche Erfahrung als Sportwissenschaftlerin, analysierte ich bereits vor über 20 Jahren die Statistik der Rückenschmerzen und suchte nach Erklärungen für Ursachen, Auffälligkeiten und Zusammenhänge. Vor allem lag mein Fokus auf den unspezifischen Rückenschmerzen. Dabei fand ich folgende Auffälligkeiten:

  • Die erste Auffälligkeit lag in der seit Jahren „stabilen“ Statistik der Rückenschmerzen: Rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland musste 2021 wegen Rückenschmerzen ärztlich behandelt werden. Das entspricht 26,2 Millionen Menschen. Ähnliche Statistiken findet man europa- und weltweit.
  • Die zweite Auffälligkeit bleibt seit vielen Jahren unverändert: Rund 90 % der Fälle klagen über unspezifische Rückenschmerzen. Das bedeutet, dass diese Patienten gut mithilfe der Manual-, Physio-, Sporttherapie und Training behandelt werden können. Häufig liegen Fehlhaltungen und Fehlbelastungen als Ursache zugrunde.
  • Die dritte Auffälligkeit liegt in der Lokalisierung des Schmerzsymptoms bei den Rückenschmerzen-Patienten. Die meisten Menschen, einschließlich Leistungssportler, empfinden das Schmerzsymptom im Bereich der Lordose – entweder in der HWS (Halswirbelsäule) und/oder LWS (Lendenwirbelsäule).

Kuchendiagramm zu Rückenschmerzen
Eine Studie des britischen Schlafforschers Chris Idzikowski zeigt, dass fast 70 % der Menschen Seitenschläfer sind (Bildquelle: © udaix – stock.adobe.com)

  • Die vierte Auffälligkeit bringt der Orthopäde und Unfallchirurg Ben-David Hirsch auf den Punkt: „Fast alle meine Patienten weisen eine BWS-Hyperkyphose auf, und deshalb suchte ich gezielt nach einer Lösung dagegen. Ich wurde auf Frau Dr. Kühne aufmerksam, und inzwischen profitieren alle meine Patienten von ihrer Expertise rund um das Thema „BWS-Kyphose“. In der Fachliteratur wird diese Fehlhaltung häufig als Kyphosestress bezeichnet. „LWS und BWS sinken so weit zusammen, bis sie nur noch durch Bindegewebe gehalten werden. Dabei wird das WS-Gewebe von der Flexionachse komprimiert und dorsal überdehnt.“ (P. Fischer, 2012)
  • Die fünfte Auffälligkeit weist auf übermäßiges Sitzen hin, häufig bis zu 10 Stunden am Tag. Das bedeutet bis zu 10 Stunden dauerhafte BWS-Hyperkyphose. An dieser Stelle ist es hilfreich, dass wir uns an die Basics der funktionellen Anatomie erinnern: „Maximale axiale Druckbelastung wirkt auf die Wirbelkörper und Zwischenwirbelscheiben bei normal ausgeprägter physiologischer Schwingung des Achsenskeletts in HWS = 54,9 N/cm², in BWS = 113,8 N/cm², LWS = 60,8 N/cm², vorausgesetzt, dass eine kräftige Muskel- und Bändersicherung der WS vorhanden ist. Fehlt letztere, dann vergrößern sich die genannten Werte in HWS um das 7-Fache, in der BWS um das 5-Fache und in der LWS um das 2- bis 3-Fache.“ (K. Titel, 2012, S. 158)

Meiner Analyse nach gerät zuerst die BWS-Kyphose aus der Balance, und die Lordosierung in HWS und LWS muss sich dem kompensatorisch anpassen. Zusätzlich entsteht noch eine biomechanische Verdrehung innerhalb der Wirbelsäule. Daraus resultiert eine dauerhafte Druckbelastung auf alle Bauchorgane, Nervenbahnen (ZNS und vor allem vegetatives Nervensystem) und Blutgefäße.

  • Die sechste und damit meine letzte definierte Auffälligkeit zeigt, dass ca. 70 % aller Menschen Seitenschläfer sind, und das bedeutet schon wieder eine BWS-Hyperkyphose. Und damit schließt sich, aus meiner Sicht, der Teufelskreis aus Ursachen und Folgen vieler Rücken- und weiterer orthopädischer und internistischer Beschwerden.

Das ist meine Lösung

Bereits vor über 20 Jahren habe ich vor allem die funktionelle BWS-Hyperkyphose als mögliche Ursache vieler Beschwerden in Betracht gezogen, dennoch verwarf ich meine Gedanken aus mangelnder Selbstüberzeugung.

Animation Beispiel typischer Lokalisierung der Bandscheibenvorwöllbung bzw. -vorfall

Beispiel typischer Lokalisierung der Bandscheibenvorwöllbung bzw. -vorfall (Bildquelle: © udaix – stock.adobe.com)

Allerdings begann ich, mit allen meinen Patienten gezielt sporttherapeutisch zu arbeiten. Ich verfolgte das Ziel, aus der BWS die Druckentlastung (Dekompression) für die Wirbelsäule, den Rücken und den gesamten Körper zu erreichen und damit die physiologische Balance wiederherzustellen. Und genau diesen Effekt beobachte ich bis heute. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern.

Mein Doktorvater Prof. V. Mishchenko

Erst als mein Doktorvater Prof. V. Mishchenko mich im Jahr 2011 darauf hinwies, dass das, was ich da mit der BWS mache, bereits eine Methode ist, begann ich gezielt und wertschätzend meine Ideen und meine Erfahrung zusammenzutragen. Schnell wurde mir klar, dass ich dadurch viele positive Veränderungen weit über die Rückengesundheit sicher und einfach erreichen kann. Sowohl die Funktionen der inneren Organe (Lunge, Magen) als auch die Blutdruckwerte (unspezifische) und auch das mentale Wohlbefinden verbessern sich bereits nach 20–30 Minuten des Übens und/oder Behandelns.

Erarbeitete Expertise

Ja, viele therapeutische und sportwissenschaftliche Methoden beinhalten die Mobilisation der BWS, dennoch werden überwiegend einzelne Übungen und Manipulationen mit ca. 3–5 Minuten durchgeführt. In meiner Arbeit wird die BWS bis zu 30–40 Minuten, inkl. kleiner Pausen, behandelt – sowohl mit als auch ohne manuelle Griffe. Dabei wird je nach Indikation in Rücken- als auch in Seitenlage geübt.

Animation von Rückenschmerzen, Mann fasst sich mit beiden Händen an den unteren REücken
Viele Menschen leiden unter unspezifischen Rückenschmerzen (Bildquelle: © talkative.studio – stock.adobe.com)

Je nach Bedarf arbeiten meine Kollegen und ich 1:1 auf einer Gymnastikmatte und/oder Therapieliege. Die Umsetzung in Gruppen ist sowohl in Deutschland als auch weltweit beliebt. Um eine maximale Wirkung in kurzer Zeit zu erreichen und Menschen dort abzuholen, wo sie mit ihren Beschwerden stehen, nutzen wir folgende vier Säulen:

  • Eine spezielle Atemtechnik
  • Wahrnehmung
  • Ein kleines Gerät (entwickelt für BWS-Kyphose)
  • Spezielle „Technik“ und Dosierung der einzelnen Übungen bzw. manuellen Griffe an der BWS

Inzwischen ist mir bewusst geworden, dass meine Kollegen und ich über die Jahre eine wahre Expertise und Know-how rund um das Thema Druckentlastung aus der BWS-Kyphose aufgebaut haben. Unsere Expertise wird zunehmend in Deutschland und international nachgefragt, und es erfüllt uns mit großer Freude und Verantwortung, unsere Erfahrung bestmöglich weiterzugeben. Mit diesem Fachartikel möchte ich die interdisziplinären Kollegen inspirieren, die BWS mehr in den Fokus zu nehmen.

Schlusswort

Unsere Wirbelsäule und der gesamte Körper können ähnlich wie eine Schraube gut und lange den biomechanischen Druck (Kompression) abfedern und abbauen. Dennoch, wenn die Wirbelsäule eine dauerhafte Fehlhaltung in Form von BWS-Hyper-Kyphose aufweist, kann sie, ähnlich wie die verformte Schraube, die Druckkräfte nicht mehr komplett abfedern. Somit entsteht der Teufelskreis vieler Ursachen = Schmerzsymptome.

Die natürliche Aufrichtung und damit die Druckentlastung der Wirbelsäule aus der BWS-Kyphose beweisen sich sowohl aus physiologischer als auch didaktischer Sicht als idealer erster Schritt in der Therapie und Prävention. Damit diese Effekte dauerhaft anhalten, ist eine gezielte Stabilisierung und Kräftigung der Rumpfmuskulatur erforderlich, und dafür werden andere Kollegen mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung gebraucht.

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Die Autorin

  • Tanja Kühne Portrait Tanja Kühne

    Tanja Kühne ist promovierte Sportwissenschaftlerin, international gefragte Dozentin und Referentin sowie Autorin unzähliger wissenschaftlicher Publikationen und Fachartikel. Sie erfand die „BALLance Dr. Tanja Kühne®“ Methode. Sie ist ehemalige Leistungssportlerin und gebürtige Ukrainerin. Seit 24 Jahren lebt und arbeitet Frau Dr. Kühne in Deutschland. Außerdem ist sie geschäftsführende Gesellschafterin bei BALLance Concepts GmbH. 

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