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Interview mit Claude Ammann, Präsident des SFGV

Claude Ammann ist Präsident des Schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenter Verbands (SFGV). Im Interview spricht er über die aktuelle Situation, wie sich die Fitnessunternehmen von den Coronajahren erholt haben und gewährt interessante Einblicke in den Schweizer Fitness- und Gesundheitsmarkt.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Coronapandemie hat den Schweizer Fitnessmarkt stark getroffen, mit etwa 12% Verlust der KMU-Betriebe des SFGV in den letzten beiden Jahren.
  • Eine ähnliche Aufbruchsstimmung wie in Deutschland ist bei den kleinen und mittleren Fitnessunternehmen in der Schweiz aufgrund von zusätzlichen finanziellen Belastungen nicht zu spüren.
  • In der Schweiz zeichnet sich ein Trend zur ganzheitlichen Lebensstilberatung ab, bei der nicht nur Trainingspläne vermittelt werden, sondern auch Beratung in den Bereichen Erholung, Ernährung und Stressmanagement.
  • Die Zielgruppe 60+, Menschen mit nicht übertragbaren Zivilisationskrankheiten und nicht sportaffine Menschen gelten als wichtigste Kundengruppen der Zukunft.

BODYMEDIA: Wie schwer hat die Coronapandemie den Schweizer Fitnessmarkt getroffen? Können Sie die Auswirkungen anhand von einigen Daten wie zum Beispiel der Entwicklung der Gesamtmitgliederzahl, Umsatz und Anzahl der Fitnesscenter verdeutlichen?

Claude Ammann: Wir haben rund 12 % der KMU-Betriebe des SFGV in den beiden Coronajahren durch einen Konkurs oder eine Firmenaufgabe verloren. Die Mitgliederzahlen lagen im September 2022 durchschnittlich bei 68,61 %, im Mai 2023 bei ca. 90 % der Vorjahreswerte. Es gab aber auch eine Verschlechterung vor allem in den Bereichen Groupfitness Training, da durch die neuen Homeoffice-Regeln, welche ja meistens am Montag und Freitag eingesetzt werden, diese Tage praktisch zum Erliegen gekommen sind.

BODYMEDIA: In Deutschland ist nach den schwierigen Coronajahren eine Art Aufbruchsstimmung zu spüren. Wie ist die aktuelle Lage in der Schweiz? Konnte sich der Schweizer Fitness- und Gesundheitsmarkt von der Pandemie erholen?

Claude Ammann: Leider spüren wir in den kleinen und mittleren Fitnessunternehmen diese Aufbruchsstimmung nicht. Dies hat sicher damit zu tun, dass zu der Verschuldung durch die Coronakredite der Bund beschlossen hat, diese zusätzlich mit einem Zins zu besteuern. Somit wird natürlich eine zusätzliche finanzielle Last auf unsere Unternehmen aufgebürdet, welche auch keine neuen Investitionen zulässt. Gerade für KMU ist es im Moment eine sehr angespannte Situation.

BODYMEDIA: Können Sie uns einen Überblick über die klassische Schweizer Fitnesscenterlandschaft und deren Angebot geben? Wie ist das Verhältnis zwischen inhabergeführten Centern und Ketten und wer sind die wichtigsten Player am Markt?

Claude Ammann: Gesamtschweizerisch sprechen wir von rund 1.400 Fitnessunternehmen, von denen rund 300 Standorte Kettenbetriebe repräsentieren, sowie 420 KMU-Unternehmen, die dem SFGV angehören. Die restlichen Unternehmen sind keinem Verband angeschlossen.

BODYMEDIA: In Deutschland wächst das Angebot stetig. Neben Premium- und Discountangeboten gibt es z. B. Boutique-Studios und personallose Fitnesscenter. Welche neuen Trends und Entwicklungen sind in der Schweiz zu beobachten?

Claude Ammann: In der Schweiz ist ein Trend zu einer ganzheitlichen Lebensstilberatung zu erkennen, also nicht alleine den Trainingsplan zu vermitteln, sondern auch in den Faktoren Erholung, Ernährung und Stressmanagement die Kunden zu beraten.

Ebenso ist zu erkennen, dass die Anzahl der fernbetreuten und damit sehr günstigen Fitnesscenter sich erhöht. Zu erwähnen ist sicher auch, dass die finanzkräftigen Kettenunternehmen Fitnesscenter, die in der Krise schließen mussten oder jetzt sehr angeschlagen sind, aufkaufen und sich somit deren Marktanteil erhöht.

BODYMEDIA: Werfen wir einen Blick auf die Mitgliederstruktur. Welche Personengruppen sind in den Schweizer Fitnessanlagen am stärksten vertreten und worauf führen Sie das zurück?

Claude Ammann: Das Durchschnittsalter in der Schweiz liegt gemäß dem Branchenreport 2020 bei 44,2 Jahren. Auffällig dabei ist, dass der Markt der Generation 60+ in den vergangenen zwei Jahren, also vor Corona, am stärksten gestiegen ist. Dies ist mit Sicherheit auf den demografischen Wandel und das Bewusstsein zugunsten eines gesünderen Lebensstils zurückzuführen. Wir sehen zudem, dass die Personengruppe unter 20 Jahren in den Fitnesscentern am schwächsten ansteigt, was ebenfalls mit dem demografischen Wandel begründet werden kann.

Wir sind der Meinung, dass sich die Branche vermehrt auf die Zielgruppe 60+, Menschen mit nicht übertragbaren Zivilisationskrankheiten und nicht sportaffine Menschen konzentrieren sollte. Diese Menschen brauchen zwar ein größeres Fachwissen, erweiterte Betreuungsangebote und Trainier mit einer entsprechenden Ausbildung, werden aber die lukrative Kundengruppe der Zukunft sein.

BODYMEDIA: Was sind die Schweizer durchschnittlich bereit, für ihre Mitgliedschaft im Center zu zahlen?

Claude Ammann: Der durchschnittliche Jahresbeitrag liegt laut Branchenreport 2020 bei 971 Schweizer Franken.


Claude Ammann, Präsident des SFGV, geht davon aus, dass große Ketten, Lizenz- und Billiganbieter sowie fern­betreute Fitnesscenter in den nächsten Jahren in der Schweiz größer werden (Bildquelle: © Schweizer Fitness- und Gesundheitscenter Verband SFGV)

BODYMEDIA: Wer sind die Persönlichkeiten des Schweizer Fitnessmarktes? Was genau sind deren Verdienste?

Claude Ammann: Ich denke, das ist vor allem unsere junge Generation bzw. die jungen Menschen, die bei uns eine Berufslehre absolvieren und danach ihre Zukunft in unserer Branche sehen. Sie bilden sich zum Spezialisten mit eidgenössischem Fachausweis weiter und/oder zum Experten mit eidgenössischem Diplom. Die besten dieser Nachwuchskräfte kämpfen bei den Swiss Skills (Berufsmeisterschaften) um Medaillen. Sie sind die Persönlichkeiten und Vorbilder der Zukunft der Schweizer Fitnessszene.

BODYMEDIA: Wo liegen die Besonderheiten und Stärken des Schweizer Fitnessmarktes? Und worin liegen eventuell auch die Unterschiede zu anderen Märkten in Europa?

Claude Ammann: In der Schweiz ist ganz klar ein Weg weg von der reinen Trainingsplanerstellung hin zur ganzheitlichen Lebensstilberatung zu erkennen. Dieses vollumfängliche, langfristige Coaching benötigt zwar einen erhöhten Zeitbedarf und größere Fachkompetenz gegenüber dem klassischen Fitnesstrainer, bringt aber dem Unternehmen langfristigen Erfolg und langjährige Mitglieder.

Der größte Unterschied zu anderen europäischen Ländern ist sicher, dass die Fitnessbranche der Schweiz drei staatlich anerkannte Abschlüsse aufzeigen kann, sodass auch eine Karriereplanung mit entsprechender Entlohnung möglich ist. Diese Ausbildung gehört nun auch der Sparte „Gesundheit und Soziales“ an, sodass es in Zukunft möglich sein wird, sich noch stärker im Gesundheitsmarkt zu positionieren. Der reine Sport ist nur noch ein kleiner Bestandteil der Ausbildung.

Gesunden Lebensstil erkennen und fördern, Testing und Datenerhebung, NCDs (nicht ansteckende Krankheiten) erkennen und bekämpfen sowie klare ganzheitliche Coachingaufgaben in Netzwerken, bestehend aus Ärzten, Physiotherapeuten und Ernährungsberatern, sind die Haupthandlungskompetenzen unserer Branche.

BODYMEDIA: Warum sind Sie positiv gestimmt, was die Entwicklung des Schweizer Fitnessmarktes in den nächsten Jahren angeht?

Claude Ammann: Der Gesundheitsmarkt ist ein Markt, welcher in der Schweiz ständig am wachsen ist. Die Anteile der Menschen mit NCD-Krankheiten, die demografische Entwicklung und die schnell fortfahrende Inaktivität lassen unsere Kundengruppe relativ schnell ansteigen.

Wir vom SFGV denken, dass es zu einer Teilung im Schweizer Fitnessmarkt kommen wird. Große Ketten, Lizenz- und Billiganbieter sowie fernbetreute Fitnesscenter werden größer und der Kampf um sportaffine Menschen, welche weniger Geld ausgeben möchten, wird härter werden. In diesen Bereichen werden eher weniger gut ausgebildete Trainer arbeiten.

Fitnessunternehmen, welche sich klar im Gesundheitsbereich positionieren können und Konzepte mit hohen Betreuungsqualitäten anbieten, werden sehr gut überleben können. Hier werden gut ausgebildete Trainer mit hoher Sozial- und Fachkompetenz arbeiten.

BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview.

Bildquelle Header: © Schweizer Fitness- und Gesundheitscenter Verband SFGV

Die Autoren

  • Constantin Wilser

    Constantin Wilser ist seit 2006 in der Fitnessbranche als Redakteur tätig. Davor absolvierte er sein Bachelor-Studium der Sportwissenschaften am KIT in Karlsruhe. Seit 2019 ist er Bestandteil des BODYMEDIA-Redaktionsteams. Seit Anfang 2023 ist er Chefredakteur. In seiner Freizeit trainiert der Fußball-Fan gerne im Studio, geht laufen oder fiebert im Fußball-Stadion mit.

  • Claude Ammann

    Claude Ammann ist Präsident des Schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenter Verbands (SFGV). Er verantwortet u. a. die SFGV-Tagung, die Bereiche Ressourcenschonung und Berufslehre. Zudem ist er Leiter für überbetriebliche Kurse EFZ und Co-Präsident OdA Bewegung und Gesundheit. Im SFGV sind insgesamt 420 kleine und mittlere Fitnessunternehmen aus allen drei Landesteilen organisiert.

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