Physiotherapie

Unternehmensstrategie: Vom Therapeuten zum Physiounternehmer entwickeln

Der Praxisalltag von Physiotherapeuten artet zu häufig in Stress aus. Der Spaß bei der Arbeit bleibt aus und zudem bleibt am Ende des Monats zu wenig übrig, um den Mitarbeitern ein attraktives Gehalt zu zahlen.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Innerhalb der Praxis braucht es eine sinnvoll aufgestellte Struktur und gut durchdachte Prozesslandschaft.
  • Ein Hauptgrund für die fehlende Wirtscchaftlichkeit von Therapiepraxen liegt darin, dass der Praxisinhaber zu wenig freie Zeiten hat, um die Unternehmensstruktur, -kultur und -vision zu entwickeln.
  • Auch bei der Mitarbeiterführung haben viele Praxisinhaber Defizite.
  • Der Erste Schritt zur Verbesserung heißt: Loslassen.

Es gibt knapp 39.000 Physiotherapiepraxen in Deutschland. Trotz dieser Versorgungsdichte gibt es jedoch ein „Unterangebot“ von Praxen, gemessen an den zu behandelnden Patienten. Schiebt man die aktuelle Corona-Situation mal beiseite, sind die Terminbücher aller Praxen mehr als voll. Doch trotz voller Terminbücher fehlt es vielen Physiotherapiepraxen an Rentabilität und insbesondere den Praxisinhabern an einer sinnvollen Vermögensplanung für die Altersvorsorge.

Für jeden Physiotherapeuten in Deutschland muss man eigentlich mal eine Lanze brechen: Sie lassen Schmerzen verschwinden, bringen Menschen nach Unfällen oder Operationen wieder zurück ins Leben und sind eine der wichtigsten Säulen im deutschen Gesundheitssystem. Und doch werden Physiotherapeuten für ihre Arbeit sehr wenig gewürdigt. Branchen-Experten machen seit über einem Jahrzehnt darauf aufmerksam, wo die größten Probleme in den Praxen liegen:

  1. Extrem schlechte Bezahlung: Obwohl die Weiterbildungen teuer sind, verdient ein Großteil der Therapeuten/Therapeutinnen zu wenig, um die eigene Familie zu ernähren. Auch die Praxisinhaber verdienen kaum Geld und das Risiko der Selbstständigkeit lohnt sich nicht.
  2. Durch die knallharte Kalkulation auf der Behandlungsbank bleibt der Patientenerfolg aus. In der Branche spricht man von nicht mal 14 % nachhaltigem Behandlungserfolg bei den Patienten.
  3.  Aufgrund von fehlenden Strukturen ist der Job für viele Mitarbeiter stressig, aufreibend und nicht erfüllend genug.

Sporttherapeut, Physiotherapeutin und Arzt halten ein Schild mit der Aufschrift Therapie plus TrainingDie Unternehmensstrategie neben der Therapie noch Training anzubieten, hat sich schon für viele Praxisinhaber bewährt (Bildquelle: ©Volker Beushausen)

Natürlich liegt eine Kernproblematik darin, dass die Praxen von den Krankenkassen und der Verordnungspraxis der Ärzte abhängig sind. Doch auch innerhalb dieser Rahmenbedingungen kann man eine Praxis klug und insbesondere wirtschaftlich sinnvoll aufstellen. Dafür braucht es nur eine sinnvoll aufgestellte Struktur und gut durchdachte Prozesslandschaft innerhalb der Praxis. Oder anders gesagt: Es bedarf eines klugen Praxismanagements durch den Praxisinhaber.

Oh Zeit, die du mir so fehlst!

Doch woran liegt es, dass Physiotherapiepraxen in Deutschland so schlecht organisiert sind und zudem trotz voller Terminbücher zu großen Teilen unwirtschaftlich agieren? Laut der aktuellen Wirtschaftlichkeitsanalyse ambulanter Therapiepraxen liegt ein Hauptgrund darin, dass der Praxisinhaber einen zu großen wöchentlichen Arbeitsaufwand „in der Therapie“ verbringt und somit zu wenig freie Zeiten hat, um die Unternehmensstruktur, -kultur und -vision (weiter) zu entwickeln und zu verbessern.

Laut Befragung arbeitet ein Praxisinhaber/eine Praxisinhaberin durchschnittlich 48,2 Stunden pro Woche „an der Bank“. Dass bei einem nicht gut strukturierten Unternehmen dann weder genug Zeit noch genug Energie für die Führung des Unternehmens übrig bleibt, ergibt sich von selbst. Auch bei der Mitarbeiterführung haben viele Praxisinhaber Defizite. Der Grund liegt nahe: Viele Praxisinhaber sind irgendwann vom Angestellten in die Selbstständigkeit gerutscht, ohne sich auf diese Umstellung ausreichend vorzubereiten oder sich die notwendigen Skills beibringen zu lassen. 

Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken

Der Praxisinhaber muss als Allererstes lernen loszulassen. Er muss verstehen, andere für sich arbeiten zu lassen, damit er als Inhaber einen Teil seiner Zeit dafür nutzen kann, den Job eines Geschäftsführers zu übernehmen. Doch die „Angst“ vor Umsatzeinbußen aufgrund von Therapeutenmangel hält viele davon ab, diesen Schritt zu gehen. Verständlich, da der Inhaber oftmals aufgrund seiner Vielzahl an Arbeitsstunden das größte Zugpferd der Praxis ist. Doch werden keine Maßnahmen ergriffen, endet der Praxisinhaber nicht nur in der Altersarmut, sondern erliegt vorzeitig einem Erschöpfungssyndrom.

Physiotherapeutin behandelt PatientOft stecken Praxisinhaber selbst an der Therapiebank fest und können sich nicht um das Unternehmen kümmern (Bildquelle: ©Volker Beushausen)

Ein attraktiver Arbeitsplatz zieht Arbeitnehmer an

Man muss also das Pferd von hinten aufzäumen. Erst wenn der Praxisinhaber Zeit hat, an den Unternehmensstrukturen zu arbeiten, werden die Prozesse für die Mitarbeiter klarer, können systematisch rentable Geschäftsfelder (z. B. zusätzliche Behandlungszeit, Selbstzahlerleistungen wie Mitgliedschaften) aufgebaut und unterm Strich auch mehr Umsätze erwirtschaftet werden. So kann ich meine Mitarbeiter besser bezahlen und mir auch als Inhaber mehr Sicherheit verschaffen.

Dadurch ist der Job für alle Beteiligten wieder entspannter und erst dadurch werde ich attraktiv für Physiotherapeuten, die bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber mit den altbekannten Problemen zu kämpfen haben. Und wenn das System erst mal läuft, kann der Inhaber – sofern er denn möchte – sich auch wieder zum Großteil in der Therapie seinen Patienten widmen.

Der Chef oder die Chefin muss sich erst mal um sich selbst kümmern!

Dass dieser Weg notwendig ist, das haben viele Praxisinhaber für sich schon erkannt. Doch wenn Sie sich unsicher sind, dann machen Sie doch einfach mal den Praxismanagement-Check. Sollten Sie mehr als 3-mal „Nein“ ankreuzen müssen, dann nehmen Sie den Mut in die Hand, etwas zu verändern. Denn genau darum geht es: Wo die Probleme liegen, wissen wir Praxisinhaber meistens selbst. Doch den Weg der Besserung einzuschlagen, das macht erst den Unterschied.

Bildquelle: ©Volker Beushausen

Der Autor

  • Thomas Kämmerling

    Thomas Kämmerling, seit 1983 in der Gesundheitsbranche tätig, ist selbst Physiotherapeut, Inhaber mehrerer Therapiezentren und Geschäftsführer der KWS Unternehmensberatung.

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