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Auf der Suche nach der Systemrelevanz

Während der Corona-Pandemie musste die Fitnessbranche leidvoll erfahren, dass sie für die Politik kaum mehr wert ist als Bordelle, Spielhallen und andere „Freizeitbetriebe“. Als eine der ersten Branchen mussten unsere Anlagen schließen und durften erst als eine der Letzten wieder öffnen. Das entfachte die Diskussion um die Systemrelevanz der Branche.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Nach der aktuellen Verordnung sind Fitnessstudios nicht systemrelevant, unabhängig davon wie gesundheitsorientiert sie arbeiten
  • Das Qualitätsmanagement dient dazu, Kundenanforderungen zu erfüllen und den Weg dahin möglichst effektiv und effizient zu gestalten. Es muss von der Geschäftsleitung verantwortet und von allen Mitarbeitern mitgetragen werden
  • Je nach Größe der Anlage kann ein Fitnessstudio die Kompetenz selbst erwerben, ein Qqualitätsmanagement aufzubauen. Hierzu ist eine Aus-/Fortbildung zum Qualitätsmanager oder mindestens zum Qualitätsbeauftragten sehr sinnvoll

Diese traumatische Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Branche in den letzten 40 Jahren auf dem Gebiet der politischen Anerkennung nichts erreicht hat. Deshalb haben sich in den sozialen Medien aus der Not heraus diverse Gruppierungen gebildet, die letztlich mit der „Experten-Allianz für Gesundheit“ ein Forum bildete, das die meisten Verbände, Interessentengruppen und namhafte Persönlichkeiten umfasste.

Eine wesentliche Forderung war und ist, dass Fitnessanlagen mindestens gesundheitsrelevant seien, zur „kritischen Infrastruktur“ gehören und von der Umsatzsteuer zu befreien seien. Die Diskussion entbrannte darüber, ob es wirklich ALLE Fitnessstudios seien, die hier gesundheitsrelevant sind, oder nur die gesundheitsorientierten. Aber was genau heißt das?

Bei der Diskussion um „Qualität“ und „Systemrelevanz“ hatte nahezu jeder und jede eine eigene dezidierte Meinung. Die meisten Kollegen waren der Meinung, Fitnessstudios seien „systemrelevant“, mindestens aber „gesundheitsrelevant“ und bestanden darauf, eine qualitativ hochwertige Dienstleistung anzubieten. Aber was bedeutet Systemrelevanz überhaupt?

Was bedeutet Systemrelevanz?

Was in Deutschland „systemrelevant“ ist, kann in der „Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz“ des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 20.4.2016 sowie in den entsprechenden Handlungsempfehlungen nachgelesen werden. „Systemrelevant“ sind die sogenannten „Kritischen Infrastrukturen“.

Diese werden in der Verordnung wie folgt definiert: „Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“

Eine Liste der Sektoren und Branchen sind in der Verordnung aufgelistet – im Bereich Gesundheit z. B. die stationäre medizinische Versorgung oder auch die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Damit wird hoffentlich jedem klar, dass Fitnessstudios, so gesundheitsorientiert sie auch immer positioniert sind oder arbeiten, NICHT systemrelevant sind.

Unabhängig davon wäre zu prüfen, ob Fitnessstudios nicht wenigstens „gesundheitsrelevant“ sind und damit doch einen erheblichen Wert für die Gesellschaft darstellen, was zu einer anderen Behandlung während einer Pandemie und/oder zu einer anderen umsatzsteuerlichen Behandlung führen könnte. Und das führt uns zu den nächsten relevanten Begriffen.

„Nach der aktuellen Verordnung können Fitnessstudios nicht systemrelevant werden, unabhängig davon wie gesundheitsorientiert sie arbeiten“


Was ist eigentlich Gesundheit?

Die Definition von Gesundheit im Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland ist eigentlich eine Krankheitsdefinition.

So heißt es auf der ersten Seite der Webseite des Gesundheits-Ausschusses (https://www.bundestag.de/gesundheit) unter dem Punkt „Arbeit und Aufgaben“: „Im Zentrum unserer Gesundheitspolitik stehen die Patientinnen und Patienten. Die Qualität ihrer medizinischen und pflegerischen Versorgung ist der Maßstab für die Organisation unseres Gesundheitswesens.“

Damit wird klar, dass es unseren Gesundheitspolitikern nicht um die Verhinderung von Erkrankungen, der Salutogenese, geht, sondern um die Behandlung und Versorgung von Kranken, also der Pathogenese. Auch deshalb kommen Fitnessstudios, wie im Übrigen alle an der Prävention beteiligten Organisationen, im deutschen Gesundheitswesen eher als Randnotiz vor.

Es gibt Hinweise aus der Politik darauf, dass insbesondere Krankenkassen das Thema in der Politik behindern. Laut dem Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses der Bundesregierung glauben diese nicht an die nachhaltige Wirkung von Prävention.

Welche Form von Qualität brauchen wir?

Wer sich mit dem Thema Qualität und ihrer Anwendung in der Fitnessbranchebeschäftigt, kommt an der DIN-Norm 33961 nicht vorbei. Auch wenn diese sehr zu begrüßen ist, hat sie mit Qualitätsmanagement wenig zu tun. Sie stellt lediglich eine Beschreibung der Mindestausstattung, Mindestanforderungen an die Kompetenz des Personals sowie einiger rudimentärer Mindestabläufe dar.

Sollten die Bemühungen der Expertenallianz auf Aufnahme von Fitness- und Gesundheitsanlagen in die Liste der „Kritischen Infrastruktur“ von Erfolg gekrönt sein, so wird die Branche um eine „ordentliche Zertifizierung“ nach der ISO 9001 / 33961 nicht herumkommen.

Zusätzlich wird dann sicher eine Akkreditierung der Zertifizierungsorganisationen verlangt. Das wird für die Fitnessstudios zwar teuer – aber es wird sich lohnen. Was das für die Branche bedeuten würden, schauen wir uns im Folgenden an.

Qualitätsmanagement ist kein Marketing-Tool!

Zumindest sollte es das nicht sein, denn Qualitätsmanagement dient dazu, Kundenanforderungen zu erfüllen und den Weg dahin möglichst effektiv und effizient zu gestalten. Es muss von der Geschäftsleitung verantwortet und von allen Mitarbeitern mitgetragen werden.

Es erfordert das Bekenntnis zu ständiger Verbesserung und legt die ISO-Normen 9000 und 9001 zugrunde. Wird das umgesetzt, führt ein QMS fast zwangsläufig zu einem größeren Unternehmenserfolg, den der „Erfinder“ des Qualitätsmanagements, William Edwards Deming, wie in Abb. 1 gezeigt, beschreibt.

Dabei gelten die folgenden Qualitätsprinzipien: Kundenorientierung, Führung, Einbeziehen von Personen, also Mitarbeitern, faktengestützte Entscheidungsfindung, ein prozessorientierter Ansatz, Beziehungsmanagement und stetige Verbesserung.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Aspekte eines Qualitätsmanagements aufzuführen und zu erläutern. Deshalb möchte ich einige aus meiner Sicht wichtige Aspekte vorstellen:

Definition von Qualität

Qualität ist das Ausmaß, in dem ein Unternehmen Kundenerwartungen erfüllt. Über die Qualität entscheidet also einzig und allein der Kunde. Messbar wird dieses Kriterium zum Beispiel durch regelmäßige Kundenbefragungen.

Die Abbildung zeigt den Weg zu langfristigem Unternehmenserfolg durch Qualitätsmanagement

Dabei versteht man unter dem Begriff „Kunde“ nicht nur denjenigen, der das fertige Produkt oder die geschuldete Dienstleistung erhält und bezahlt, es fallen auch „interne“ Kunden darunter, die Teil des Dienstleistungsprozesses sind.

So wäre z. B. die Abteilung „Mitgliederverwaltung“ der „Kunde“ der Verkaufsabteilung, denn diese „schulden“ der Administration die richtig und sorgfältig ausgefüllten Mitgliedschaftsverträge. Dies würde in einem QMS sorgfältig als Prozess beschrieben und dokumentiert.

Auch die sogenannten „Interessierten Parteien“ (Begriff aus der ISO 9000, diese sind z. B. Gesellschafter, Staat, Lieferanten, Management, Mitarbeiter etc.) betrachtet man als „Kunde“, deren Zufriedenheit den Erfolg des Unternehmens sicherstellt und die regelmäßig beobachtet und befragt werden müssen.

Die Verantwortung der Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für das gesamte Unternehmen, also auch für die Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Qualität. Sie muss z. B. die Qualitätspolitik formulieren und diese den Mitarbeitern bekannt machen. Idealerweise werden die Mitarbeiter bei der Formulierung der Qualitätspolitik einbezogen.

Die Geschäftsleitung ist auch dafür verantwortlich, dass die Qualitätspolitik eingehalten wird und dass sie wirksam ist. Diese Verantwortung darf sie gemäß der ISO 9001 nicht delegieren.

Die Geschäftsleitung hat zudem sicherzustellen, dass Qualitätsziele verbindlich formuliert und Maßnahmen ergriffen werden, um sie zu erreichen, und dass die materiellen und personellen Ressourcen bereitstehen, um die Qualitätspolitik und die Qualitätsziele zu erreichen. Außerdem muss die Geschäftsleitung Verantwortlichkeiten und Handlungsvollmachten für die Durchführung der Qualitätspolitik festlegen.

Informationen müssen dokumentiert werden

Normgerechtes Qualitätsmanagement setzt voraus, dass alles, was qualitätsrelevant ist, dokumentiert, d. h. verschriftlicht, wird. Das betrifft die Qualitätspolitik, die Qualitätsziele, sämtliche qualitätsrelevante Prozesse, Arbeitsanweisungen, Organigramme, Stellenbeschreibungen sowie sämtliche Aufzeichnungen, die der Dokumentierung der Qualitätsprozesse dienen.

Diese Informationen müssen auch „geleitet“ werden. Das heißt, sie müssen gekennzeichnet, allen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt und aktuell gehalten werden. Außerdem muss ein Verantwortlicher für die Dokumentation benannt werden. Das alles hat erst einmal nichts mit der Fitnessnorm DIN 33961 zu tun, sondern gilt branchenübergreifend für alle Firmen, die ein Qualitätsmanagementsystem aufbauen wollen.

Was bedeutet das nun für die Fitnessbranche?

Sollten wir mit unseren Bemühungen, die Politik davon zu überzeugen, dass regelmäßiges Muskeltraining unter qualifizierter Anleitung und Aufsicht gesundheits- oder gar systemrelevantist, dann wird uns zweifellos die Frage nach der Qualität gestellt, und zwar eine, die von einer unabhängigen, kompetenten und akkreditierten Organisation geprüft wurde und die den Vorgaben der ISO 9000/9001 und der DIN 33961 genügt.

Unabhängig von einem möglichen „Siegel“, das unsere nachgewiesene Qualität dokumentiert und uns möglicherweise diverse Vorteile bieten könnte (z. B. Umsatzsteuerbefreiung), sollte sich jedes Fitness- und Gesundheitsstudio überlegen, ob es ein Qualitätsmanagementsystem einführt, denn dies hätte den von Deming beschriebenen Effekt: den langfristigen Unternehmenserfolg. Das ist das Ziel eines Qualitätsmanagementsystems und alle, die ein solches System eingeführt haben und konsequent umsetzen, sind nachweislich erfolgreicher als solche Unternehmen, die das nicht tun.

Was kann ein Fitnessclub tun, um ein Qualitätsmanagementsystem aufzubauen?

Je nach Größe der Anlage kann ein Fitnessclub die Kompetenz selbst erwerben, ein QMS aufzubauen. Hierzu ist eine Aus-/Fortbildung zum Qualitätsmanager oder mindestens zum Qualitätsbeauftragten sehr sinnvoll. Eine weitere Fortbildung, die die DIN 33961 zum Inhalt hat, wäre ebenfalls notwendig. Da die Verantwortung für das QMS bei der Geschäftsleitung liegt, wäre es sinnvoll, wenn der Inhaber selbst diese Qualifikation erwirbt und selbst als Qualitätsbeauftragter im eigenen Unternehmen fungiert.

Dies gilt jedoch nur bei kleineren Unternehmen. Wenn das Unternehmen eine gewisse Größe und Komplexität überschreitet oder mehrere Filialen hat, dann sollte sich der Inhaber des Unternehmens entweder einen dafür ausgebildeten Mitarbeiter leisten oder sich eines kompetenten Beraters mit der entsprechenden Ausbildung bedienen. Beides hat Vor- und Nachteile und hängt sehr von den beteiligten Personen ab.

 

Bildquelle: Header: ©Davide Angelini - stock.adobe.com

Der Autor

  • Wolfgang Bahne

    Wolfgang Bahne studierte Sportwissenschaft, Psychologie und BWL. Seit Mitte der 80er-Jahre bewegt er sich im Fitnessmarkt. Seine Tätigkeiten auf Betreiber- und Industrieseite sowie seine Beratertätigkeit geben ihm einen 360-Grad-Blick auf die Fitnessbranche. Er arbeitet bei Actic Fitness als Head of Expansion. Sein Wissen gibt er u. a. an der Deutschen Berufsakademie für Sport und Gesundheit an Studierende weiter. 

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