Sich mit einer Praxis selbstständig zu machen, kann viele gute Gründe haben. Einer, den sehr viele Unternehmer nennen, ist es, endlich frei zu sein. Freiheit zu erreichen von einem Chef, der einem ständig im Nacken sitzt, von als unnötig wahrgenommenen Aufgaben oder auch von starren Arbeitszeitmodellen, denen sich Angestellte häufig unterwerfen müssen.
Oft bleibt das allerdings nur reine Theorie und der Spruch, dass Selbstständige „selbst und ständig“ sind, erfüllt sich. Oder wie es vielleicht besser heißen sollte: „fremd und ständig“, denn häufig ist die Arbeit als Unternehmer in der Physiotherapie von viel Fremdbestimmung geprägt. Hier möchte ein Mitarbeiter eine schnelle Antwort, gleichzeitig gibt es Ärger mit einem Privatpatienten und dann wurde ein eigentlich freier Zeitslot noch mit einem Termin belegt.
Da ist es schnell vorbei mit der Selbstbestimmung. Das muss aber nicht so bleiben – mit ein paar einfachen Strategien und Maßnahmen kann man sich als Unternehmer zumindest einen gewissen Freiraum zurückerobern. Um funktionierende Lösungen zu finden, lohnt es sich, vorab Gründe für die Fremdbestimmungsfalle aufzuzeigen, und diese schauen wir uns jetzt einmal an.
„Ohne mich läuft es einfach nicht“
Wer sich mit einer eigenen Praxis selbstständig macht oder diese übernimmt, baut eine hohe emotionale Bindung zu ihr und den Mitarbeitern auf. Durch die stärkere Verflechtung sind Selbstständige eher bereit, Freiräume aufzugeben, auch wenn es bei ihnen zu Unzufriedenheit führt.
Wer keine Prozesse und Strukturen schafft, wird ständig mit Mitarbeiternachfragen zu ähnlichen Themen konfrontiert und kommt nicht in die Selbstbestimmung (Bildquelle: © Yuliia – stock.adobe.com)
Sie haben eine höhere Schmerzgrenze, da es ja um ihr „Baby“ geht. Diese hohe Toleranz kann dazu führen, dass sie sich zu lange von äußeren Rahmenbedingungen leiten lassen, bevor sie es schaffen, das Hamsterrad zu verlassen. Dadurch kann ein Gefühl der fehlenden Kontrolle erzeugt werden.
Um die Kontrolle wiederzuerlangen, kann es durchaus passieren, dass der Praxisinhaber versucht, alle Prozesse in der Praxis und Handlungen seiner Mitarbeiter zu überprüfen und zu checken. Der Unternehmer involviert sich also selbst mehr als nötig in der Praxis.
Nicht wenige haben hier das Gefühl, dass es ohne sie nicht läuft. Läuft mal etwas schief oder gibt es ein Problem, wenn der Praxisinhaber seinen Mitarbeitern bei etwas freie Hand gelassen hat, verfestigt sich dieser Eindruck beim Praxisinhaber und bestätigt ihn in seiner Meinung. Und schon ist er eine Ebene tiefer in die Teufelsspirale der Fremdbestimmung gerutscht.
Mitarbeiter lernen, nicht eigenständig zu handeln
Wo wir gerade bei Problemen sind: Durch die tiefe Verflechtung mit der eigenen Praxis und die Zeit, die der Praxisinhaber in diese investiert hat, ist es für ihn häufig leichter, Lösungen für auftretende Herausforderungen zu finden. Viele Mitarbeiter scheuen sich davor, eigenständig Lösungsansätze zu entwickeln, da sie mit einem gewissen Risiko des Scheiterns verbunden sind.
Vor allem dann, wenn der Praxisinhaber dafür bekannt ist, etwas ungnädig mit Fehlern seiner Mitarbeiter umzugehen. Also landen die Probleme wieder auf dem Tisch des Unternehmers. Wenn Mitarbeiter keine eigenen Lösungen mehr suchen, sondern direkt beim Auftreten zum Chef rennen, nennt man das eine erlernte Hilflosigkeit.
Denn eigentlich wären die Mitarbeiter kompetent genug, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln, suchen aber eine schnelle Lösung beim Chef. Dieses Verhalten beschränkt sich allerdings nicht auf die Mitarbeiter. Auch Patienten kommen mit ihren Themen schnell zum Praxisinhaber.
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Vor allem Patienten der ersten Stunde oder Freunde und Bekannte sind es möglicherweise gewohnt, dass ihre Sonderwünsche oder individuellen Vorstellungen erfüllt werden. Es gibt nicht wenige Praxisbeispiele, die zeigen, dass sich der Inhaber irgendwann bei der Erfüllung dieser Sonderwünsche verheddert und auch hier wieder fremdbestimmen lässt.
Das Tagesgeschäft als Killer für Selbstbestimmung
Die zweite Eckdatenstudie der Physiotherapie hat gezeigt, dass sich der allergrößte Teil der Praxisinhaber selbst als Therapeut und nicht als Unternehmer sieht, daher arbeiten viele noch 20 und mehr Stunden pro Woche am Patienten. Sie sind also voll im Tagesgeschäft. Diese Zeit fehlt ihnen dann aber für die Entwicklung der Praxis.
Der Blick von außen auf das Unternehmen und die damit verbundenen Möglichkeiten, dieses weiterzuentwickeln, fehlen dann und es wird versucht, Lösungen im Tagesgeschäft zu finden. Innovative Lösungen finden sich hier aber selten und es wird für den Praxisinhaber noch schwieriger, sich dem Tagesgeschäft zu entziehen.
Ein wichtiger Tipp für mehr Selbstständigkeit: Wer bereits eigene Pläne hat, kann nicht von anderen verplant werden (Bildquelle: © supattra – stock.adobe.com)
Auch wenn es sicherlich noch weitere Situationen gibt, die den Praxisinhaber tief in der Fremdbestimmungsfalle halten, haben die meisten Praxisinhaber die genannten schon einmal erlebt. Steckt man in den Situationen, ist es schwierig, daraus zu entkommen. Daher lohnt es sich, einmal zurückzutreten und mögliche Lösungsansätze zu entwickeln, um sie dann in der Praxis anzuwenden.
Es ist nicht leicht für Praxisinhaber, ein fremdbestimmendes System zu verlassen – schließlich können sie nicht einfach kündigen und gehen. Aber im Gegensatz zu ihren Mitarbeitern können sie das System verändern. Dafür müssen sie aber Verantwortung für den bisherigen Zustand übernehmen. Man sollte sich daran erinnern, wie es war, fremdbestimmt zu sein, in welchen Situationen es dazu kam und dass man es zugelassen hat. Wir schauen uns nun ein paar allgemeine Hinweise an, um die eigene Praxis selbstbestimmter zu führen.
Wer nicht plant, wird verplant
Wer bereits eigene Pläne hat, kann nicht von anderen verplant werden. Nach diesem Motto sollten alle Termine beruflicher und privater Natur eingeplant werden. Denn gibt es zu viele freie Slots im Kalender, nutzen andere die Chance, um Termine einzutragen. Das geht schneller, als man gucken kann.
Das kann sogar so weit gehen, dass man das Training einträgt oder sich bewusst Raum für die Bewältigung eines Problems blockt. Gerade wenn es mal wieder zu viele Patienten für Therapeuten gibt, besteht die Gefahr, dass der Unternehmer wieder in das Hamsterrad gezogen wird. Für alle sichtbare Terminblöcke in der Praxissoftware verhindern das.
So schafft sich der Praxisinhaber auch Freiräume, um an der Praxis zu arbeiten. Damit die Mitarbeiter gar nicht erst Gefahr laufen, Hilflosigkeit beim Problemlösen zu erlernen, sollte der Praxisinhaber sich die Zeit nehmen, einen Rahmen zu definieren, in dem Mitarbeiter selbstständig Entscheidungen treffen dürfen. Dadurch erlernen sie Eigenverantwortung und verstehen besser, welche Vision der Praxis der Unternehmer hat.
So können sie an dieser mitbauen. Dafür braucht es aber Regeln und Abläufe, an die sich die Mitarbeiter halten können, die alle bekannt sind und bei Bedarf angepasst werden. Und der Praxisinhaber muss lernen, mit Fehlern der Mitarbeiter umzugehen, sie zu tolerieren und gemeinsam mit den Mitarbeitern in die Analyse zu gehen. Das heißt aber auch, dass der Unternehmer Fehler zulässt, also bewusst nicht eingreift, um sie zu verhindern. So wird die Eigenverantwortung gestärkt.
Wie alle Abläufe, Prozesse und Behandlungsmethoden sollte auch der Praxisinhaber ein- bis zweimal im Jahr bei sich prüfen, ob noch alles so läuft, wie es geplant war. Dafür sollte allerdings Ruhe herrschen. Der Jahreswechsel, ein Urlaub oder gezielt gewählte freie Tage bieten sich dafür an. Dann sollte reflektiert werden, ob es nach wie vor fremdbestimmende Elemente gibt oder sich der Unternehmer in der aktuellen Situation so wohlfühlt.
Und ein letzter Rat noch: Auch Unternehmer sollten nicht „ständig“ sein müssen. Dafür müssen sie sich abgrenzen, um Zeit für Erholung oder anderes zu haben. Es ist schnell passiert, dass Patienten kurzfristig nach Terminen via WhatsApp fragen oder Mitarbeiter im Urlaub anrufen. Für den einen wird das in Ordnung sein, für den anderen jedoch nicht. Hier muss der Unternehmer zuerst definieren, welche Grenzen es gibt, und diese dann nach außen kommunizieren.
Fazit
Es ist nicht einfach für Praxisinhaber, sich aus der Fremdbestimmtheit zu lösen und die eigene Praxis und sein Unternehmerleben selbstbestimmt zu führen. Aber der Aufwand und die Arbeit werden sich lohnen. Letztlich ist der Praxisinhaber für den Erfolg einer Praxis verantwortlich.
Lässt er sich immer nur fremdbestimmen, nimmt das Unternehmen über kurz oder lang Schaden. Und als Unternehmer hat der Inhaber auch die Möglichkeit, die Prozesse so zu gestalten, dass sie ihm mehr selbstbestimmtes Handeln ermöglichen.
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