Digitalisierung

Welche Vorteile haben Trainer von der Digitalisierung?

Die Meinungen zur Digitalisierung im Fitnessstudio gehen auseinander: Die einen machen die Digitalisierung hauptverantwortlich für Stress und Burn-outs, die anderen sagen, ohne geht es nicht mehr. Inwiefern das im Fitness- und Gesundheitswesen Sinn macht, wird im Artikel näher erläutert.

Das Wichtigste in Kürze: 

  • Durch die konsequente Anwendung digitaler Formate, die sich als hybride Lösungen wunderbar mit analogen Studioangeboten kombinieren lassen, können viel mehr Menschen erreicht und für Fitness begeistert werden
  • Maschinen können in Bildern und Daten (MRT und CT) Muster erkennen, die den menschlichen Experten verborgen bleiben
  • Mitglieder wollen wissen, welche Wearables und Fitness-Tools zu ihren Bedürfnissen passen, wie die Aktivitäten getrackt werden und welche Schlüsse sich daraus für ihr individuelles Training ziehen lassen

Auf die auf dem Vormarsch befindlichen Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Metabolisches Syndrom und Diabetes könne man, so die Digital-Befürworter, nur digital angemessen reagieren. Ob zu Hause, im Studio oder in der Natur – Fitness und Medizin bräuchten digitalen Support, um wirksam dagegen anzugehen. In der Tat: Die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen sind offensichtlich, sie erschließt neue Möglichkeiten in der Prävention sowie in der Diagnostik und der Behandlung von Krankheiten. Studien beweisen, dass die digitale Diagnostik dem menschlichen Kollegen teilweise weit überlegen ist. Wer sich dieser Tatsache als Unternehmer verschließt, lässt einen riesigen Markt links liegen.

Digitalisierung bietet fast grenzenlose Möglichkeiten, auch was die Interaktion mit und Motivation von Kunden angeht

Insgesamt hat die Pandemie Deutschland unsanft aus dem digitalen Dornröschenschlaf geweckt. Teams- oder Zoom-Meeting, Slack & Co prägen unser Kommunikationsverhalten, teilweise bis weit ins Privatleben hinein. In den Großstädten shoppen nicht nur Hipster in virtuellen Supermärkten und nicht nur Digital-Junkies verlieben sich über Tinder, sondern auch ganz normale Menschen. Digitalisierung ist eines der Themen unserer Zeit. In fast allen Lebensbereichen. Auch die Fitnessbranche und der Medizinsektor müssen schnell und konsequent weiter digitalisiert werden.

Digitalisierung ist eine Chance, keine Bedrohung

Damit wir uns richtig verstehen: Es geht nicht nur um die erfolgreichen virtuellen Trainingsplattformen für Radsportler oder Yogakurse per Skype. Es geht ausnahmslos um alle Angebote. Und es betrifft auch analoge Studios, Personal Trainer sowie Physiotherapeuten. Ausnahmen gibt es nicht mehr. Dabei ist eines ganz wichtig: Wir sollten die Digitalisierung niemals als Bedrohung für Trainer oder Therapeuten sehen, sondern als Chance, von Routineaufgaben (wie z. B. Anamnese,
Trainingsplanung oder Motivation), zu denen niemand mehr wirklich Lust hat, entlastet zu werden und dadurch sich wesentlich besser dem Kunden zuwenden zu können. Letzteres hilft sicherlich, attraktiv zu bleiben und neue Zielgruppen zu erschließen. Hierfür muss eine konsequente Auseinandersetzung mit den Entwicklungen auf dem digitalen Sektor stattfinden.

Apple Watch und Handy mit Auswertungen eines Laufs
Kunden wollen zukünftig noch mehr Empfehlungen, welche Wearables und Fitness-Tools zu ihren Bedürfnissen passen, wie die Aktivitäten getrackt werden und welche Schlüsse sich daraus für ihr individuellen Training ziehen lassen (Bildquelle: © shine.graphics - stock.adobe.com)

Und: Mut zur Investition und Kreativität sind gefragt: Wie lassen sich die Skills der Online-Angebote mit dem, was ein Studio bietet, verbinden? Ein stylisches Ambiente und sympathische Coaches allein reichen nicht mehr, um Kunden zu gewinnen und zu halten. Sie erwarten längst mehr als nur Abnehm- oder Aufbauprogramme, sie wollen auch Empfehlungen, welche Wearables und Fitness-Tools zu ihren Bedürfnissen passen, wie die Aktivitäten getrackt werden und welche Schlüsse sich daraus für ihr individuelles Training ziehen lassen. Diese Daten dürfen kein Exklusivmaterial für die Trainer sein. Sie müssen auch für die Mitglieder verfügbar sein, egal ob im Studio oder zu Hause. Dabei gerne auch den Funfaktor im Auge behalten. Die erfolgreichsten Teilnehmer eines Spinningkurses erhalten z. B. eine virtuelle Medaille als Pushnachricht. Mit einer solchen Trophäe auf dem Smartphone sitzt man auch beim nächsten Rennen wieder motiviert im Sattel. Die Digitalisierung bietet gigantische, fast grenzenlose Möglichkeiten, auch was Interaktion mit und Motivation von Kunden angeht.

Integration digitaler Angebote

Durch die konsequente Anwendung digitaler Formate, die sich als hybride Lösungen wunderbar mit analogen Studioangeboten kombinieren lassen, können viel mehr Menschen erreicht und für Fitness begeistert werden und damit kann zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beigetragen werden. Der Feind ist nicht Peloton, sondern die Couch. Die Frage ist nicht, wie positioniere ich mich gegen digitale Angebote, sondern wie integriere ich sie in mein Angebot und die jeweilige Positionierung.

  • Ohne Gamification geht es nicht! Auch naturverbundene Läufer zeichnen ihre Trainingseinheiten penibel auf. Ein monatliches Trainingsranking in einer digitalen Community spornt an und vertreibt den Schweinehund. Zudem bringt es einfach Spaß, neue Apps, Tools und Trainingsformate auszuprobieren, egal ob im Wald oder im Studio.
  • Aufgezeichnete Trainingsdaten machen Erfolge sichtbar. Mehr als die Hälfte der sportbegeisterten Menschen in Deutschland möchte sich durch Training verbessern. Selbstoptimierung gehört laut dem deutschen Zukunftsinstitut zu den globalen Megatrends. Digitale Accessoires und Apps helfen, Erfolge messbar zu machen, zu belegen und vor allem auch vorzuzeigen. Der Abend im Fitnessstudio eignet sich hervorragend als Social-Media-Post, egal ob auf Facebook, Instagram oder TikTok.
  • Moderne Körperdatenmessung fördert nicht nur Erfolge, sondern auch die Gesundheit. Es kann gezielt optimiert, Trainingsfehler und Überlastung vermieden werden. Diese Daten für Kunden greifbar zu machen macht Trainer zu besseren, qualifizierteren Sparringspartnern. Und was heißt modern? Einfachheit! Der Kunde muss seine Daten selbst verstehen. Wenn der Kunde ein Medizinstudium braucht, um komplizierte Daten und Grafiken zu verstehen, wird der Trainer nicht entlastet, sondern belastet.
  • Datennetworking zwischen Fitness und Medizin: Mittelfristig können Daten aus dem Fitnessstudio zur medizinischen Diagnostik beitragen. Oder auch als Beleg für eine Reduzierung der Krankenkassenbeiträge dienen, weil die Kunden ihre sportliche Aktivität belegen können. Interessant ist in dem Zusammenhang auch eine Forsa-Umfrage von 2019, die besagt, dass 79 % der Deutschen bereit wären, ihre Gesundheitsdaten anonym zu spenden. Der Wert und die Notwendigkeit der Erhebung und Auswertung von Gesundheitsdaten sind also vielen bereits klar.

Digitale Vernetzung von Fitness und Medizin

Die digitale Vernetzung von Fitness und Medizin steckt noch in den Kinderschuhen. Viele Physiotherapeuten sind dort weiter und haben schon längst digitale Schnittstellen zu Ärzten integriert, weil sie erkannt haben, wie wichtig der schnelle, unkomplizierte Austausch über Diagnoseergebnisse und Körperdaten für ihre Arbeit ist. All dies wird zur Evidenzbasierung beitragen und helfen, Kostenträger von der Notwendigkeit aktiver Therapie zu überzeugen.

Obwohl hier alle profitieren könnten, steht der Bereich der Telematik, zu dem u. a. Videosprechstunden gehören, noch am Anfang. Das wäre insbesondere für Menschen, die außerhalb von Ballungsgebieten wohnen oder nur eingeschränkt mobil sind, eine große Erleichterung. Viele Arzttermine, z. B. in der Nachsorge oder auch in der Gesprächstherapie, können genauso gut mittels Chat oder Telefon stattfinden, bequem vom Sofa aus. Fernbehandlungen sind Ärzten in Deutschland seit Mitte 2018 erlaubt. Dennoch läuft die Umsetzung schleppend. Auch hier wird sich in den nächsten Jahren einiges tun. Eine längst überfällige Entwicklung. Nehmen wir allein den Umstand, wie schwierig es für Menschen ist, psychologische Beratung zu bekommen. Viele warten monatelang auf Termine bei Therapeuten. Hinzu kommt, dass nicht jeder Spezialist ein „perfect match” für den Patienten ist.

Sportlerin nimmt an einem Online Fitnesskurs teil
Zukünftig müssen sich Studiobetreiber mit der Frage befassen, wie sich Online-Angebote mit dem, was ein Studio bietet verbinden lassen (Bildquelle: © Gorodenkoff - stock.adobe.com)

Es kann also durchaus Jahre dauern, bis endlich jemand gefunden wurde, der tatsächlich bei psychischen Problemen helfen kann. Die Öffnung der Psychotherapie für Patientenversorgung via Videochat ist nicht nur zeitsparend, sondern erweitert den Suchkreis nach dem passenden Therapeuten weit über den eigenen Wohnort hinaus. Konkret: Die alleinerziehende Mutter kann in München mit ihrem Therapeuten in Bremen sprechen, während das Kind im Nebenzimmer schläft. Es empfiehlt sich zwar – in der Medizin und auch im Fitnessbereich –, nicht ausschließlich auf Fernbetreuung zu setzen, denn komplett kann sie das Erlebnis eines persönlichen Treffens nicht ersetzen. Dennoch: Wenn die Not groß ist oder Face-to-face-Termine z. B. während eines Lockdowns nicht möglich sind, kann Telemedizin die Rettung sein und erschließt darüber, wie oben schon erwähnt, neue Zielgruppen. Denn eines kommt noch hinzu: Einsamkeit ist in der heutigen Zeit, verstärkt durch die Pandemie, ein großes Thema. Digitale Tools vernetzen Menschen – ob nun mit einem Laufranking im Freundeskreis via App oder mit Online-Selbsthilfeangeboten.

Sogar die App auf Rezept gibt es schon! Seit dem Inkrafttreten des Digitalen Versorgungsgesetzes können sogenannte „Digitale Gesundheitsanwendungen“, sprich: Apps, die die Gesundheit fördern, von Ärzten verschrieben und von den Krankenkassen übernommen werden. Darunter finden sich Apps für verschiedenste Erkrankungen, die z. B. bei Depressionen, Alkoholabhängigkeit, Adipositas und in der Nachsorge von Krebs oder einem Schlaganfall eine wertvolle Unterstützung sein können.

Künstliche Intelligenz gewinnt an Bedeutung

Ein weiterer Bereich in der Medizin, in dem Digitalisierung eine große Rolle spielt, sind künstliche Intelligenz (KI) und Robotik. Insbesondere im Bereich der Radiologie werden in der Bildgebung (CT und MRT) massenweise Bilddaten erzeugt. Kein Mensch könnte all diese Aufnahmen auswerten, um sie miteinander zu vergleichen und daraus Schlüsse für die MRT- oder CT-Bilder eines Patienten zu ziehen. Hier kommt die KI ins Spiel. Intelligente Hochleistungssysteme liefern innerhalb von Sekunden treffsichere Beurteilungen, für die Ärzte jahrelange Erfahrung, viele Stunden Arbeit und höchste Konzentration benötigen würden. Darüber hinaus können Maschinen in den Bildern und Daten Muster erkennen, die den menschlichen Experten verborgen bleiben.

Dennoch: Den Menschen werden die Maschinen in absehbarer Zeit nicht ersetzen. Denn am Ende sind die Computer von Menschen erschaffen worden. Sie sind abhängig von der Qualität des Datenfutters. Und zwei wichtige Dinge fehlen ihnen: die Fähigkeit zur Selbstkritik und in vielen Bereichen Transparenz. Sie liefern ein Ergebnis, der Weg dorthin findet jedoch häufig in einer nicht einsehbaren Black Box statt. Auch Entscheidungen kann KI nicht treffen, so übernehmen dies nach wie vor die Ärzte, aber eben häufig auf Basis der von der KI ermittelten Parameter. Die an digitale Systeme gekoppelte Robotik kommt vor allem bei Operationen zum Einsatz. Die Vorteile: höhere Präzision und bessere minimalinvasive Fähigkeiten.

Fazit

In meinen Augen können wir den größten Benefit aus den neuen Technologien ziehen, wenn wir digitale Tools mit menschlichen Skills verbinden. Denn weder möchte man eine schlechte Nachricht von einem herzlosen Doktorroboter überbracht bekommen noch macht einem ein rein App-basiertes Fitnessprogramm Spaß. Zu einem wirklich erfüllenden Sportprogramm gehören zwischenmenschlicher Austausch und eben auch die nötige Trainerexpertise, die einem im Zusammenspiel mit Körperdaten hilft, das individuell optimierte Training zu finden.

Bildquelle Header: © Prostock-studio - stock.adobe.com

Der Autor

  • Marc Weitl

    Dr. Marc Weitl war Kunstturner und hat in Sportmedizin promoviert mit dem erklärten Ziel, den plötzlichen Herztod bei Sportlern zu bekämpfen. Aus dieser Motivation heraus gründete er 2001 nach vielen Jahren in Klinik und Forschung in Hamburg die cardioscan GmbH für eine bessere Diagnostik, damit Training einfach funktioniert.

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