Management

Sinn und Unsinn von Digitalisierung

Über den Sinn von Digitalisierung wurde bereits viel gesprochen. Um nur zwei elementare Punkte zu nennen: mehr Automatisierung, weniger Personalkosten. Oder wirtschaftlich ausgedrückt: Weniger Arbeit, mehr Gewinn. Und die Corona-Pandemie hat viel dazu beigetragen, die Digitalisierung in der Fitness- und Gesundheitsbranche zu beschleunigen. Aber ist alles Gold, was glänzt? Genau mit dieser Frage beschäftigt sich Dominik Weirich im folgenden Artikel.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Welche Prozesse im eigenen Unternehmen digitalisiert werden sollten, können Gesundheitsanbieter anhand von der Kernkompetenz und dem Grundnutzen bewerten
  • Sinnvolle Digitalisierung in Gesundheitsanlagen kann beim Kunden Motivation und Inspiration erzeugen und ihm helfen seine Ziele zu erreichen 
  • Jeder Unternehmer ist selbst gefragt differenzierter hinzuschauen, ob und wann Digitalisierung sinnvoll ist

Heutzutage gibt es viele selbsternannte Experten. Deswegen lohnt sich ein Blick zu den visionären Denkern, welche die Wirtschaft tatsächlich komplett neu geformt haben. Steve Jobs gehört sicher zu diesen Figuren der Zeitgeschichte. Einer seiner engsten Vertrauten und ehemals COO von Apple ist Tim Cook. Tim Cook hat vor allem durch die Digitalisierung von Lieferketten einen bleibenden Eindruck bei Steve Jobs hinterlassen. Er gehört mit zu den Gründervätern der „Just in time“-Philosophie und ist somit ein strategisch-visionäres Schwergewicht im Bereich der Digitalisierung. Daher übernahm er die Position von Steve Jobs als Geschäftsführer. Diese hat er bis heute inne.

Digitalisierung gut, alles gut? Oder etwa doch nicht?

Für Tim Cook und Apple begann mit Beginn der Corona-Pandemie ein Geldsegen. Warum? Einer der Gründe war die aufkommende Home-Office-Pflicht. Wenn man sich überlegt, dass jedes Gerät von Apple quasi prädestiniert für alle Home-Office-Arbeiter ist, dann müsste man doch denken, dass Tim Cook sich vor Freude gar nicht mehr einfängt. Aber da ist sie wieder: die Realität! Ein Jahr nach der Home-Office-Pflicht ist Tim Cook dabei, sie abzuschaffen. Aber warum? Er spart doch so viel Unterhaltskosten und immerhin wäre es doch gut, wenn alle anderen Unternehmen seine Produkte kaufen, um Home-Office zu ermöglichen. Aber warum wettert er nun eben gegen die Home-Office-Pflicht? Warum beschwert sich einer der größten Profiteure gegen das, was ihm massive Umsatzsteigerungen beschert? Und die einzige Antwort darauf: Der kurzfristige Geldsegen wird sich langfristig möglicherweise in Verluste wandeln. Schaden droht. Und genau davor hat Tim Cook Angst. Digitalisierung kann nämlich auch gefährlich für Wirtschaft, aber eben auch für die Gesundheit sein. Und so langsam kommen wir damit auch dem Problem für die Gesundheitsanbieter näher.

Sinnvolle Digitalisierung setzt bei der Motivation an. So können z. B. zur Visualisierung 3D-Körpervermessungssysteme eingesetzt werden, die die ermittelten Ergebnisse auf dem Smartphone widergeben (Bildquelle: ©natali_mis - stock.adobe.com)

Grenzen der Digitalisierung in Fitness- und Gesundheitsanlagen

Wenn also Unternehmen wie Apple, die maßgeblich von Social Distancing profitiert haben, plötzlich ein Plädoyer für reale Kontakte halten, gilt es genauer hinzuschauen. Aber was ist der Gradmesser, an dem man sich als Gesundheitsanbieter orientieren kann, um abzuwägen, welche Prozesse im eigenen Unternehmen digitalisiert werden müssen und welche besser analog bleiben? Tim Cook bringt es sinngemäß wie folgt auf den Punkt: „Es gibt einige Dinge in der Wirtschaft, welche nicht virtuell modelliert werden können. Hier braucht es die menschliche, spontane Interaktion. Sie ist der Treiber wahrer Innovation.“ Ist auch irgendwie klar: In einer Welt, in der sich jeder isoliert zu Hause versteckt, können auch keine großen Ideen ausgetauscht werden. Aber wie kann man nach simplen Maßstäben nun im eigenen Unternehmen eine Bewertung über die Sinnhaftigkeit von Digitalisierung anstellen? Dazu braucht es zwei Begriffe: Kernkompetenz und Grenznutzen

Die Kernkompetenz ist schnell erläutert: Ein Gesundheitsanbieter ist dazu da, um Gesundheit bei seinen Kunden wiederherzustellen, zu erhalten oder eben auch Erkrankungen vorzubeugen. Ein Gesundheitsanbieter, dem dies nachweislich bei dem Großteil seiner Kunden gelingt, braucht sich keine Sorgen um das Wachstum zu machen. Aber was hat es nun mit dem Grenznutzen auf sich? Prof. Dr. Eike Emrich hat das wirtschaftliche Konstrukt des Grenznutzens in Vorlesungen sinngemäß wie folgt erklärt: "Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade einen Lauf absolviert und sind erschöpft. Ein kühles Getränk könnte Ihnen Erleichterung verschaffen. Sie entscheiden sich für ein eisgekühltes Weizenbier. Das kühle Bier erfüllt seinen Zweck und Sie fühlen sich langsam, aber sicher hydriert und wieder etwas frischer. Nun entscheiden Sie sich für ein zweites Bier. Ebenfalls eisgekühlt. Nach diesem Bier geht es Ihnen nur noch unmerklich besser. Sie merken, worauf das hinausläuft? Nach dem dritten fühlen Sie sich eher schlechter und spätestens nach dem fünften Bier innerhalb kürzester Zeit nach Ihrem anstrengenden Lauf fühlen Sie sich alles andere als erholt." Der Grenznutzen ist also die Grenze, an welcher der positive Nutzen in negative Folgen umschwenkt. 

"In Sachen Digitalisierung ist nicht alles Gold was glänzt"

Der Grenznutzen am Beispiel eines Gesundheitsanbieters mit dem Schwerpunkt Reduktion von Übergewicht kann wie folgt erklärt werden: Eine Person kommt zu Ihnen als Gesundheitsanbieter. Sie ist übergewichtig mit den üblichen Folgen, wie z. B. Bluthochdruck. Die Person ist 170 cm groß und wiegt 100 kg. Damit sich der Gesundheitszustand bessert, wäre eine Reduktion um 20, besser noch um 25 kg wünschenswert. Sie erstellen ein Programm, welches innerhalb von 20 Wochen den entsprechenden Zielwert erreicht, und der Kunde ist glücklich. Dadurch und durch nichts anderes wird der Kunde zu einem zufriedenen Kunden. Alle Prozesse um diesen Erfolg herum müssen nun also an diesem Grenznutzen und der Kernkompetenz „Reduktion des Gewichtes um 25 kg“ ausgerichtet sein. 

Kernkompetenz und Grenznutzen – der Kompass für sinnvolle Digitalisierung

Das Beispiel verdeutlicht: Wir haben also einen Kunden, der aus gesundheitlichen Gründen 25 kg abnehmen muss. Das bedeutet konkret, der Grenznutzen ist bei 25 kg erreicht. Der Kunde wird nicht zufriedener, wenn es 26 kg sind, und auch nicht, wenn es 35 kg sind oder gar 45 kg. Bei 45 kg würden eventuell sogar schon wieder negative Effekte eintreten. 

Jetzt hat der Kunde also 25 kg zu viel auf der Waage. Diese 25 kg zu viel hat er wahrscheinlich über einen größeren Zeitraum aufgebaut. Mit großer Wahrscheinlichkeit durch zu wenig Bewegung gepaart mit schlechtem Essverhalten. Sinnlose Digitalisierung wäre jetzt also gekennzeichnet durch eine Maßnahme, durch die der Kunde eben keine 25 kg abnimmt. Beispielsweise wäre hier eine App – im Sinne eines hybriden Trainingskonzepts – mit einem großartigen Personal Trainer, für zusätzliches Training zu Hause, keine adäquate Lösung. Denn die Person hat ja schon das Problem, dass sie kaum das Haus verlässt. Die App verstärkt also das Verhalten, tendenziell eher zu Hause zu bleiben. Klar ist aber auch: Die App wäre schnell gekauft. Ebenso schnell auch der Frust und die Erkenntnis, dass Sport nicht funktioniert. Genau dies meint Tim Cook, wenn er sagt, dass es einige Dinge gibt, die virtuell eben nicht nachgebildet werden können. Motivation und Inspiration sind nichts, was durch Bits und Bytes einem Menschen eingepflanzt werden können. Durch eine solche dysfunktionale Digitalisierung wäre die Person auf ewig als Kunde verloren. Noch schlimmer: Sie könnte mit anderen potenziellen Kunden darüber sprechen, dass Ihr Konzept eben nicht funktioniert. 

Ein Beispiel für unsinnige Digitalisierung wäre es, einem Kunden, der aufgrund von Bewegungsmangel zu viel wiegt und ohnehin selten ins Studio kommt, eine App für zusätzliches Training zu Hause zu verkaufen (Bildquelle: ©motortion - stock.adobe.com)

Sinnvolle Digitalisierung würde hingegen bei der Motivation anpacken: Zur Visualisierung des Gewichtsverlusts werden gerne Umfangsdaten erfasst. In Vor- und Nachmessungen werden mit einem Maßband Umfangsdaten erhoben. Wie schwer es ist, jeweils den richtigen Punkt in der Nachmessung zu finden, damit das Maßband nur ja keine höheren Werte anzeigt, weiß wohl jeder Trainer. Wie demotivierend es ist, wenn sich gerade an der einen Stelle nichts getan hat, weiß wohl auch jeder Kunde, der abnehmen muss. Geht man nun allerdings hin und nutzt 3D-Körpervermessungssysteme, nimmt man aus dem Prozess viele negative Aspekte heraus. Bei der ersten Messung gibt es keinen Körperkontakt, der dem ein oder anderen übergewichtigen Kunden unangenehm sein könnte. Bei der Nachmessung gibt es keine Probleme, die richtige Stelle zu finden, und ein Scan funktioniert wesentlich schneller. Kurzum: Der Kunde wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zufriedener, motivierter und somit auch schneller sein Ziel erreichen. In diesem Fall ist der Schritt der Digitalisierung der Körpervermessung ein Schritt hin zum effektiveren Erreichen des Grenznutzens und somit zur Maximierung des Unternehmenserfolgs. 

Allerdings gibt es in jeder Kundenreise, je nach Bedarf des Kunden, viele weitere Prozesse. Bei einigen macht die Digitalisierung Sinn, bei anderen wiederum nicht. Hier ist jeder Unternehmer selbst gefragt, differenziert hinzuschauen, denn nicht alles, was glänzt, ist Gold.

 

Bildquelle: ©metamorworks - stock.adobe.com

Der Autor

  • Dominik Weirich

    Dominik Weirich ist Diplom-Sportwissenschaftler mit den Schwerpunkten Soziologie, Psychologie und Ökonomie. Er ist Buchautor und Speaker. Als Geschäftsführer der FACEFORCE GmbH entwickelt er selbst Innovationen für die Fitnessbranche.

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