BODYMEDIA: Was unterscheidet den Selbstständigen vom Unternehmer?
Raphael Stenzhorn: Eigentlich ist die Unterscheidung recht einfach: Der Selbstständige wird von außen bestimmt und der Unternehmer handelt selbst. Selbstständige wollen es allen Kunden recht machen, geben jeder Forderung nach, um den Kunden glücklich zu machen und Unternehmer entscheiden, was für ihr Unternehmen das Beste ist.
Die Rolle des Selbstständigen kenne ich gut aus meiner eigenen Erfahrung: Ich dachte, nur weil mein Telefon klingelt, muss ich persönlich rangehen (lacht). Aber das muss man gar nicht. Man kann die Gespräche ja auch vorfiltern lassen. Sei es durch einen Angestellten oder einen externen Dienstleister, der diese Aufgabe für mich übernimmt.
Dann kann ich entscheiden, welchen Themen ich meine Zeit schenke und womit ich mich befassen möchte. Der Unternehmer entscheidet also bewusst, mit welchen Themen er seine Zeit verbringt und mit welchen nicht. Er hat eine Not-to-do-Liste, wohingegen der Selbstständige eine To-do-Liste zum Abarbeiten hat.
Der Selbstständige wird auch immer das Gefühl haben, alles selbst machen zu müssen. Hört er also auf, Patienten zu behandeln, verdient er kein Geld mehr. Wenn der Unternehmer hingegen aufhört zu arbeiten, wird weiterhin Geld verdient. Man kann das ja einfach mal testen und sechs Wochen in den Urlaub fahren und schauen, ob das Unternehmen dann noch steht (lacht).
BODYMEDIA: Warum fällt es so vielen Selbstständigen schwer, den Schritt zum Unternehmer zu gehen? Gibt es da besondere Fallstricke?
Raphael Stenzhorn: Vielen ist es gar nicht bewusst, dass sie diese Entscheidung zu treffen haben, welche Rolle sie im Unternehmen einnehmen möchten. Arbeiten sie weiterhin am Patienten und tun damit, was sie lieben, was sie gut können und was ihnen vertraut ist, oder ist ihr Fokus der Aufbau des Unternehmens?
Damit kommen allerdings auch andere Aufgaben auf den Tisch des Praxisinhabers, denn ein Unternehmer hat andere Aufgaben als ein Selbstständiger. Verbringt ein Praxisinhaber 90 % seiner Zeit bei den Patienten, hat er weniger Zeit, sein Unternehmen zu führen. Und wenn man Praxisinhaber fragt, welche Rolle sie einnehmen, werden die meisten sagen, dass sie keine Unternehmer, sondern Therapeuten sind.
Fragt man sie jedoch, ob sie lieber selbstständig oder Unternehmer sein möchten, geben viele an, lieber Unternehmer sein zu wollen. Das Problem ist: Sie würden das gerne sein, ohne die Arbeit zu haben, die es braucht, um Unternehmer zu werden. Denn dafür müssen sie nicht nur ihnen bekannte und vertraute Aufgaben loslassen, sondern auch Aufgaben auf ihren Tisch legen, die sie vielleicht gar nicht beherrschen, wie z. B. Mitarbeitergespräche zu führen.
Wer sich für die Rolle des Unternehmers entscheidet, muss sich mehr Führungs- und Managementaufgaben widmen und weniger Fachkraftaufgaben übernehmen (Bildquelle: © Raphael Faehrhaus)
BODYMEDIA: Sollte es den Praxisinhabern, die sich selbstständig machen, nicht bewusst sein, dass neue Aufgaben auf sie zukommen?
Raphael Stenzhorn: Es mag diejenigen geben, die sich der Tragweite ihrer Entscheidung sehr bewusst sind und schon auf den Anruf des Finanzamts warten oder es gar nicht erwarten können, Mietverträge zu studieren. Meiner Erfahrung nach läuft es aber meistens so, dass die meisten einfach gut in ihrem Job waren, ihr eigener Chef werden wollten und dann losgelegt haben.
So war es bei mir damals auch. Mit 18 habe ich mich mit einer Eventfirma selbstständig gemacht, weil ich was aufbauen und Menschen begeistern wollte. Da habe ich mir weniger Gedanken um das Arbeitsschutzgesetz oder die Helligkeit meiner Lampen gemacht. Und so ist es in der Therapiebranche auch. Man will sein eigener Chef sein und seine Patienten so behandeln, wie man es für richtig hält.
BODYMEDIA: Gibt es deiner Erfahrung nach Branchen, in denen Selbstständige in ihrer Rolle als Selbstständige bleiben und sich nicht entwickeln können?
Raphael Stenzhorn: In allen Branchen ist es möglich, der typische Selbstständige zu werden und auch zu bleiben. Besonders gefährdet sind meiner Ansicht nach Menschen, die sagen, dass ihnen andere Menschen sehr wichtig sind, wie z. B. in der Physiotherapie. Therapeuten haben die tolle Eigenschaft, anderen helfen zu wollen, aber das kann sie in der Entwicklung zum Unternehmer hindern, denn sie können sich nicht davon lösen und sich um ihr Unternehmen kümmern.
Und diese Eigenschaft birgt noch eine weitere Gefahr. Denn diese Menschen möchten es sowohl ihren Patienten als auch ihren Mitarbeitern recht machen. Man schaut also erst mal, dass es allen anderen gut geht, und stellt seine eigenen Bedürfnisse zurück.
BODYMEDIA: Welche Gefahren siehst du, wenn man lange in der Selbstständigenrolle stecken bleibt?
Raphael Stenzhorn: Dadurch, dass sich die meisten Selbstständigen Geschichten erzählen, wie „Na ja, ich bin ja noch im Aufbau des Unternehmens“ oder „Wir sind ja gerade mitten im Umschwung“, gönnen sie sich zu wenige Pausen. Das führt zu Stress und zwangsläufig irgendwann dazu, dass schlechtere Entscheidungen getroffen werden.
Wodurch alles noch komplizierter und stressiger wird. Es wird dann immer schwerer aus der Abwärtsspirale herauszukommen und wieder auf den richtigen Weg zu finden. Als Unternehmer kann ich es mir auch mal leisten, mich rauszuziehen und den Patienten mal Patienten sein zu lassen. Dann gebe ich ihm eben nicht noch schnell einen Termin, sondern nutze die Zeit, um mir zu überlegen, was ich besser machen könnte, um solchen Situationen zu entgehen.
Auch hier kann ich ein Beispiel aus der Praxis nennen. Wir haben in einer Physiotherapiepraxis eine digitale Terminvereinbarung eingeführt, obwohl sich die Praxisinhaberin nicht sicher war, dass das eine gute Idee sein würde. Ihre Befürchtung war, dass sie dadurch noch stärker fremdbestimmt würde. Also fragte ich sie, wie oft sie denn am Tag angerufen wird, um Termine zu verschieben.
Ihre einfache Antwort war: „Zu oft.“ Sie war also schon fremdbestimmt und unsere Idee war es dann, diese Fremdbestimmung auf selbstbestimmte Zeitfenster zu beschränken. Nach der Einführung der digitalen Terminbuchung zeigte sich, dass die meisten Terminbuchungen sonntags zwischen 23:00 und 00:30 Uhr getätigt werden.
Für sie war das eine Entlastung, da sie nun weniger Terminanfragen während ihrer Arbeitszeiten bearbeiten musste. Klar, in der Zeit, in der sie sich hat beraten lassen und die Idee umgesetzt hat, konnte sie keinen Patienten behandeln, aber durch die Automatisierung der Terminbuchung hat sich ihr Leben deutlich vereinfacht.
BODYMEDIA: Wie kann die Entwicklung vom Selbstständigen hin zum Unternehmer aussehen?
Raphael Stenzhorn: Als Unternehmer habe ich drei verschiedene Rollen einzunehmen. Das ist zunächst einmal die Rolle der Fachkraft. Der Praxisinhaber ist gut bei der täglichen Arbeit mit den Patienten. Das hat er gelernt und gerade am Anfang sollte man auch viel in dieser Rolle sein, um Umsatz zu generieren.
Das Geld, das dabei übrig bleibt, hilft mir dann, Zeit und Möglichkeiten zu kaufen. Ich kann mir davon auch eine teure Uhr oder ein Boot kaufen, aber am Anfang ist es sicherlich nachhaltiger, das Geld in die Entwicklung des Unternehmens zu investieren. Meiner Ansicht nach kauft man sich am meisten Zeit, indem man einen Mitarbeiter für die administrative Arbeit anstellt.
Wenn es gut läuft, darf man die Treppe weiter nach oben steigen und den nächsten Therapeuten einstellen, der dann hilft, am Patienten mitzuarbeiten. Das gibt dem Praxisinhaber mehr Zeit, sich etwas aus dem Tagesgeschäft rauszunehmen, um z. B. eine Stunde täglich Unternehmer- und Managementaufgaben zu übernehmen.
Mit wachsender Unternehmensgröße werden die Fachkraftaufgaben immer weniger und die Unternehmeraufgaben immer mehr. Ab einem Punkt muss dann die Entscheidung fallen, auf welchem Weg es für den Selbstständigen weitergeht (Bildquelle: © Raphael Faehrhaus)
In der Managementzeit sollte man aufschreiben, wie die Abläufe in der Praxis funktionieren. Damit werden Systeme geschaffen, die es weiteren Mitarbeitern einfacher machen, die Abläufe in der Praxis zu verstehen. Während der Unternehmerzeit hingegen kann sich der Praxisinhaber hinsetzen und überlegen, wie seine Praxis zukünftig aussehen soll und wie darin gearbeitet wird.
Auch Fragen, wie viele Mitarbeiter oder Praxen man zukünftig haben möchte, werden hier beantwortet. Mit der Zeit wird die Fachkraftrolle im mer kleiner und die Unternehmer- und Managementrollen werden immer größer. Wenn man dann einmal an dem Punkt ist, dass beide Rollen jeweils 50 % der Arbeitszeit ausmachen, kann man sich entscheiden, wie viel Zeit am Tag man noch am Patienten stehen möchte.
Sind es 0 Stunden, ist es eine Stunde oder ist es der ganze Tag? In diesem Fall muss aber ein Geschäftsleiter eingestellt werden, dessen Weisungen auch der Inhaber Folge zu leisten hat. Er ist dann also Angestellter in seinem eigenen Unternehmen und kein Unternehmer.
BODYMEDIA: Was brauchen Selbstständige für Werkzeug, damit sie diesen Schritt Richtung Unternehmertum schaffen können?
Raphael Stenzhorn: Die beiden wichtigsten Werkzeuge, meiner Ansicht nach, sind die Kompetenz zum Führen von Mitarbeitern und ein digitales Prozesshandbuch. Im letzteren kann ein Mitarbeiter nachschauen, wie Prozesse und Abläufe in der Praxis funktionieren. Es geht nicht darum niederzuschreiben, wie man Patienten zu behandeln hat, sondern z. B. wie die Therapieräume vorbereitet werden oder wie Rezepte bei den Krankenkassen eingereicht werden.
Dadurch wird man als Inhaber seltener nach Vorgehensweisen gefragt und muss weniger Probleme selbst lösen. Die Fähigkeit, Mitarbeiter auf eine ethische und korrekte Weise zu führen und zu entwickeln, ist das zweite Hauptthema, um sich zum Unternehmer zu wandeln. Denn Mitarbeiterführung und Prozesse sind die Hauptthemen, um die sich der Unternehmer kümmern muss.
BODYMEDIA: Wie lange dauert dieser Entwicklungsprozess? Und wann kann man mit den ersten Erfolgen rechnen?
Raphael Stenzhorn: Unserer Erfahrung nach machen die meisten Kunden, die es wirklich ernst meinen, schon in den ersten vier Wochen so große Fortschritte, dass sie sehr schnell bis zu drei Stunden pro Woche mehr (Frei-)Zeit haben. Die können sie entweder mit der Familie verbringen oder sie investieren einen Teil davon für ihre Unternehmertätigkeit. Für eine nachhaltige Veränderung sollte man sich sechs Monate Zeit nehmen.
Die meisten unserer Kunden arbeiten ein Jahr mit uns, weil immer wieder Situationen auftreten können, die man so noch nicht gesehen hat, und dann ist man froh über eine Unterstützung. Eines sollte man sich bewusst machen. Diese Transformation ist hart. Man muss viele Entscheidungen treffen und viel umstrukturieren. Aber in der Selbstständigenrolle zu bleiben ist auch hart und nicht zeitlich begrenzt. Heute ist ein guter Tag, um sein Leben zu verändern.
Jeder Therapeut sollte sich einmal kurz hinsetzen und sich überlegen, ob es ihn erfüllt, dem Tagesgeschäft in seiner Rolle als Selbstständiger hinterherzuhecheln, oder ob er bewusste Entscheidungen trifft und ins Handeln kommt. Da werden Aufgaben runterfallen, aber der Unternehmer kann entscheiden, welche das sind. Und das macht ihn aus.
Bildquelle Header: © Raphael Faehrhaus