Physiotherapie

Weltweit größte Rückenstudie mit 100.000 Teilnehmern

Über 100.000 Studienteilnehmer und Datensätze aus 30 Jahren Therapie – das Forschungs- und Präventionszentrum (FPZ) in Köln veröffentlicht die Ergebnisse der weltweit größten Rückenstudie. Wie macht man eine Studie mit über 100.000 Teilnehmenden? Was waren die wichtigsten Erkenntnisse? Der Studienleiter Dr. Michael Hollmann berichtet.

Rückenschmerzen sind in Deutschland weit verbreitet: 61,3 % der Befragten in einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2020 gaben an, in den letzten zwölf Monaten darunter gelitten zu haben, 15,5 % der Befragten sogar unter chronischen Rückenschmerzen. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind immens.

FPZ in Köln hat aktuell in der weltweit größten Rückenstudie die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit einer gerätegestützten Rückenschmerztherapie an über 100.000 chronischen Rückenschmerzpatienten aus einem Zeitraum von 30 Jahren untersucht.

Rückenschmerzen sind multimodal

Grundlegend für die Studie ist der biopsychosoziale Ansatz: „Das bedeutet, dass wir die Ursachen von Rückenschmerzen als multimodal verstehen, als eine Kombination aus physikalischen körperlichen Belastungen und psychosozialen Einflüssen“, erläutert Dr. Michael Hollmann, Studienleiter und wissenschaftlicher Leiter bei FPZ.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie haben jeweils 24 Einheiten gerätegestützte Rückenschmerztherapie absolviert. Als Auswertungsgrundlage dienten insbesondere die Eingangs- und Abschlussanalyse sowie eine vorab durchgeführte ärztliche Diagnostik.

Die Methodik der Studie

In der retrospektiven Studie an chronischen Rückenschmerzpatienten wurden die Datensätze von 101.144 Teilnehmenden einer gerätegestützten Rückenschmerztherapie aus 30 Therapiejahren (1992 bis 2022) untersucht, welche an 24 Therapieeinheiten teilgenommen haben. Die Teilnehmenden wurden in insgesamt 438 Therapiezentren behandelt, die unter strengen Qualitätsvorgaben, mit speziell ausgebildeten Therapeuten, die Therapie durchgeführt haben.

In die Auswertungen flossen die objektiven Maximalkraftmessungen sowie die subjektiven Angaben zu Trainingshäufigkeit, Schmerz und Lebensqualität und Faktoren einer Cost-Benefit-Analyse ein. Zudem wurden die typischen Diagnosen aus der ärztlichen Diagnostik ab dem Jahr 2011 von Patienten, die die gesamte Diagnostik und Therapie durchlaufen haben, festgestellt. Diese gehen zurück auf 60.199 Patienten mit 134.803 Hauptdiagnosen sowie 17.262 Patienten mit 24.461 Nebendiagnosen.

Die Berechnung der gesunden Lebensjahre erfolgt nach der sogenannten Sullivan-Methode. Sie werden mit Daten zur Sterblichkeit aus Sterbetafeln und Angaben zu selbst wahrgenommener gesundheitlicher Einschränkung berechnet.

Als gesunde Lebensjahre bezeichnet man all die Jahre, die eine Person in guter Gesundheit und frei von Schmerzen sowie Einschränkungen verbringt. Sie werden anhand der Parameter Alter, Geschlecht, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden berechnet. Einen Überblick über die gesunden Lebensjahre in europäischen Staaten gibt die groß angelegte Studie EU-SILC, Sterbetafeln für Deutschland hält das Statistische Bundesamt vor. Der Indikator Gesunde Lebensjahre ist eine wichtige Messgröße für die relative Gesundheit der Bevölkerung.


Werte in der Abbildung sind Mittelwerte (MW), Gold: Eingangsanalyse; Grau: Abschlussanalyse

Veränderung der schmerzbezogenen Parameter im Rumpfbereich bei LWS-Patienten.

a) Veränderung der bisherigen Dauer der Rückenbeschwerden in Jahren zum Zeitpunkt der Eingangs- und Abschlussanalyse
b) Veränderung der aktuellen Episode an Rückenbeschwerden in Wochen zum Zeitpunkt der Eingangs- und Abschlussanalyse
c) Veränderung der Regelmäßigkeit der Rückenbeschwerden (0 = beschwerdefrei bis 3 = ständig) zum Zeitpunkt der Eingangs- und Abschlussanalyse,
d) Veränderung der Intensität der Rückenbeschwerden (0 = beschwerdefrei bis 10 = unerträglich) zum Zeitpunkt der Eingangs- und Abschlussanalyse.

Alle Veränderungen sind auf dem Niveau p ≤ 0,001 signifikant (Wilcoxon-Test).

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie

Bei Beschwerden der Rumpfmuskulatur sind in allen Bewegungsrichtungen Steigerungen zwischen 43 und 67 % zu erkennen, bei Teilnehmenden mit Beschwerden an der Halswirbelsäule im Bereich von 56 bis 77 % Kraftzuwachs.
Die Dauer der Beschwerden sank bei Teilnehmenden mit Beschwerden an der Lendenwirbelsäule durchschnittlich um 2,18 Jahre, bei Patienten mit Nackenschmerzen um 2,02 Jahre.

Die Schmerzregelmäßigkeit verbesserte sich um 54,64 %, die Schmerzintensität sank um 57,29 %. Somit steigerten sich auch die allgemeine Leistungsfähigkeit und das persönliche Wohlbefinden um jeweils ca. 31 %. Die Studie belegt auch Verbesserungen der ökonomischen Faktoren: Die Anzahl an Arztbesuchen, an AU-Tagen, stationären Tagen und Medikamentendosen sank jeweils signifikant.

Fazit

Die Therapie basiert auf der Kombination von Krafttraining und individueller Betreuung. Seit der Entwicklung an der Sporthochschule Köln vor 30 Jahren wird gerätegestützte Therapie für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen regelmäßig auf Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit untersucht – auch auf Merkmale, die über die aktuelle Studie hinausgehen.

Die Studienergebnisse spiegeln den medizinischen und ökonomischen Erfolg einer solchen medizinisch abgesicherten Therapie für die Patienten wider. Diese Ergebnisse machen ein solches Therapieprogramm für Therapieanbieter interessant, denn als evidenzbasierte Therapie bietet diese Therapieform ein Alleinstellungsmerkmal. Zur vollständigen Studie geht es hier.

Bildquelle: © FPZ GmbH
Textquelle: Hollmann et al. (2023) ‚Eine retrospektive Studie über einen 30-jährigen Zeitraum von medizinischem Krafttraining als Therapieoption bei 101.000 chronischen Rückenpatienten‘, B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport. Georg Thieme Verlag, 39(04), pp. 127–136. doi: 10.1055/a-2102-9373.

Der Autor

  • Michael Hollmann

    Dr. Michael Hollmann hat Biologie in Bonn studiert und war als Post-Doc in St. Louis in den USA. Heute leitet er den Bereich Wissenschaft bei der FPZ GmbH in Köln.

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