Thomas Kämmerling, Physiotherapeut und Sachverständiger für Physiotherapien
BODYMEDIA: Herr Kämmerling, welche Vorteile haben Fitnessstudios, die ihr Geschäftsmodell um eine Physiotherapie erweitern?
Thomas Kämmerling: Als Sachverständiger für Physiotherapien treten wöchentlich Fitnessstudios an mich heran, die ihr bestehendes Geschäftsmodell um eine Physiotherapie erweitern wollen oder bereits erweitert haben.
Therapie und Training aus einer Hand hat viele Vorteile. Zum einen bietet die Trainingstherapie ein sinnvolles Begleit- sowie Nachsorgeprogramm für viele Patienten, welches zu schnelleren und nachhaltigeren Erfolgen führt.
Zum anderen ist es wirtschaftlich sinnvoll, sein Fitnessstudio durch das Geschäftsmodell der Physiotherapie abzusichern. Denn mit Physiotherapie lässt sich auch gutes Geld verdienen, wenn man die „Spielregeln“ kennt. Am Ende sehe ich den klaren Trend in der Gesundheitsbranche dahingehend, dass es immer mehr „Maximalversorger“ gibt, die Training, Reha-Sport, Physiotherapie, T-RENA und vieles mehr aus einer Hand anbieten und somit den Menschen eine optimale Versorgung ermöglichen.
Mehr dazu: T-RENA, RV-Fit, Rehasport und Funktionstraining in der Praxis
BODYMEDIA: Was gilt es bei der räumlichen Planung der Physiotherapie-Integration zu beachten? Gibt es eine optimale Größe hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit? Wie viele Behandlungsräume benötigt man?
Thomas Kämmerling: Das Entscheidende bei einer Implementierung der Physiotherapie innerhalb des bestehenden Betriebs ist die klare Trennung zwischen Therapie und Training. Natürlich können WCs, Wartebereich oder Rezeption gemeinsam genutzt werden. Dem Patienten muss es aber möglich sein, die Behandlungsräume zu erreichen, ohne andere gewerbliche oder private Flächen zu durchqueren. Sie muss frei zugänglich sein und eine ungestörte Heilmittelabgabe muss gewährleistet sein.
Eine optimale Größe hinsichtlich Wirtschaftlichkeit gibt es meiner Meinung nach nicht. Selbst mit den Mindestanforderungen von zwei Behandlungsräumen mit mindestens 8 m² und einmal 15 m² lässt sich eine gute Rendite erzielen. Ansonsten ist es noch wichtig, dass die Behandlungsräume be-/entlüftbar sowie geheizt sind. Also alles keine großen Stolpersteine.
BODYMEDIA: Was gilt es bei der Businessplanung zu beachten? Welche Investitionssumme, welche Einnahmen sind realistisch?
Thomas Kämmerling: Hier in die Tiefen eines Businessplans vorzudringen würde den Rahmen sprengen. Aber ich mache mal eine simple Milchmädchenrechnung auf: Wenn wir Physiotherapiepraxen implementieren, liegen wir meist bei ca. 5.000 Euro Investitionsvolumen pro Behandlungsraum. Die meisten Fitnessstudios implementieren im Schnitt zu Beginn vier Räume. Für vier Räume benötigt man ca. 50 m² Fläche, also nehmen wir kalkulatorisch mal 750 Euro Miete.
Jetzt kommen noch ein paar Kosten für Fortbildungen, Website, Reinigung, Software, Arbeitskleidung, Lohnbuchhaltung, Strom/Heizung, Versicherung etc. dazu. Wir kalkulieren hierfür mal 2.500 Euro im Monat. Ein Physiotherapeut erwirtschaftet bei 40 Wochenstunden ca. 11.000 Euro im Monat. Wir rechnen mit einem Stundenlohn von 22,50 Euro – das macht ca. 4.800 Euro Arbeitgeber-Brutto pro Vollzeittherapeut.
Bedeutet, dass als Erstinvestition 20.000 Euro für die Behandlungsräume anfallen. Die laufenden Kosten bei drei Vollzeittherapeuten liegen bei ca. 16.900 Euro, die Umsätze bei ca. 33.000 Euro pro Monat. Sie sehen, warum es nicht nur aufgrund des Patienten-Kunden-Transfers sowie des „Prädikats Physiotherapie“ und des damit gewonnenen Imagegewinns für Fitnessstudiobetreiber Sinn macht, eine Physiotherapie zu integrieren. Deshalb gibt es auch viele Betreiber, die mein Team und mich darum bitten, im angemieteten Nebengebäude oder eine Straße weiter eine Praxis für sie zu eröffnen. Am Ende wollen diese Unternehmer ihr Risiko diversifizieren und von mehreren Standbeinen gut leben.
BODYMEDIA: Macht es Sinn, Räumlichkeiten in meinem Fitnessstudio an eine Physiotherapie zu vermieten?
Thomas Kämmerling: Meine klare Antwort: nein. Zumindest nicht, wenn Sie die Synergieeffekte und die finanziellen Möglichkeiten voll ausschöpfen möchten. Das liegt meiner Meinung nach auf der Hand. Erstens: Sie werden niemals einen optimalen Patienten-Kunden-Transfer hinbekommen, wenn Sie selbst in der Physiotherapie nicht die Hand am Steuer haben.
Ich kann der netteste und verständnisvollste Mieter in Ihren Physiotherapie-Räumlichkeiten sein, am Ende muss ich mich um mich selbst, um meine Mitarbeitenden und um meine Patienten kümmern. Da hilft auch eine „Tipp-Provision“ nicht. Und auch die Patienten werden nicht von alleine kommen. Dafür braucht es eine sinnvolle Nutzenargumentation und eine erweckte Selbsterkenntnis, warum eine begleitende oder anschließende Trainingstherapie im Fitnessstudio Sinn macht.
Zudem wird man von den Mieteinnahmen nicht reich. Selbst wenn man pro Quadratmeter 25 Euro verlangt, hat man als Vermieter am Ende des Monats bei 50 m² gerade einmal 1.250 Euro Miete. Hinzu kommt das Risiko, einen unangenehmen Mieter zu haben, der sich in Ihrem „Kerngeschäft einnistet“ und mehr von Ihnen profitiert als umgekehrt. Dann doch lieber selbst die Physiotherapie betreiben.
BODYMEDIA: Wie erhöht man die Chancen, geeignetes Personal zu finden?
Thomas Kämmerling: Physiotherapie ist eine Dienstleistung und trägt sich nur durch den Faktor Mensch. Also gilt es, die Mitarbeitenden glücklich zu machen. Hier gibt es viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Ich fange mal klassisch mit dem Gehalt an. Ich bin selbst Therapeut und weiß, dass ich und meine Kollegen sowie Kolleginnen diesen Job nicht aufgrund des Geldes gelernt haben. Es ist Berufung. Trotzdem möchten wir uns keine Sorgen um unsere finanzielle Situation machen müssen und gerecht bezahlt werden. Das kann eine Physiotherapie aber nur dann, wenn sie die Stellschrauben richtig einstellt.
Ein Erfolgsfaktor für Physiotherapiepraxen sind regelmäßige Schulungen des Personals (Bildquelle: © KWS GmbH )
Neben dem Gehalt spielen dann für viele Therapeuten die Rahmenbedingungen auf der Arbeit eine Rolle. Können die Patienten zusätzliche Behandlungszeit hinzubuchen? Darf ich mit meinen Patienten weg von der Bank und aktiv therapieren? Gibt es ein gutes Leadership, das mich und meine Fähigkeiten fördert? Wie viel Selbstbestimmung habe ich? Kann ich mich auf ein starkes Praxismanagement verlassen? Wenn Sie eine Physiotherapie wie ein professionelles und modernes Unternehmen betreiben und nicht das Geschäftsmodell der Vergangenheit kopieren, dann wird der Fachkräftemangel für sie kein Problem sein.
BODYMEDIA: Wie gelingt es Betreibern bestmöglich, Synergien zwischen Fitnessstudio und Physiotherapie zu schaffen?
Thomas Kämmerling: Das Geschäftsmodell der Physiotherapie bietet dem bestehenden Fitnessstudio zahlreiche Vorteile und Synergien. Der erste Punkt, der auch vielen Fitnessstudiobetreibern, die sich an mich wenden, am wichtigsten ist, ist der „Vertriebskanal Physiotherapie“ zur Mitgliedergewinnung.
Dafür sollte zum einen eine optimale Patientenreise in der Physiotherapie definiert werden. Diese beschreibt den Weg des Patienten von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zum Übergang in die nachhaltige Trainingstherapie des Fitnessstudios. Hier sollten dann alle „Punkte der Patientenkommunikation“ geregelt und am besten mit digitalen Hilfsmitteln unterstützt werden.
Zum anderen gilt es, das Personal regelmäßig zu schulen. Insbesondere das Praxismanagement – also die Menschen an der Rezeption – spielen eine große Rolle bei der optimalen Patientenreise. Hier müssen gutes Coaching und ein strukturiertes Qualitätsmanagement zu Hause sein, dann sind alle Patienten, Mitarbeitenden und auch das Unternehmen glücklich.
Die Physiotherapie profitiert bisweilen von der Möglichkeit, die Trainingstherapiefläche des Studios für ihre Patienten nutzen zu können. Eine Physiotherapie mit begleitender oder anschließender Trainingstherapie ist schon jetzt das Maß aller Dinge bei vielen Patienten und auch die modernen Therapeuten möchten diese Chance für ihre Patienten nutzen können.
BODYMEDIA: Welche generellen Fehler gilt es bei der Integration einer Physiotherapie unbedingt zu vermeiden?
Thomas Kämmerling: Physiotherapie ist kein Selbstläufer. Das denken jedoch viele, da die Terminbücher ja blitzschnell voll sind, ohne viel dafür zu tun. Doch eine Physiotherapie lebt nicht nur von vollen Terminbüchern. Mitarbeiterzufriedenheit durch optimale Rahmenbedingungen für die Therapeuten, Wirtschaftlichkeit durch angemessene Privatpreise und sinnvolle Ausfallhonorare sowie eine optimale Leistungskommunikation mit einem durchdachten Qualitätsmanagement sind enorm bedeutend in einer modernen und rentablen Physiotherapie, um nur ein paar Aspekte zu nennen, die eine „volle Physiotherapie“ von einem „erfolgreichen Geschäftsmodell der Physiotherapie“ unterscheiden.
Wenn man das Business versteht oder gut beraten ist, dann gibt es aber keine großen Fallstricke im Geschäftsmodell Physiotherapie.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
Andreas Dienstbier, Betreiber des Gesundheitsforums Welden
BODYMEDIA: Herr Dienstbier, Sie sind erfolgreicher Betreiber des Gesundheitsforums Dienstbier. Dort leben Sie und Ihr Team Therapie und Training aus einer Hand. Ihr Sport- und Trainingscenter wurde dafür nach über 35 Jahren um eine Physiotherapiepraxis erweitert. Wie kam es zu diesem Entschluss?
Andreas Dienstbier: Die Entwicklung unseres Familienunternehmens war schon immer geprägt vom Wandel der Zeit. In den 90er-Jahren wurde das Sportcenter Welden von meinen Eltern Elfriede und Alfred zu Zeiten des Tennis- und Squash-Booms gegründet und betrieben. Über die Jahrzehnte haben wir uns stetig von einer Multifunktionsanlage zu einem Premiumanbieter für Fitness und Gesundheit entwickelt.
Wir gingen konsequent den logischen Schritt in Richtung Gesundheit weiter und haben eine Physiotherapie integriert. Der demografische Wandel und die Marktsituation haben unsere Idee untermauert. Das führte zur Transformation vom Sport- & Fitness Center Welden zum Gesundheitsforum Dienstbier Therapie & Training.
BODYMEDIA: Was ist der Mehrwert für Ihre Mitglieder und Patienten?
Andreas Dienstbier: Die Therapie und das Training inspirieren sich gegenseitig. Auf der einen Seite können wir die Menschen schon deutlich früher abholen, z. B. direkt nach einer OP, und ihnen langfristig zu einem gesunden Lebensstil verhelfen. Zum anderen sind unsere Trainer und Therapeuten miteinander vernetzt und können Patienten sowie Mitglieder optimal betreuen. Letztendlich macht so das Arbeiten mit den Menschen noch mehr Spaß. Die Erfolge sprechen für sich!
BODYMEDIA: Sie sind ein Experte im Bereich Sport und Training, jedoch hatten Sie zuvor keinerlei Erfahrung in der Physiotherapiebranche. Was hat Sie dazu bewegt, diesen Schritt trotzdem zu gehen?
Andreas Dienstbier: Selbstverständlich sind solche großen Veränderungen immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Es gehört daher immer eine Portion Mut dazu. Die Initialzündung kam durch die Unternehmensübergabe meiner Eltern an mich. Das Sport- & Fitness Center Welden stand auf einem stabilen finanziellen Fundament.
Im Herbst 2023 wurdet das Angebot im Gesundheitsforum Dienstbier um eine eigene Physiotherapie erweitert (Bildquelle: © Andreas Dienstbier)
Meine Eltern sind in den Hintergrund getreten und fungierten als Investoren für den Anbau der neuen Physiopraxis. Des Weiteren ist meine Schwester Michaela in die Führungsebene eingestiegen und künftig als zweite Studioleitung tätig. So konnten wir diese Wandlung aus einer starken Position heraus vollziehen und die Vision „Die Gesundheit der Menschen steigern“ in die Tat umzusetzen.
BODYMEDIA: Was ist eines Ihrer persönlichen Highlights in Bezug auf die Physiotherapie-Integration?
Andreas Dienstbier: Ein Highlight war die große Neueröffnung des Gesundheitsforums Dienstbier im Herbst 2023, als wir die Physiotherapie feierlich an den Start bringen konnten. Hier haben wir an einem Wochenende 70 Neukunden für das Studio gewonnen.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
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