Das Wichtigste in Kürze:
- New Pay ersetzt klassische Gehaltsmodelle nicht, sondern entwickelt sie weiter, um Vergütung an Werte, Kultur und Fairness in der Praxis anzupassen.
- Die Heilmittelbranche ist ein Arbeitnehmermarkt. Transparente, nachvollziehbare und faire Gehälter sind entscheidend für Recruiting, Bindung und Motivation.
- Vergütung sollte nicht nur Anwesenheit oder Taktzeit belohnen, sondern auch Verantwortung, Teamgeist, Qualität und den kulturellen Beitrag der Mitarbeitenden angemessen berücksichtigen.
- Das Gehaltssystem wird rollen und kompetenzbasiert gestaltet, Benefits flexibel angeboten und Boni fair verteilt, zum Beispiel als Wir-Prämie, um Zusammenhalt zu stärken.
- New Pay macht Gehalt zu einem strategischen Führungsinstrument, das Motivation, Leistung, Bindung und rechtliche Anforderungen miteinander verbindet.
Kurzfristige Gehaltsentscheidungen, Tarifsysteme mit Wurzeln in der frühen Industrieära und Boni, die vor allem Anwesenheit belohnen, haben lange funktioniert. Heute bremsen sie jedoch die Entwicklung vieler Physiopraxen. New Pay setzt genau hier an.
Es ist keine Revolution um der Revolution willen, sondern die Weiterentwicklung bestehender Entlohnungsmodelle, damit sie zu den Werten der Branche und zur Kultur der einzelnen Einrichtung passen (Franke, Hornung & Nobile, 2019). Dahinter steht eine einfache, aber oft übersehene Einsicht: Vergütung ist nicht nur Summe X, sondern ein Führungsinstrument, das Bindung, Leistung, Kultur und neue EU-Gesetze gleichermaßen berührt.
Die Heilmittelbranche als Arbeitnehmermarkt
Die Ausgangslage ist klar: Die Heilmittelbranche hat sich zu einem Arbeitnehmendenmarkt entwickelt. Therapierende können wählen, für welche Praxis sie arbeiten möchten. Wer Versorgung sichern will, muss Gewinnung und Bindung strategisch denken – und damit auch das Gehalt als einen zentralen Baustein begreifen.
Gleichzeitig verändern gesellschaftliche Erwartungen und rechtliche Rahmenbedingungen die Spielregeln. Mit der EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz, die bis spätestens Juni 2026 in nationales Recht überführt sein muss, rückt ein Vergütungsverständnis in den Mittelpunkt, das Lohnungleichheiten aufdeckt und abbaut.
EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz – Was müssen Praxen konkret bis 2026 umsetzen?
- Gehälter oder Gehaltsspannen müssen Bewerbenden vor dem Bewerbungsgespräch zugänglich gemacht werden.
- Fragen nach der bisherigen Vergütung des Bewerbenden sind nicht erlaubt.
- Mitarbeitende dürfen sich jährlich die Entlohnung vergleichbarer Positionen der Kollegen in der Praxis geben lassen.
- Praxisinhabende müssen jährlich ihre Kollegen über dieses Auskunftsrecht informieren.
- Verschwiegenheitsklauseln oder andere arbeitsvertragliche Regelungen haben dabei keine Gültigkeit.
In der Konsequenz werden transparente und nachvollziehbare Strukturen vom Wettbewerbsvorteil zur Notwendigkeit. Eine aktuelle StepStone-Befragung (2024) zeigt, dass Gehaltstransparenz entscheidend für Recruiting und Wechselbereitschaft ist. Neun von zehn Bewerbenden würden sich eher bewerben, wenn das Gehalt in der Anzeige steht, und sechs von zehn haben Bewerbungen ohne Gehaltsangabe bereits abgebrochen. Wer also heute schon offen, diskriminierungsfrei und nachvollziehbar vergütet, ist rechtlich wie auch strategisch auf der sicheren Seite.
Wertewandel in Therapiepraxen
Gleichzeitig spiegelt New Pay einen Wertewandel wider. Arbeit ist mehr als die Erfüllung eines Zwecks, denn sie ist auch Sinnstiftung (Bergmann, 2004). Gerade in therapeutischen Berufen wird das mehr als deutlich. Entsprechend muss Vergütung mehr abbilden als reine Taktzeiten. Fürsorge, Empathie, Verlässlichkeit, Teamgeist und Verantwortung sind Kernelemente professionellen Handelns und sie verdienen ihren Platz im Gehaltssystem.
Dass die bisherige Praxis häufig nicht passgenau ist, zeigen aktuelle deutsche Daten: In einer Erhebung unter Physio- und Ergotherapeuten liegt die häufigste Vollzeit-Gehaltsklasse in der Physiotherapie bei 3.001 – 3.500 € brutto pro Monat, während das von den Befragten als „ideal“ empfundene Vollzeitgehalt im Mittel bei etwa 4.076 € liegt (Klein, Lankes & Jöris, 2024).
New Pay ist mehr als ein Vergütungsmodell – es ist ein Führungsansatz, der die Kultur in den Mittelpunkt stellt und das Gehalt als wirksames Instrument begreift (Bildquelle: © Roberto – stock.adobe.com)
Bereits zuvor hatten Erhebungen der Hochschule Fresenius (2017/2018) verdeutlicht, dass wahrgenommene Unangemessenheit und mangelnde Entwicklungsperspektiven zentrale Gründe für Wechselabsichten sind. Klassische Lohnmodelle, oft mit starren Einstiegsgehältern und geringen Entwicklungschancen, schrecken insbesondere junge Therapierende ab. Mit anderen Worten: Höhe und Logik der Vergütung müssen zusammenpassen.
Lösungen nach New Pay
Wie sieht eine Gehaltsstrategie nach New Pay konkret aus? Zunächst lohnt der Blick auf die Anatomie der Entlohnung. Die meisten Systeme bestehen aus drei Bausteinen:
- Grundgehalt als stabile Basis
- Sachbezüge/Benefits zur Zufriedenheitssteigerung
- Gratifikationen/Boni als Anreizkomponente
New Pay ersetzt diese Elemente nicht, sondern richtet sie neu aus. Das Grundgehalt wird rollen- und kompetenzbasiert definiert, nachvollziehbar beschrieben und an Verantwortung und Zusatzaufgaben gekoppelt, sodass es nicht vom individuellen Verhandlungsgeschick abhängig ist. Benefits werden individuell wählbar gestaltet, etwa als flexibles Budget für Mobilität, Gesundheitsleistungen, Sachbezugskarte oder Versicherungslösungen. Die Botschaft dahinter lautet: keine Einheitslösung, sondern Angebote für unterschiedliche Lebensphasen.
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Bei dieser variablen Vergütung rückt das Team stärker in den Fokus. Beispielsweise kann eine „Wir-Prämie“ eingesetzt werden. Dabei wird ein prozentualer Anteil des Praxisergebnisses gleichmäßig im Team verteilt. Das macht wirtschaftliche Zusammenhänge sichtbar, stärkt den Zusammenhalt und verhindert die Demotivation von Kollegen. Individuelle Zuschläge bleiben möglich, müssen aber kriterienbasiert und transparent sein, damit sie als fair erlebt werden.
Ungerechtigkeit bestehender Gehaltsmodelle
Fairness ist der rote Faden, an dem sich alles ausrichtet. Sie hat zwei Dimensionen: Verteilungsgerechtigkeit (Wird die Höhe als angemessen wahrgenommen?) und Verfahrensgerechtigkeit (Sind Kriterien, Prozesse und Entscheidungen nachvollziehbar?). Klassische Gehaltsverhandlungen belohnen häufig die Durchsetzungsfähigkeit der Kollegen statt den Beitrag zur Praxis. Tarifsysteme sorgen zwar für Gleichbehandlung, bilden aber selten den tatsächlichen Wertbeitrag einzelner Teammitglieder ab – etwa wenn Mitarbeitende Verantwortung übernehmen, das Team zusammenhalten oder die Praxis nach außen sichtbar machen.
Klassische Lohnmodelle, oft mit starren Einstiegsgehältern und geringen Entwicklungschancen, schrecken insbesondere junge Therapierende ab (Bildquelle: © Krakenimages.com – stock.adobe.com)
Auch Bonussysteme wirken nur dann motivierend, wenn sie zur Lebensrealität passen. An rein anwesenheits- oder umsatzgebundene Boni knüpfen sich systematische Benachteiligungen für Eltern, pflegende Angehörige oder Kollegen in Weiterbildung. New Pay dreht die Frage um: Wofür wollen wir in unserer Praxis wirklich bezahlen? Für reine Taktzeit – oder auch für Qualität, Verantwortung und das „Fünkchen mehr“, das Kultur trägt?
Der Implementierungsprozess
Damit das nicht Theorie bleibt, braucht es einen klaren Implementierungsprozess. Am Anfang steht eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wie zufrieden ist das Team mit Höhe und Logik der Vergütung? Wo hakt es in der Transparenz? Danach folgt die Analyse. Nicht jeder Wunsch ist bezahlbar, aber Muster werden sichtbar. Wo entstehen Ungleichgewichte, welche Rollen sind unterbewertet, wo fehlt Struktur?
Anschließend werden Lösungen erarbeitet, idealerweise partizipativ und mit externer Perspektive, damit Strukturlösungen statt Einzelfall-Pflästerchen entstehen. Es entstehen Bewertungssysteme, um das Gehalt jedes einzelnen Kollegen angemessen einzuordnen. Und schließlich werden Lohnlücken gezielt über mehrere Gehaltsrunden geschlossen, damit die Praxis bis 2026 transparent sein kann.
Entscheidend ist die Kommunikation: Wenn Kriterien und Wege klar sind, steigt die Akzeptanz – auch dann, wenn die Spielräume begrenzt sind.
New Pay ist damit mehr als ein Vergütungsmodell. Es ist ein Führungsansatz, der die Kultur in den Mittelpunkt stellt und das Gehalt als wirksames Instrument begreift. Für Praxisinhabende bedeutet das: Sie gewinnen im Recruiting, stabilisieren die Bindung, erhöhen die Leistungsbereitschaft und erfüllen zugleich die Anforderungen der EU-Transparenzrichtlinie.
Der Weg dorthin erfordert Mut und Konsequenz, aber keine heroischen Sprünge. Wer heute beginnt, Rollen sauber zu beschreiben, Kompetenzen sichtbar zu machen, Benefits zu individualisieren und Bonifikationen fair auszurichten, wird in einem Jahr nicht nur rechtssicherer sein, sondern auch ein sichtbar zufriedeneres Team haben.
Praxisfazit
Es reicht nicht, nur an der „Gehaltsschraube“ zu drehen. Vielmehr muss die Logistik dahinter gemeinsam mit dem Team gestaltet werden. Am besten startet man mit einer kurzen Befragung, spricht über Werte und Erwartungen, entwickelt ein Modell, das zur Praxis passt, und schließt erkennbare Lohnlücken bis 2026. Jede Gehaltsrunde wird so vom Pflichttermin zum strategischen Führungsinstrument.
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Textquelle 1: Berger, J. (2025). Gehaltstransparenz in Deutschland. Stepstone.
Textquelle 1: Bergmann, F. (2004). Neue Arbeit. Neue Kultur.
Textquelle 1: Franke, S.; Hornung, S. & Nobile, N. (2019). New Pay Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle. Haufe.
Textquelle 1: Hochschule Fresenius. (2017). Unfaire Bezahlung, kaum Aufstiegschancen: Viele Therapeuten flüchten aus ihrem Beruf. idw – Informationsdienst Wissenschaft.
Textquelle 1: Hochschule Fresenius. (2018). Mehr Geld, mehr Verantwortung, akademische Qualifikation: Wie sich Therapeuten im Beruf halten lassen – Hochschule Fresenius präsentiert neue Studie zu Therapieberufen. Hochschule Fresenius.
Textquelle 1: Klein, A., Lankes, S. K., & Jöris, T. M. (2024). Arbeitszufriedenheit und berufliches Commitment von Physio- und Ergotherapeuten: Ein aktueller Querschnitt und Vergleich nach der Corona-Pandemie (Arbeitspapier Nr. 5). Hochschule Niederrhein, Fachbereich Gesundheitswesen, Professur für Dienstleistungsmarketing und -management.
Textquelle 1: The Stepstone Group. (2024). Stepstone Gehaltsreport 2024: Gehaltstransparenz immer wichtiger [Pressemitteilung].