Management

„Es ist nicht die Summe des Sitzens, die uns krank macht, sondern die Dauer ohne Pause“

Chris Bell ist einer der Vorreiter des Functional Trainings im deutschsprachigen Raum. Mittlerweile zählt BGM zu seinem Haupttätigkeitsbereich, wo er einige große und namhafte Unternehmen betreut. Wie und warum er BGF-Maßnahmen und Functional Training miteinander kombiniert und welche Tipps er Fitnessstudios gibt, die BGM-Leistungen anbieten, erfahren Sie im Interview.

BODYMEDIA: Wann und warum hast du dich entschieden, im Bereich BGM tätig zu werden?
Chris Bell: In mir schlagen zwei Herzen. Ich liebe das Unternehmertum und gleichzeitig bin ich immer noch Coach aus Leidenschaft, der seinen Kunden mit ehrlichem Interesse zur Seite steht. Seit der Gründung von SHENTISPORTS ist es meine Herzensangelegenheit, die Lebensqualität von möglichst vielen Menschen zu verbessern. Mit meinem ersten Businesskonzept habe ich vor zehn Jahren Personal Training als Dienstleistung multiplizierbar gemacht und damit über 80.000 Menschen zu mehr Bewegung und Schmerzfreiheit verholfen. Doch das reichte mir nicht. Ich wollte mehr Wirksamkeit. Der nächste Schritt waren Vorträge und Workshopreihen für Firmen. Es hat mich fachlich sehr gereizt die Erfolgsfaktoren des Functional Trainings im Hinblick auf Schmerzfreiheit und Leistungsfähigkeit und -bereitschaft in die Betriebliche Gesundheitsförderung zu etablieren. Schnell merkte ich allerdings, dass die anfängliche Euphorie und Motivation meiner Teilnehmer im Arbeitsalltag verflogen. Wir brauchten eine Lösung zur Sicherung der Nachhaltigkeit. Die Entwicklung unserer digitalen Trainingsplattform und App FITMIT5 im Jahr 2016 war das fehlende Puzzlestück, um noch mehr Menschen zu erreichen und auch in Unternehmen ein ganz neues Bewusstsein für Gesundheit zu etablieren. Wir sind allerdings keine BGM-Dienstleister. Die Bereiche Arbeitsplatzsicherheit und Betriebliches Eingliederungsmanagement zählen nicht zu unseren Leistungen. Wir machen nur das, was wir lieben und richtig gut können: Bewegung, Entspannung, Ernährung, Mindset und Perfomance.


BODYMEDIA: Was zeichnet das Konzept FITMIT5 aus?
Chris Bell: In erster Linie, dass es tatsächlich funktioniert! Ein wichtiges Motto von FITMIT5 lautet deshalb: „Schluss mit Alibi!“ Wir haben schnell verstanden, dass wir im Setting der Betrieblichen Gesundheitsförderung Lösungen schaffen müssen, die mit einer hohen Wirksamkeit und Umsetzbarkeit überzeugen. Unsere Mission ist es, dass Bewegung und Entspannung so selbstverständlich werden wie das tägliche Zähneputzen. Das funktioniert nur, wenn die Maßnahmen jederzeit abrufbar sind und geringe Hürden aufweisen. Der Kern des Konzepts sind individualisierte, 5-minütige Bewegungs- und Entspannungspausen auf Basis Künstlicher Intelligenz für den Arbeitsplatz. Wir haben knapp 250 unterschiedliche Korrektur- und Entspannungsübungen bürotauglich abgedreht und mit dem Institut für Künstliche Intelligenz und Informatik in Maastricht unter Prof. Weiss’ Algorithmen konzipiert. Dank unzähliger Excel-Tabellen erhalten Mitarbeiter sekundenaktuell maßgeschneiderte 5-Minuten-Programme, gezielt gegen Rückenschmerzen, Nackenverspannungen, für mehr innere Ruhe, eine bessere Konzentrationsfähigkeit etc. In den letzten Jahren haben wir FITMIT5 zu einem digitalen Gesundheitscoach mit vielen weiteren Funktionen ausgebaut, wie Morgen- und Abendrituale, Einschlafhilfen mit binauralen Beats, ein 25-Tage-Meditationsguide, eine Rezeptdatenbank mit über 1.000 Rezepten, ein achtwöchiges Stoffwechsel-programm und zuletzt ein Immun-Special. Neben einem Punkte- und Belohnungssystem zur Steigerung des Gefühls der Eigenwirksamkeit haben wir Teamwettbewerbe, sogenannte Corporate-Team-Challenges, in unser System integriert. So erreichen wir eine unschlagbare Teilnahmequote und gewannen hierfür 2019 den BARMER / IHK Sonderpreis: Bestes E-Health Start-up.


BODYMEDIA: Zu deinen Kunden zählen einige große, renommierte Unternehmen und Ministerien. Was sind die häufigsten Einschränkungen am Arbeitsplatz, die die Mitarbeiter bewusst oder unbewusst belasten, und wie gehst du vor?
Chris Bell: Wir sprechen hier von den drei Krankmachern unserer Zeit: Bewegungsmangel, Stress und eine schlechte Ernährung. Diese führen auf Dauer und in Kombination zu einer wahren Negativspirale und somit zu dramatischen Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensqualität. Aber es ist nicht die Summe des Sitzens, die uns krank macht, sondern die Dauer ohne Pause. Weiter ist Stress überhaupt nicht schlimm, nur die fehlende Pause macht uns auf Dauer krank. Die negativen Folgen des Sitzens und des Dauerstresses können wir nicht mit ein bis zwei Stunden Personal Training, Yoga oder Joggen kompensieren. Kurze Bewegungs- und Entspannungspausen bringen nachweislich den größten Return-on-Invest für Unternehmen (iga.Report 28, Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Prävention) und sind gleichzeitig für die Gesundheit am wertvollsten. Und wer die Ruhe und Achtsamkeit findet, sich täglich 2- bis 3-mal aus dem Korsett der Steifheit und Inmobilität zu befreien, wird den inneren Schweinehund am Abend deutlich besser im Griff haben. Bewegung bringt nun mal Bewegung.


BODYMEDIA: Und wie schaffst du es mit deinem Team, den Ist-Zustand des jeweiligen Mitarbeiters zu erkennen?
Chris Bell: Unsere digitalen Angebote bieten, unter Wahrung des Datenschutzes, Kommunikationslösungen, wie standardisierte Fragebögen mit Filterfunktionen, um den aktuellen Status quo zu ermitteln und den Erfolg der Maßnahmen zu evaluieren. Die Algorithmen entwickeln auf Basis des Status quo die maßgeschnei-derten Lösungen relativ gut. Die Königslösung, in Form von individuellen Screenings. In Kooperation mit der BARMER und der Deutschen Telekom erhalten z. B. alle Nachwuchskräfte der Deutschen Telekom Ausbildung Bonn, ein individuelles Funktionsscreening mit Einweisung in unsere flowzone, einem firmeninternen „Functional-Boutique-Studio“ in der Zentrale der Deutschen Telekom.

 

Beim  Entspannungscoaching setzt Chris Bell mit seinen Team auf das 5-Stufen-Modell

 


BODYMEDIA: Wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist, dass die Mitarbeiter der jeweiligen Unternehmen Vertrauen zu deinem Team und dir aufbauen. Wie gelingt euch das, vor allem bei denjenigen, die euch und euren Maßnahmen skeptisch gegenüberstehen? 
Chris Bell: Ja, Vertrauen ist auch hier die Basis für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Weiter gilt es zu beachten, dass wir anfangs auf wenig Eigenmotivation, anders wie im Personal Training oder in der Arbeit mit Berufssportlern, stoßen. Daher lautet unsere Arbeitsphilosophie: „Menschlichkeit trifft Technologie.“ Unsere Teilnehmer spüren das ehrliche Interesse an ihnen und öffnen sich. Hier bin ich besonders stolz auf mein Team. Wir übertragen die Leichtigkeit und Professionalität aus unseren Personal-Training-Anlagen in die Unternehmen.


BODYMEDIA: Darfst du eine konkrete Referenz für anfänglich skeptische Mitarbeiter nennen?
Chris Bell: Eine große Erfolgsgeschichte schreiben wir seit einigen Jahren mit dem Landesbetrieb Mobilität in Rheinland-Pfalz. Neben den Maßnahmen für den Innendienst bieten wir für die knapp 2.000 Straßenwärter ein maßgeschneidertes Konzept. Die Kollegen starten ritualisiert jeden Morgen bei Schichtbeginn mit fünf bedarfsorientierten Beweglichkeitsübungen. Unsere Ziele sind: 1. den chronischen Verschleiß am Bewegungsapparat zu minimieren, 2. akute Verletzungen vorzubeugen und 3. Einzahlung auf das Wir-Gefühl-Konto. Hier spielen wir unser Konzept: Menschlichkeit trifft Technologie. Wir erstellen ein individuelles Konzept für den Kunden mit jährlichen Impulsveranstaltungen und Trainingsupdates auf allen Straßenmeistereien. Es gibt jährliche Boni, wie Schlingentrainer oder Massagebälle in allen Straßenmeistereien, und Trainingsanleitungen für alle Kollegen zu Hause. Im Bereich der Technologie erhalten die Mitarbeiter individuelle Videos im Betriebsdienstoutfit zur Steigerung der Akzeptanz.


BODYMEDIA: Wichtiger Bestandteil deiner BGF-Maßnahmen ist Functional Training. Wie genau können wir uns das vorstellen?
Chris Bell: Der Großteil unserer Corporate-Lösungen basiert auf der Arbeitsweise des Functional Trainings. Selbst unsere fünfminütigen Kurzworkouts haben einen stringenten Aufbau. In der ersten Minute führen wir stets neurozentrierte Übungen aus, gefolgt von Faszien-, Mobilitäts- und Stabilitätsübungen sowie einem ganzheitlichen Ministoffwechsel-Kick. Dies ist die klassische Lehre des Functional Trainings und das sind die Erfolgsfaktoren für einen schmerzfreien, belastbaren und leistungsfähigen Körper. „Qualität vor Quantität.“ Auch unser Entspannungscoaching folgt dem 5-Stufen-Modell meiner Frau.


BODYMEDIA: Functional Training ist auch in Fitnessstudios wichtiger Bestandteil des Angebots. Welche Voraussetzungen müssen Studiobetreiber schaffen, um damit auch BGM-Leistungen anbieten zu können?
Chris Bell: Das Thema BGM oder BGF ganz nebenbei mitnehmen zu wollen sehe ich kritisch. Daher empfehle ich eher den Weg „ganz oder gar nicht“. Wer sich als Studio dazu entscheidet, sollte vor allem in die entsprechende Manpower investieren. Denn im BGM mahlen die Mühlen sehr langsam. Entscheidungen werden nicht von jetzt auf gleich getroffen. Um zum Abschluss zu kommen, bedarf es Ausdauer, Motivation und einer intensiven Betreuung des Kunden. Dies ist für Fitnessstudiobetreiber sehr ungewohnt und zäh. Wer doch schnell starten möchte, kann mit einem Angebot an §20a-bezuschussten Krankenkassenkursen für Unternehmen starten und so gegebenenfalls den großen Abschluss für eine Pauschalmitgliedschaft für Unternehmen forcieren. Außerdem sollten Vortragsreihen, Screenings, Gesundheitstage mit einem guten internen Team realisiert werden. Generell empfehle ich Studios, sich auf die Handlungsfelder Bewegung, Entspannung und Ernährung zu konzentrieren. 


BODYMEDIA: Vielen Dank für das Interview. 

 

Quelle:
Header: ©Elnur - stock.adobe.com

 

Der Autor

  • Chris Bell

    Chris Bell zählt zu den führenden Experten für funktionelles Training im deutschsprachigen Raum. Der Diplom-Sportwissenschaftler ist Referent auf nationalen und internationalen Kongressen. Mit seinem Unternehmen SHENTISPORTS kombiniert er die Erfolgsfaktoren des modernen Leistungssports und der Therapie in einem ganzheitlichen Trainings-konzept. Sein Konzept „2x5 Minuten Lösung“ hat er in zahlreichen namhaften Firmen mit großem Erfolg und Nachhaltigkeit installiert. 

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