Das Wichtigste in Kürze:
- Unternehmen stehen aktuell vor der Herausforderung, Mitarbeitende langfristig leistungsfähig zu halten, da viele das Rentenalter aus gesundheitlichen Gründen nicht erreichen und Produktivität zunehmend durch Präsentismus leidet.
- Für Fitness- und Gesundheitsstudios eröffnen sich dadurch große Chancen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement, da Fitnessangebote im Wettbewerb um Fachkräfte zu einem wichtigen Benefit geworden sind und körperliche sowie psychische Gesundheit gleichermaßen adressieren.
- Erfolgreiche BGM-Angebote müssen ganzheitlich sein und neben Training auch Themen wie Ernährung, Stressmanagement, Führungskultur und Arbeitsbedingungen einbeziehen, statt sich nur auf klassische Fitnessleistungen zu beschränken.
- Der Nutzen von BGM zeigt sich vor allem mittel- bis langfristig durch geringere Fluktuation, höhere Arbeitgeberattraktivität und Prävention kostenintensiver Erkrankungen, weshalb langfristige Strategien und steuerliche Anreize zentrale Erfolgsfaktoren sind.
BODYMEDIA: Was sind die größten Herausforderungen, denen sich Unternehmen derzeit im BGM stellen müssen, sei es durch Fachkräftemangel, veränderte Arbeitswelten oder die psychische Gesundheit?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Die zentrale Aufgabe ist es, Mitarbeiter leistungsfähig zu halten, mindestens bis 67 Arbeitsfähigkeit sicherzustellen, aktuell erreichen nur 60 % der Arbeitenden das reguläre Rentenalter, 40 % gehen früher. Aber nicht jeder Mitarbeiter, der krankgeschrieben ist, ist krank und nicht jeder, der arbeitet, ist gesund. Darunter leidet die Produktivität, insbesondere unter dem Präsentismus, das heißt, Menschen, die arbeiten, aber nicht voll leistungsfähig sind.
BODYMEDIA: Welche konkreten Chancen ergeben sich aus diesen Herausforderungen für Fitness- und Gesundheitsstudios?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Es ist eine sehr gute Zeit für Fitnessanbieter, im Firmengeschäft zu wachsen. Viele Experten erwarten 2026 einen volkswirtschaftlichen Aufschwung. Die Unternehmen übertreffen sich derzeit im „War for Talents“, also im Kampf um die besten Mitarbeiter, mit Benefits. Fitnessangebote sind hier ein Must-have.
Auch wenn die psychischen Erkrankungen immer mehr steigen, sind die Muskel- und Skeletterkrankungen immer noch der häufigste Krankheitsgrund. Hier hilft das Fitnessstudio. Und es gibt Zusammenhänge zwischen körperlicher und mentaler Stärke.
BODYMEDIA: Die Notwendigkeit von BGM wird allein aufgrund der verschiedenen Gesundheitsreports der vergangenen Jahre deutlich. Warum tun sich dennoch so viele Unternehmen mit dem Thema BGM so schwer und weshalb ist es Ihrer Meinung nach auch vielen Fitnessstudios noch nicht gelungen, sich im größeren Stil als BGM-Experten zu etablieren?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Das ist richtig. Gerade in finanziell schwierigen Zeiten wird zuerst an „weichen Themen“ wie Benefits gespart, das ist aber ein Fehler. Und für viele Unternehmen ist der Return on Invest von Gesundheitsmaßnahmen nicht transparent. Die Studios müssen sich breiter aufstellen. Über die reinen Fitnessangebote der Verhaltensprävention müssen auch die Verhältnisse thematisiert werden.
Das heißt, die Vorbildfunktion von Führungskräften, Arbeitszeiten etc. Auch Randthemen zur Fitness, wie Ernährung und Stressmanagement, sollten von den Studios mehr adressiert werden. Die Arbeitgeber wollen nicht für jedes Handlungsfeld einen separaten Dienstleister. Zum Teil machen hier auch Kooperationen Sinn.
BODYMEDIA: Wie können Fitnessstudios Vertrauen aufbauen und Unternehmen von ihrem BGM-Angebot und einer langfristigen Zusammenarbeit überzeugen?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Hier sind zunächst seriöse Geschäftsmodelle ohne lange Vertragslaufzeiten für den einzelnen Mitarbeiter gefragt. Das Unternehmen braucht langfristige Verlässlichkeit, steuerliche Sicherheit und den Arbeitsbedingungen angepasste Öffnungs- und Kurszeiten. Die Qualifikation des Personals wird auch immer weiter in den Vordergrund rücken.
BODYMEDIA: Welche konkreten Leistungen sollten Fitness- und Gesundheitsstudios anbieten und welche Voraussetzungen müssen sie erfüllen, um für Unternehmen als BGM-Partner attraktiv zu sein?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Wichtig ist auch aus steuerlichen Gründen, Maßnahmen in Anlehnung an § 20 SGV in der Produktpalette zu haben. Darüber hinaus müssen in Zukunft über die klassischen Fitnessstudioangebote hinaus, z. B. für die Mitarbeitenden im Homeoffice, auch digitale Angebote offeriert werden. Die Studios müssen die Unternehmen beim Marketing und der Kommunikation der Angebote unterstützen, um die Teilnahmequoten zu erhöhen.
Derzeit erreicht man überwiegend die Gesundheitsbewussten. Sie müssen als ganzheitlicher Gesundheitspartner den HR-Verantwortlichen helfen. Und sie müssen sich qualitativ gegenüber den großen studioübergreifenden Firmenfitnessanbietern abheben.
BODYMEDIA: Wie können Fitnessstudios den Return on Investment ihrer BGM-Angebote für Unternehmen messbar machen und überzeugend darstellen?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Das Messen des Erfolges ist das Quantifizieren von nicht eingetretenen Krankheitstagen. Das ist sehr schwierig. Zufriedenheit mit den Angeboten lässt sich gut messen. Diese wirkt sich positiv auf die Kündigungsquote und Arbeitgeberattraktivität aus.
Angebote haben manchmal selbst dann einen Nutzen, wenn sie vom Mitarbeiter nicht genutzt werden, weil die Mitarbeitenden wertschätzen, dass die Firma etwas für sie tut. Fitnessstudios haben einen positiven Return on Invest, aber erst mittel- und langfristig. Bestimmten Krankheitsbildern wie zum Beispiel Bandscheibenvorfälle und Arthrosen kann in Studios primärpräventiv begegnet werden. Das Vermeiden einer solchen Krankheit hat dann große finanzielle Vorteile für ein Unternehmen.
BODYMEDIA: Im Durchschnitt lag die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage in Deutschland im Jahr 2024 laut WIdO bei 23,9 Tagen pro Arbeitnehmer. Wie wird sich diese Zahl Ihrer Meinung nach in Zukunft entwickeln und welche Krankheiten werden hauptsächlich für die Ausfallzeiten verantwortlich sein?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: In der Tat liegen wir in Deutschland derzeit relativ hoch bei den Fehltagen. Da diese mit dem Alter der Mitarbeiter steigen, werden sie in Deutschland aufgrund des demografischen Wandels weiter steigen. Übrigens steigen insbesondere die Muskel- und Skeletterkrankungen mit dem Alter, hier können Fitnessstudios helfen.
Besondere Sorgen macht mir der Anstieg der psychischen Erkrankungen. Auch hier kann Sport Abhilfe schaffen.
BODYMEDIA: Durch die Fehltage entstehen sehr hohe Kosten für Unternehmen und die Wirtschaft. Welche Ansätze sehen Sie, um die Situation zu verbessern? Welche Impulse könnten bzw. müssten Ihrer Ansicht nach z. B. von der Politik ausgehen?
Prof. Dr. Volker Nürnberg: Natürlich kann der Gesetzgeber das steuern, beispielsweise über Eingriffe bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, mit diesem Instrument wäre ich aber sehr vorsichtig. Darüber hinaus könnte man steuerliche Anreize für diejenigen Unternehmen schaffen, die die Mitarbeitergesundheit fördern. Und die Sozialversicherungsträger, also Krankenkassen, Rentenversicherung und Unfallkassen, könnten noch mehr dazu verpflichtet werden, die Prävention zu stärken.
BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.
Bildquelle Header: © Prof. Dr. Volker Nürnberg