Physiotherapie

Physiotherapeuten – Unternehmer wider Willen?

Es gibt viele Gründe, eine Praxis zu eröffnen: mehr Freiräume, finanzielle Unabhängigkeit, endlich eigene Ideen und Konzepte umsetzen zu können oder auch einfach nur mehr Zeit zu haben. Leider sieht der Alltag dann doch etwas anders aus. Mehr Arbeit als vorher, gepaart mit mehr Verantwortung und Existenzängsten. Also alles doch keine so gute Idee?

Nach einigen Jahren im Angestelltenverhältnis überlegen sich viele Physiotherapeuten, ob sie sich nicht doch lieber mit einer eigenen Praxis selbstständig machen wollen. Zu sehr lockt die Möglichkeit, die eigenen Therapiekonzepte umzusetzen und Mitarbeiter so zu formen, wie man sie sich wünscht. Ein Wunsch, der ohne die richtige Vorbereitung schnell an der Realität scheitern kann. Den Organisationsaufwand sowie das nötige Know-how erwirbt man nicht einfach so und leider schon gar nicht in der Ausbildung. Denn letztlich ist man nun nicht mehr Physiotherapeut, sondern nebenbei noch Vollzeitunternehmer mit allen Pflichten, die auf einen warten. Letztlich geht es um betriebswirtschaftliches Wissen, das für die Führung einer Praxis gut ist. Und nicht nur das Wissen ist wichtig, sondern genauso die praktische Erfahrung, die noch viel weniger Therapeuten besitzen.

 

Vielen Physiotherapeuten fällt es schwer, sich von der Arbeit an der Bank zu lösen und sich vor allem dem Unternehmertum zu widmen

 

Hinzu kommt, dass viele sicherlich ihr Konzept gut durchdacht haben – zumindest auf der therapeutischen Seite. Hier konnte man jahrelang tüfteln und optimieren. Das wird nun anders. Die Doppelbelastung führt zu weniger Zeit für unternehmerische Entscheidungen bzw. überhaupt strategischen Überlegungen, die für die Existenz der Praxis entscheidend sein können. Manche Fehler können das Aus bedeuten. Das baut zusätzlichen Druck auf. Wer die Anfangshürden mit Business- und Liquiditätsplan, Finanzierungen und rechtlichen Herausforderungen erfolgreich gemeistert hat, dann einen guten Standort für die eigene Praxis gefunden, alles organisiert, eingekauft und vorbereitet hat, darf sich auf die nicht gerade einfach Suche nach Personal begeben. Ist das geschafft und der tägliche Betrieb kann losgehen, werden die Herausforderungen nicht weniger: Personalgespräche, Strategieentwicklung, Marketing stehen an, und natürlich noch die eigenen Patienten. Allein die Administration, die einem selbstständigen Physiotherapeuten nicht vergütet wird, dauert im Schnitt 12,5 Stunden – pro Woche wohlgemerkt. Da war noch niemand krank, niemand hat gekündigt, es wurde keine Marketingaktionen umgesetzt – nichts. Das kann ganz schön schlauchen.

Außerdem sehen sich selbstständige Physiotherapeuten seltener als Unternehmer, sondern eben als Physiotherapeuten mit eigener Praxis. Sie arbeiten also nach wie vor im und nicht am Unternehmen. Das geht so weit, dass man diesen Aufgaben aus dem Weg geht, um möglichst wenige negative Empfindungen zu haben. An sich eine kurzfristig valide Taktik, um nicht die Motivation zu verlieren – als Chef aber sehr schwierig umzusetzen, da diese Aufgaben ja dann nicht einfach verschwinden. Schlimmer noch: Schiebt man sie auf, kommen sie eher härter zurück. Eine Einstellung, die in diesem Kontext häufig zu beobachten ist, lässt sich am besten mit dem Motto „Der Laden läuft ja“ beschreiben. Damit das aber auch tatsächlich so ist, sind hohe Arbeitsumfänge beim Unternehmer nötig. Das zahlt weder auf das gesteckte Ziel der finanziellen Unabhängigkeit noch der gesteigerten Freizeit ein, sondern löst vielmehr Existenzdruck aus. Denn die regelmäßige Prüfung der Wirtschaftlichkeit ist ein Problem in vielen kleineren, mittleren Unternehmen – in der Physiotherapie aber ganz besonders. Viele Physiotherapeuten wissen nicht einmal, mit welchen Parametern sich diese messen lässt, geschweige denn wie man sie verbessern könnte. Verdeutlichen wir das mal an ein paar Zahlen: Während sich angestellte Physiotherapeuten mit einem Stundenlohn von 14 € im eher unteren Spektrum der Gehaltskette befinden, liegen die Praxisinhaber mit einem verfügbaren Monatseinkommen von 2.575 € nicht wirklich darüber. Je nach Verwaltungsaufwand verdienen die Unternehmer damit weniger als ihre Mitarbeiter. Das liegt am entsprechenden Aufwand in der Administration, der für den Unternehmer etwa 10 Stunde pro Woche ausmacht und, zumindest aktuell, bei der Vergütung noch nicht eingerechnet ist.

Es sind allerdings nicht nur externe Faktoren, die es den unternehmerischen Physiotherapeuten schwer machen. An erster Stelle steht die eigene Einstellung zum Unternehmertum und zu den damit verbundenen Schwächen. Wozu das führt, sind Praxisschließungen: Ein Großteil der Unternehmer geben ihre Praxis innerhalb der ersten fünf Jahre wieder auf – also bevor sie richtig Fahrt aufnehmen können. Und in dieser Zeit leben nicht wenige Inhaber am Existenzminimum. Dass es auch anders geht, zeigt die nicht gerade geringe Anzahl an Physiotherapeuten, die wirtschaftlich erfolgreich sind. Sie haben ihre Zahlen im Griff und können sich das erfüllen, was sie sich vom Unternehmertum erwartet haben. Unabhängig davon, wie die Qualität der physiotherapeutischen Arbeit ist, haben diese Unternehmer alle eines gemeinsam: Sie haben verstanden, dass wirtschaftliches Denken und Handeln die Grundlage für den Erfolg eines Unternehmers sind. Wer nicht bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen, sollte sich wirklich überlegen, wie lange er bereit ist, diesen Weg zu gehen. Denn es wird der Punkt kommen, an dem man es auch vor sich selbst nicht mehr rechtfertigen kann und die Energie weiter zu kämpfen versiegt.  In den nächsten Artikeln werden wir intensiver darauf eingehen, wie man sich die Grundlagen von betriebswirtschaftlichem Denken und Handeln erarbeiten kann. An dieser Stelle wollen wir uns einmal auf die eher „persönliche“ Seite des Unternehmertums konzentrieren, die für den wirtschaftlichen Erfolg ebenso wichtig ist wie die betriebswirtschaftliche. Es geht um Mitarbeiterführung, Netzwerken, aber auch Marketing und Verkauf.

Genauso wie die administrativen Aufgaben gehören sie einfach zum Unternehmersein dazu. Teilweise lassen sie sich sicherlich an Mitarbeiter abgeben, je nach Personal- und Unternehmensstruktur fallen sie alleine auf den Inhaber zurück. Während man sich die Hard-Skills wie den Umgang mit Zahlen noch ganz gut erarbeiten kann, braucht man für diese Soft-Skills schon eine gewisse Begabung. Sicherlich kann man auch hier einiges lernen. Wer jedoch nicht mit Mitarbeitern umgehen kann, kommt früher oder später an eine Grenze. Glücklicherweise sind die meisten Physiotherapeuten von sich aus schon gut im Umgang mit Menschen und können hier ihre Stärken ausspielen. Insbesondere das Führen der Mitarbeiter ist eine zeitaufwendige Arbeit, die sich allerdings auszahlen wird. Mitarbeiter fühlen sich gut aufgehoben, wertgeschätzt und bringen sich gerne ein, wenn man sie richtig führt. Sie werden zudem eigenverantwortlicher und können dann dem Inhaber wiederum mehr Freiräume für andere Arbeiten schaffen. Während dieser Entwicklung sollte man sie begleiten, damit sie die Ideen des Unternehmers verstehen und umsetzen können. Sind sie dann selbst zu Führungskräften geworden, geben sie das gewünschte Konzept genauer an Mitarbeiter weiter. Das sorgt für ein einheitlicheres Arbeiten. Zudem erwirbt sich das Unternehmen damit den Ruf, mitarbeiterfreundlich zu sein. Das kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken, der ebenfalls ein Problem ist, weshalb so viele Praxisinhaber Überstunden schieben müssen. Es lohnt sich also durchaus, sich mit den gängigsten Führungstheorien zu beschäftigen und diese dann auf die eigenen Bedürfnisse herunterzubrechen.

 

Die Arbeit am Patienten macht vielen Therapeuten am meisten Spaß. Als Unternehmer sollten sie sich aber lieber mit den Themen Personalführung, Marketing und dem Netzwerken beschäftigen

 

Bei der Mitarbeitergewinnung spielt das Thema Außendarstellung eine gewichtige Rolle, also das Marketing. Sicherlich eines der Themen, bei denen man sich am leichtesten die Grundlagen erarbeiten kann, um mit recht geringem Aufwand erste Erfolge zu feiern. Die Herausforderung hierbei ist es, den richtigen Marketing-Mix aus Online- und Offline-Medien zu finden, um sich im lokalen Markt zu platzieren. Zwar können sich viele Physiopraxen vor dem Patientenansturm gar nicht retten – allerdings wirkt Marketing nicht nur in der Neukundengewinnung. Es bringt die Unternehmenswerte nach außen und schärft das Image. Wer zahlende Kunden für einen Selbstzahlerbereich gewinnen möchte, kommt sowieso nicht um Marketing herum. Hier kommt das Problemthema Verkauf dann wiederum ins Spiel. Um es kurz zu machen: Die wenigsten Physiotherapeuten fühlen sich beim Verkaufen einer Leistung wohl. Als Unternehmer gehört es jedoch einfach dazu und auch den angestellten Physiotherapeuten sollten hier Grundlagen vermittelt werden. Glücklicherweise werden immer mehr Angebote speziell für die Sprache der Physiotherapeuten geschaffen, die sich auf das Verkaufen in ihrem speziellen Bereich konzentriert. So müssen keine Werte über Bord geworfen werden. Vielmehr kann man sich darauf konzentrieren, den Verkauf mit dem eigenen Idealismus zu verknüpfen.

Bleibt noch das Thema Netzwerken: Ein Thema, das bei den meisten Physiotherapie-Unternehmern vermutlich am wenigsten verbreitet ist. Dabei ist ein gutes Netzwerk – lokal wie überregional – von enorm wichtiger Bedeutung. Zum einen ist der Austausch mit anderen Unternehmern sehr wertvoll. Viele Probleme, die in einer Branche unlösbar scheinen, wurden in anderen mit simplen Mitteln gelöst. Noch wertvoller ist der Austausch mit Branchenkollegen, die neue Ideen entwickelt haben oder eigene Visionen einordnen können. Und nicht zuletzt bedarf es eines guten regionalen Netzwerkes zu Zeitungen/der Presse, Unternehmen, Lieferanten, aber auch der Politik, um vor Ort wahrgenommen zu werden und gemeinsame Projekte realisieren zu können. Überregionale Events wie MEET THE TOP Physio helfen, solche Netzwerke zu schaffen.

Fazit

So sehr es manche Physiotherapeuten auch vermeiden wollen – letztlich kommen sie um die unternehmerischen Themen einfach nicht herum. Und das ist auch gut so, denn nur so können die eigenen Visionen und Konzepte nachhaltig und erfolgreich umgesetzt werden. Wer sich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen möchte, sollte also erst mal prüfen, ob er sich auf die unternehmerische Seite einlassen möchte, und dann eine Entscheidung fällen.

 

    

Quellen
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Der Autor

  • Jonathan Schneidemesser

    Seit seinem Germanistik-und Philosophie-Studium in Mannheim arbeitet er für das Fachmagazin BODYMEDIA. 2015 übernahm er nach Abschluss seines BWL-Studiums die Chefredaktion für das Magazin. 2017 etablierte er die BODYMEDIA dann mit einem eigenen Magazin im Physio-Bereich. Seine sportliche Erfahrung sammelte vor allem in seiner aktiven Zeit als 800m-Läufer. In seiner Freizeit joggt er durch den Wald oder schwingt Kettlebells.

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