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Trends frühzeitig erkennen und umsetzen am Praxisbeispiel Thalia

Am Beispiel der Buchhandelskette Thalia zeigt unser Gastautor, wie wichtig es ist, externe Einflüsse aus anderen Branchen und Ländern zu kennen, zu analysieren und dann bei sich im Fitnessstudio für die eigene Zielgruppe anzupassen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Individualismus geht überall in der Branche voran.
  • Sportbegeisterte wollen überall und zu jeder Zeit in der Lage sein, Sport treiben zu können.
  • Durch die vielen Trends, die auf die Branche zukommen, kann es sich für Unternehmen in einer schwierigen Marktsituation lohnen, Partnerschaften und Kooperationen einzugehen und diese zu pflegen.

Die deutsche Fitnesswirtschaft dient der Gesunderhaltung der Bevölkerung wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig (dibdib, 2022). Das Streben nach körperlicher und mentaler Fitness ist aus dem öffentlichen Leben und den Social-Media-Plattformen nicht mehr wegzudenken. Für mich persönlich steht Fitness für das intrinsische Bedürfnis der eigenen Weiterentwicklung wie keine andere Sportart. Und genau wie man im Fitnesstraining hin und wieder externe Reize benötigt, um sich selbst zu verbessern, so möchte ich mit dieser Artikelserie externe Reize setzen, an denen sich die Branche zur stetigen Weiterentwicklung orientieren kann.

Viele Branchen machen sich die Prozesse aus anderen Industrien zunutze, um selbst bessere Ergebnisse zu erzielen. Warum also nicht auch die deutsche Fitnessindustrie? Lassen Sie uns über den Tellerrand schauen und sehen, was wir von Thalia lernen können.

Was ist Thalia?

Die Thalia Bücher GmbH ist eine deutsche Buchhandelskette, die durch den Zusammenschluss mit der Mayerschen Buchhandlung 2019 zur größten deutschen Buchhandelskette wurde. Ähnlich wie andere Anbieter (Hugendubel etc.) auf dem deutschen Buchmarkt, hatte die Thalia Bücher GmbH im Geschäftsjahr 2013/2014 ein immenses Umsatzdefizit von 436,5 Millionen € (Thalia, 2021). Es gibt also Parallelen zur heutigen Situation der deutschen Fitnessbranche, die seit Pandemiebeginn eine negative Umsatzdifferenz von 3,3 Milliarden € verzeichnet (DSSV, 2022). Thalia hat es geschafft, trotz diverser Widrigkeiten diese Umsatzverluste zu kompensieren, und hat sich innerhalb kürzester Zeit rehabilitiert.

Wie hat Thalia die Krise überwunden?

Der erste Schritt zu alter Stärke war die Einführung eines hauseigenen E-Book-Readers, dem Tolino Shine, noch bevor der deutsche E-Book-Markt boomt. Vor Einführung des Tolino® war der Marktanteil von E-Books (ausgenommen Schul- und Fachbücher) bei gerade einmal 0,5 % (2010). Im Jahr 2013 stieg dieser schon auf 3,9 % an (GfK, 2022). In den USA war der E-Book-Anteil auf dem Buchmarkt des Jahres 2012 schon bei 23 % (Association of American Publishers, 2013). Man erkannte also bei Thalia früh eine Möglichkeit, um die Umsatzerlöse vom reinen Offlinegeschäft zu entkoppeln.

Um sich vom Offlinegeschäft unabhängiger zu machen, setzt Thalia auf eine starke Präsenz im Onlinebuchhandel. Die Fusion mit der Mayerschen Buchhandlung sowie die Ausrichtung auf E-Commerce ermöglichen es Thalia, Umsätze auf dem deutschen Buchmarkt zu erzielen, die sich auf einem Level mit den Umsätzen von Amazon bewegen (Thalia, 2021).

Frau liest ein Buch auf dem E-Book-Reader "Tolino" von Thalia
Der erste Schritt zu alter Stärke für Thalia war die Einführung eines hauseigenen E-Book-Readers, vor dem Boom des E-Book-Marktes (Bildquelle: © Thalia)

Thalia hat als klassische Buchhandlung mit allen Widrigkeiten des Einzelhandels zu kämpfen. Die Innenstädte sterben langsam aus, das Konsumverhalten der Kunden verlagert sich mehr und mehr ins E-Commerce-Geschäft. Die Informations- und Entertainmentvielfalt sorgt außerdem dafür, dass die durchschnittliche Lesedauer pro Tag sich konstant verringert (Seven.One Media GmbH, 2021). Und dennoch hat es Thalia geschafft, als einziger deutscher Buchhandel einen Umsatz von 1,2 Milliarden € im Jahr 2020 zu erwirtschaften (buchreport, 2021).

Wie sich Thalia in der aktuellen Papierknappheit verhält und wie sich diese auf die Umsätze des Buchgiganten auswirken wird, muss die Zukunft zeigen, doch bisher hat es Thalia allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft, auf einem hart umkämpften Markt zu wachsen.

Was hat das mit Fitness zu tun?

Die deutsche Fitnessbranche befindet sich seit Beginn der Pandemie in einer Art schwebendem Dauerzustand. Man plant inzwischen zwar wieder optimistisch voraus, die aktuelle wirtschaftliche Situation ist bei 68,5 % der deutschen Studios aber mit „eher schlecht“ oder „schlecht“ bewertet (DSSV, 2022). Die Branche gibt sich optimistisch und kämpferisch, plant in den nächsten 18 Monaten wieder zu alter Stärke gefunden zu haben und die Mitgliederniveaus aus 2019 wieder erreicht zu haben (DSSV, 2022). Und doch können wir von Thalia eine Menge lernen.

So bewies Thalia im Jahr 2013 mit dem Tolino Weitsicht und erkannte den Trend hin zum E-Book sehr früh. Trends auf dem deutschen Fitnessmarkt kommen der Erfahrung nach aus den USA. Dort sind die Konzepte, welche bei uns den Markt erobern, meist schon Jahre im Voraus entwickelt und erprobt. Ich möchte hiermit nicht zu Plagiarismus aufrufen. Vielmehr möchte ich an die Weitsichtigkeit der Fitnessstudiobetreiber appellieren. Sich selbst und das eigene Konzept stetig zu hinterfragen, dauerhaft auf der Suche nach der besten Lösung für die eigene, sich über die Jahre eventuell verändernde Zielgruppe zu sein, das ist die Art von Weitsicht, von der ich spreche.

Von der Theorie in die Praxis

Um diese Ideen in den Alltag zu integrieren, sollten Sie sich als Betreiber folgende Fragen stellen:

  • Welche Fitnesskonzepte erobern in anderen Ländern gerade den Markt?
  • Was wirkt wie ein Trend, der sich so schnell verabschiedet, wie er gekommen ist?
  • Kann ich mich als Betreiber international vernetzen und im Austausch mit meinen Kollegen funktionierende Konzepte implementieren?
  • Wie verändern sich die Bedürfnisse meiner Zielgruppe gerade?

Damit diese Fragen sowohl gestellt als auch ehrlich beantwortet werden können, gilt es natürlich, die eigene Marktposition, die eigene Zielgruppe sowie deren Bedürfnisse zu kennen. Schaut man sich die globalen Trends der Branche an, so sieht man, dass die Individualisierung überall vorherrscht und Sportbegeisterte zu jeder Zeit und überall in der Lage sein wollen, Sport treiben zu können. Kaum jemand lässt sich noch mit Workouts von der Stange hinterm Ofen hervorlocken, bei denen er an die Maschinen und Geräte im Studio gebunden ist. In einem Vortrag auf dem zweiten Sportkongress der dba-Baunatal sprach Prof. Dr. Matthias Obinger über die Veränderung des Sporttreibens. So sind laut Obinger der urbane und ländliche Raum inzwischen allumfassend zu Sportstätten geworden und die Bevölkerung entwickelt sich immer weiter von organisierten Sportarten und Sportzentren weg.

Die Möglichkeit, über Datenanalyse und eine digitale Bedarfsanalyse auf den Kunden zugeschnittene Trainings- und Ernährungspläne anzubieten, die hybrid sowohl im Studio als auch im Homeoffice oder auf Dienstreisen funktionieren, werden langfristig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Auch das Schaffen von digitalen Ökosystemen wird ein immer wichtigerer Faktor, wenn es um die Kundenbindung geht: Anbieter wie beispielsweise Wefitter.com ermöglichen das Verknüpfen von verschiedenen digitalen Fitnessapps wie MyFitnessPAL, Fitbit, Apple Health, Garmin oder Polar auf einer Plattform und helfen so dabei, die Nutzer plattformübergreifend zu motivieren. Als Studio hat man durch solche Ökosysteme die Möglichkeit, weiterhin als „Epizentrum des Sports“ zu fungieren und alle relevanten Daten bei sich zusammenlaufen zu lassen.

Hat man diese Kundendaten vorliegen und weiß sie richtig auszuwerten und zu steuern, bleibt man für eine erfolgreiche Trainingssteuerung des Kunden unerlässlich und hat mehr Kontaktpunkte im täglichen Leben des Mitglieds mit dem Studio. Hierfür ist neben dem Wissen um die Daten vor allem eine hohe fachliche Kompetenz der Mitarbeiter alles entscheidend.

Sitzecke zum Bücherlesen im Thalia
Die Thalia laden zum Verweilen ein, was ein weiterer Baustein für den Erfolg ist (Bildquelle: © Thalia)

Als leuchtendes Beispiel für eine gelungene Individualisierung im Fitnessstudio ist 24 Hour Fitness zu nennen. Das kalifornische Unternehmen bietet eine studioeigene App an, in der dem Mitglied personalisiert Blogartikel, News, Anleitungen und digitale Workouts zur Verfügung gestellt werden. Diese werden anhand der Präferenzen und des zeitlichen Verfügungsrahmens des Mitglieds erstellt und automatisiert zugewiesen.

Die Studiosoftware ABC-Fitness hat mit dem Kauf von Trainerize eine Integration von Ernährungsplänen und Daten aus Personal Trainings mit Klienten in das Studio-CRM eingefügt und bietet so die Möglichkeit, die Trainingssteuerung, Terminvergabe, Abrechnung, Mitgliederverwaltung und Ernährungsplanung in einer Software zu bedienen. Für tiefergreifende Informationen zu den Themen digitale Touchpoints, Individualisierung und das Schaffen digitaler Ökosysteme habe ich im Keep Your Members Podcast mit Paul Peez von der Fittech Company ausführlich besprochen.

Fazit

Wir sehen auf dem globalen Markt eine Vielzahl an Trends auf uns zukommen. Wir sehen auch, dass es sich für Unternehmen in einer schwierigen Marktsituation lohnen kann, Partnerschaften und Kooperationen einzugehen und diese zu pflegen. Ähnlich wie es Thalia auf dem Buchmarkt geschafft hat, trotz sinkenden Buchabsatzes den Umsatz zu verbessern, gibt es auf dem Fitnessmarkt Möglichkeiten der besseren Kundenbetreuung.

Schaut man auf den innovationstreibenden Markt in Nordamerika, sieht man, dass vor allem die Themen Individualisierung und Integration vorherrschen. Diese gilt es an die lokalen Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppe anzupassen und ins Fitnessstudiokonzept zu integrieren.

Bildquelle Header: © C. Meyer/Köln

Der Autor

  • Till Pitschel

    Till Pitschel ist Personal Outdoor Coach, ehemaliger Studioleiter, Mitbegründer von Studio Analytics und Podcaster. Mit seinem Software-Start-up ‚Studio Analytics‘ versuchen er und sein Team, die Mitgliederbindung signifikant zu verbessern und der Branche zu mehr Krisensicherheit und Vertrauen zu verhelfen. Mehr Informationen zur automatisierten Fluktuationsanalyse von Studio Analytics unter: 
    www.studioanalytics.co/try

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