Die Freude beim Praxisinhaber ist groß – endlich ist es passiert. Nach zähen Wochen des Suchens kam endlich eine Bewerbung in der Praxis an. Und auch noch von jemandem, der gut in das bestehende Team und zur Ausrichtung der Praxis passt. Sogar ein Bewerbungsgespräch ist schon vereinbart. Der Inhaber fiebert dem Termin entgegen. Zur vereinbarten Uhrzeit taucht der Bewerber allerdings nicht auf.
Nicht schlimm, denkt sich der Praxisinhaber, jeder kann sich mal verspäten. Aber als der Bewerber nach weiteren fünf und dann zehn Minuten immer noch nicht da ist, greift der Inhaber zum Handy und ruft ihn an. Aber nichts – niemand nimmt ab.
Ghosting ist weit verbreitet
Was in der beschriebenen Szene passiert, nennt man Ghosting und kommt eigentlich aus dem Datingbereich. Es beschreibt ein Phänomen, bei dem einer der Kommunikationspartner den Kontakt ohne Vorwarnung komplett abbricht und nicht mehr erreichbar ist. Er wird sozusagen zum Geist. Das ist auch in der Physiotherapie ein Thema. Auf einmal sind Patienten mit offenen Rechnungen nicht mehr erreichbar oder eben Bewerber, in die man große Hoffnungen gesetzt hat.
Ghosting ist dabei kein kleines Problemchen mehr. Ein Drittel aller Bewerber sind nach einem Bewerbungsgespräch nicht mehr erreichbar und 10 % erscheinen sogar nicht zum ersten Arbeitstag, obwohl sie bereits einen Arbeitsvertrag unterschrieben haben. Beim Geghosteten kommen erst mal Gefühle wie Unverständnis auf, später sicher auch Ärger und im Falle unseres Inhabers möglicherweise sogar leichte Verzweiflung.
Man sollte immer den Kommunikationsweg wählen, der für den Bewerber am einfachsten ist (Bildquelle: © Alliance - stock.adobe.com)
Und ganz kann man es sicherlich nicht abstellen, aber mit dem richtigen Recruitingprozess kann es gelingen, das Ghosting deutlich zu verringern. Stellen wir uns erst einmal die Frage, warum es überhaupt zum Ghosting kommen kann. Fragen geht ja leider nicht, daher kann man nur Vermutungen anstellen. Das naheliegendste ist sicherlich, dass Bewerber eine größere Auswahl an Jobmöglichkeiten haben, sich für eine entscheiden und dann einfach vergessen, den anderen abzusagen.
Ein weiterer Grund kann sein, dass Bewerber bereits selbst von Ghosting betroffen waren und es als „normal“ ansehen, dass eine der beiden Seiten sich nicht mehr meldet. Zudem zeigt sich insgesamt ein gesellschaftlicher Trend zu weniger Verbindlichkeit. Der Praxisinhaber aus unserem obigen Beispiel könnte sich die Frage stellen, ob er die richtigen Kommunikationskanäle gewählt hat, um den Bewerber erneut zu kontaktieren.
Vielleicht ging es dem Bewerber aber auch einfach alles zu langsam und es zog sich zu lange hin. Möglicherweise hat er von einer anderen Stelle früher Bescheid bekommen. Es zeigt sich also, dass es von beiden Seiten abhängt, ob der Prozess gelingt. Nun können Praxisinhaber nur eine Seite gestalten und wir schauen uns an, wie man den Recruitingprozess so gestalten kann, dass Ghosting möglichst minimiert wird. Gleichzeitig sind das wichtige Hinweise für die allgemeine Gestaltung des Recruitingprozesses.
Den Bewerbungsprozess einfach gestalten
Ähnlich wie Therapeuten in der Therapie patientenzentriert behandeln, sollten sie den Bewerbungsprozess kandidatenzentriert gestalten. Die wichtigste Frage, die zu Beginn beantwortet werden sollte, ist also, welche Bedürfnisse der Bewerber im Recruitingprozess hat. In der heutigen Zeit sollte es vor allem schnell und einfach sein. Dabei ist es gar nicht so einfach, einen Bewerbungsprozess unkompliziert zu gestalten.
Um dem Bewerber die Bewerbung zu vereinfachen, verzichten viele Inhaber in einem ersten Schritt auf das Zusenden der üblichen Unterlagen wie Anschreiben und Lebenslauf und beschränken sich auf den Namen und eine E-Mail-Adresse bzw. Telefonnummer. In einem ersten Gespräch können sich beide Parteien einmal kennenlernen und entscheiden, ob es zu einem Bewerbungsgespräch kommt.
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Das macht es etwas schwieriger, den Bewerber im Vorfeld einzuschätzen, erleichtert aber den Prozess für den potenziellen Mitarbeiter. Vom Praxisinhaber wird hierbei viel Flexibilität gefordert, weil er sich nach dem Bewerber richten muss, aber das kann sich durchaus auszahlen, wenn dieser merkt, dass man sich um ihn bemüht.
Die Lieblingskommunikationskanäle nutzen
Bewerber haben unterschiedliche Bedürfnisse in der Ansprache. So hat jeder seinen Lieblingskommunikationskanal, auf dem er am besten erreichbar ist. Sei es nun E-Mail, WhatsApp oder das Telefon. Praxisinhaber sollten für alle Wege offen sein und es ihren Bewerbern leicht machen. E-Mails gehen schnell mal unter, wenn WhatsApp der bevorzugte Kanal ist. Und jemanden via Telefon zu erreichen ist schwierig, es sei denn, er möchte erreicht werden.
Viele Anfragen werden erst mal per E-Mail eingehen, da es für den Bewerber eine einfache Möglichkeit der Kontaktaufnahme ist. Ab diesem Punkt kann dann sogar besprochen werden, über welchen Weg kommuniziert wird. Für eher jüngere Bewerber wird das sicherlich WhatsApp sein. Ältere Therapeuten bevorzugen vielleicht sogar das Telefon.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Der Praxisalltag ist stressig, keine Frage. Hier ist jemand kurzfristig krank, dort gibt es Probleme mit einem Rezept und dann hat man vielleicht sogar noch eigene Patienten, die man gut behandeln möchte. Da kann es schon mal passieren, dass man eine Bewerbung übersieht, falsch einschätzt oder sogar vergisst, sich zurückzumelden. Wie bereits erwähnt, kann das Bewerbern zeigen, dass Ghosting, gewollt oder ungewollt, ein akzeptables Verhalten ist.
Daher sollten Praxisinhaber hier immer mit gutem Beispiel vorangehen und sich schnell und verlässlich melden.
Im Gespräch bleiben
Der letzte Punkt ist wichtig für die Zeit zwischen Bewerbungsgespräch und dem ersten Arbeitstag. In dieser Zeit kann viel passieren. Daher ist es für den Praxisinhaber sinnvoll, diesen Zeitraum mit Kommunikation zu füllen. Hinweise, wie der erste Arbeitstag aussehen wird, was der neue Kollege mitbringen soll und wer seine Ansprechpartner sind, sind legitime Gründe, weiterhin zu kommunizieren. So weiß der neue Kollege, was auf ihn zukommt, und fühlt sich willkommen geheißen.
Fazit
Ghosting ist ein durchaus verbreitetes Phänomen im Recruiting und wird sicherlich nie ganz vermeidbar sein. Mit einigen wenigen Kniffen kann dem effektiv vorgebeugt werden. Praxisinhaber sollten ein Gefühl dafür bekommen, welche Personen sie erreichen möchten, und ihren Bewerbungsprozess danach ausrichten. Mit der Wahl der richtigen Kommunikationskanäle kann das Risiko von Ghosting vom Eingang der Bewerbung bis zum ersten Tag effektiv verringert werden.
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