Digitalisierung

Wenn KI unsere Jobs übernimmt, wird Fitness zum neuen Prestige

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Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Roboter unsere Arbeit übernehmen – präzise, unermüdlich und kosteneffizient. Diese Zukunft ist keine ferne Vision mehr. Wir stehen am Anfang der Roboterrevolution und ihr Treibstoff ist Künstliche Intelligenz.

Roboter sind seit Jahrzehnten im Einsatz – in der Industrie, in der Logistik, zunehmend auch im Haushalt. Was sich jetzt dramatisch verändert, ist ihr Gehirn: die KI. Während klassische Maschinen vordefinierte Abläufe abarbeiten, ermöglichen moderne KI-Systeme eine neue Qualität: Sie lernen, passen sich an und treffen Entscheidungen. Diese Kombination – intelligente Software trifft autonome Hardware – ist der Katalysator für eine Disruption, wie wir sie seit der Erfindung des Internets nicht erlebt haben.

Laut einer viel beachteten Studie von Frey und Osborne (Oxford University, 2017) sind bereits 47 % aller Jobs in den USA potenziell automatisierbar. Neuere Modelle, die den aktuellen Stand von generativer KI (wie GPT-4 oder Claude 3) und Robotik einbeziehen, sprechen davon, dass in den nächsten 5 bis 10 Jahren 65 % der Jobs von Maschinen übernommen werden​.

Sam Altman, CEO von OpenAI, brachte es kürzlich auf den Punkt: „Most cognitive tasks will be done better and cheaper by AI – very soon.“ Also, dass die meisten geistigen Arbeiten besser und günstiger durch Künstliche Intelligenz erledigt werden – und zwar sehr bald. Was wir gerade erleben, ist kein normales technisches Update – es ist der Wendepunkt der Menschheitsgeschichte. Um zu verstehen, wie tiefgreifend diese Veränderung ist, müssen wir begreifen, was sich in der Welt der Künstlichen Intelligenz abspielt.

KI mit übermenschlichen Fähigkeiten

Die künstliche Intelligenz, wie wir sie heute nutzen, ist hoch spezialisiert. Sie kann bestimmte Aufgaben extrem gut lösen – zum Beispiel Sprache verstehen, Bilder erkennen, Routen berechnen oder Schach spielen. Man nennt das künstliche enge Intelligenz oder Artificial Narrow Intelligence (ANI). Diese Art von KI steckt hinter Tools wie ChatGPT, Sprachassistenten oder auch in den Algorithmen, die unseren Alltag längst mitgestalten. Sie ist mächtig – aber eben auf einen Zweck beschränkt.

Doch genau hier beginnt die Revolution: Der nächste Entwicklungsschritt ist die sogenannte Allgemeine Künstliche Intelligenz, Artificial General Intelligence (AGI). Das ist eine KI, die nicht nur einzelne Aufgaben löst, sondern flexibel denken, lernen und sich an neue Situationen anpassen kann – ähnlich wie ein Mensch. Sie ist in der Lage, Probleme zu analysieren, zu abstrahieren und Entscheidungen zu treffen, ohne dafür eigens programmiert zu werden.

Ein Tesla-Roboter im Tesla-Ausstellungsraum
Tesla verfolgt mit dem humanoiden Roboter „Optimus“ ehrgeizige Produktionspläne. Bereits ab diesem Jahr soll die Pilotfertigung starten – mit rund 5.000 Einheiten jährlich. Doch das ist nur der Anfang: Schon 2026 plant Tesla, die Produktion auf bis zu 100.000 Roboter jährlich zu steigern (Bildquelle: © kittyfly – stock.adobe.com)

Experten weltweit – von OpenAI über Google bis hin zu unabhängigen Forschungsinstituten – gehen davon aus, dass wir diesen Punkt möglicherweise schon bis 2030 erreichen. Und das ist nicht alles. Am Horizont wartet eine noch radikalere Vorstellung: superintelligente KI, Artificial Superintelligence (ASI). Eine Form der Intelligenz, die weit über menschliche Fähigkeiten hinausgeht. Sie wird komplexe gesellschaftliche Probleme lösen, wissenschaftliche Durchbrüche in Stunden erzielen, für die Menschen Jahrzehnte brauchen – oder ganze Wirtschaftssysteme neu denken.

Die Diskussion darüber ist heute keine Science-Fiction mehr, sondern ein ernsthaftes Thema in Forschung und Wirtschaft – leider noch nicht in der Politik.

Warum das gerade jetzt wichtig ist? Weil diese Entwicklungen nicht linear verlaufen, sondern exponentiell. Das bedeutet: Die Fortschritte, die früher Jahrzehnte gedauert haben, passieren heute innerhalb von Monaten. Und genau jetzt beginnt die Kombination dieser intelligenten Systeme mit etwas, das ebenso kraftvoll ist: Robotern.

Roboter als Gamechanger

Roboter waren bisher hauptsächlich Maschinen ohne Verstand – stark, präzise, aber dumm. Erst durch die Verbindung mit KI bekommen sie ein Gehirn. Und genau das ist der Gamechanger: Wenn KI-gesteuerte Roboter in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, sich anzupassen und selbstständig zu lernen, dann können sie in Fabriken, Krankenhäusern, Call-Centern oder im Management ganze Berufsfelder übernehmen – schneller, günstiger, effizienter als jeder Mensch. An diesem Punkt stehen wir gerade.

Amazon setzt bereits verstärkt auf Robotik, um Effizienz zu steigern und Kosten zu senken. Das Unternehmen hat den humanoiden Roboter „Digit“ in seinen Lagern in Amerika eingeführt, der darauf ausgelegt ist, schwere Lasten zu heben und zu transportieren. Diese Roboter arbeiten derzeit in abgegrenzten Bereichen, sollen jedoch bis Ende 2025 Seite an Seite mit menschlichen Mitarbeitern tätig sein. Das chinesische Unternehmen Agibot hat die Produktion von 1.000 humanoiden Robotern angekündigt, die sowohl in Haushalten als auch in der Industrie eingesetzt werden sollen.

Tesla verfolgt mit dem humanoiden Roboter „Optimus“ ebenfalls ehrgeizige Produktionspläne. Bereits ab diesem Jahr soll die Pilotfertigung starten – mit rund 5.000 Einheiten jährlich. Doch das ist nur der Anfang: Schon 2026 plant Tesla, die Produktion auf bis zu 100.000 Roboter jährlich zu steigern. Langfristig rechnet das Unternehmen mit einer Jahresproduktion im Bereich von 50.000 bis 100.000 Einheiten.

Optimus soll in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden, zunächst in Teslas eigenen Fabriken, später aber auch in Logistik, Pflege, Gastronomie oder im Einzelhandel. Diese Zahlen zeigen deutlich: Tesla und andere globale Player wollen nicht nur Roboter bauen – sie wollen eine ganze Roboter-Arbeitskraft-Klasse etablieren. Doch was bedeutet das für uns Menschen – und was konkret bedeutet das für die Fitnessbranche?

Wenn Arbeit wegfällt, fällt auch Identität

Unsere Gesellschaft definiert sich stark über Erwerbstätigkeit. Wer bist du? Die Antwort lautet oft nicht „Ich bin Lisa“ oder „Ich bin Vater von zwei Kindern“, sondern: „Ich bin Lehrer“, „Ich bin Managerin“, „Ich bin Ingenieur“. Arbeit gibt uns nicht nur Struktur und Einkommen – sie gibt uns auch Bedeutung. Sie vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden, einen Beitrag zu leisten, Teil der Gesellschaft zu sein. Beruf ist Status. Arbeit ist Identität. Einkommen ist Zugehörigkeit.

Doch was passiert, wenn diese Fundamente wegbrechen – nicht nur für Einzelne, sondern für große Teile der Bevölkerung? Bereits heute zeigen zahlreiche Studien, wie stark sich der Verlust der Arbeit auf das psychische Wohlbefinden auswirkt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie Forschungsinstitute wie das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung betonen, dass Arbeitslosigkeit nicht nur zu finanzieller Unsicherheit, sondern auch zu Isolation, Identitätsverlust und einer erhöhten Anfälligkeit für Depressionen führt.

Arbeit strukturiert unseren Alltag, sie erzeugt soziale Kontakte, und vor allem: Sie gibt dem Tag einen Sinn. Wenn dieser Anker fehlt, gerät vieles ins Wanken – nicht nur ökonomisch, sondern existenziell.

Auch der Philosoph Richard Sennett beschreibt in seinem Werk The Corrosion of Character, wie tief verwurzelt Arbeit im Selbstverständnis moderner Menschen ist. Arbeit, so Sennett, sei in der westlichen Gesellschaft nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Teil einer narrativen Identität – der Geschichte, die wir über uns selbst erzählen.

In einer postindustriellen, postarbeitenden Gesellschaft, wie sie uns durch die Automatisierung immer näher kommt, wird diese Geschichte neu geschrieben werden müssen. Menschen werden sich über andere Dinge definieren müssen: über ihre Werte, ihre Kreativität, ihr soziales Umfeld, ihr Aussehen oder ihre körperliche Leistungsfähigkeit. Genau hier liegt eine der größten Chancen für die Fitness- und Gesundheitsbranche. Denn wenn der Mensch sich nicht mehr über das, was er tut, definieren kann, wird das, wie er lebt, zum neuen Maßstab. Fitness wird zur Bühne der Selbstverwirklichung und zur neuen Quelle von Status.

Wenn der Mensch sich nicht mehr über seinen Job definieren kann, wird das Ich wieder stärker über andere Dimensionen erlebt: Aussehen, Gesundheit, körperliche Leistungsfähigkeit. Die Zeit, die früher in die Erwerbsarbeit floss, wird verlagert – in Freizeit, persönliche Weiterentwicklung, soziale Beziehungen und ja: in den Körper. Fitness wird zum Statussymbol. Wer Zeit und Energie in seine körperliche Gesundheit investiert, demonstriert Kontrolle, Disziplin und Selbstwirksamkeit – Eigenschaften, die in einer Welt ohne klassische Arbeit umso wichtiger werden. Die Fitnessbranche wird zum kulturellen Dreh- und Angelpunkt einer neuen Gesellschaft.

Boombranche mit gesellschaftlicher Verantwortung

Was wir heute schon sehen, ist nur der Beginn. Die Branche wächst jährlich, aber der wahre Schub steht noch bevor. Denn Fitness wird nicht nur Lifestyle, sondern Lebensinhalt. Studios entwickeln sich zu sozialen Zentren, Trainer zu Coaches für ein selbstbestimmtes Leben, Anbieter zu Plattformen für körperliche und mentale Resilienz. Dabei trägt die Branche eine neue Verantwortung. Es geht nicht mehr nur um Muskelaufbau oder Gewichtsverlust, sondern um die Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft in einer Welt ohne Erwerbsarbeit leben? Fitness ist Teil der Antwort.

Die Digitalisierung wird Berufe ersetzen, aber sie schafft auch neue Räume. Fitness ist einer dieser Räume. Die Branche wird in den nächsten Jahren nicht nur weiter wachsen – sie wird bedeutender denn je. Jetzt ist der Moment, um zu investieren – in neue Konzepte, in innovative Angebote, in Menschen. Wer Fitness nicht mehr nur als Business versteht, sondern als gesellschaftliche Bewegung, hat die Chance, echte Relevanz zu schaffen. Die Roboter übernehmen die Arbeit. Wir selbst übernehmen die Menschlichkeit.

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Der Autor

  • Steffen Reckert

    Steffen Reckert ist Autor, KI-Philosoph und Zukunftsforscher. Er leitet den Think Tank Gotham Resilient Insight & Development (GRID). Seine Arbeiten, darunter Potentialism: The Human Potential in a Post-Work Economy, beschäftigen sich mit den Auswirkungen der KI-Revolution auf Gesellschaft, Arbeit und menschliches Selbstverständnis.

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