Digitalisierung

Spielerisch zu neuen Kunden?

Schwitzen für Punkte: Gamification und Exergaming gelten als neue Trends in der Fitnessbranche. Was Trainierenden Spaß macht, kann Fitnessstudiobetreibern und Trainern neue Perspektiven bieten – bei Geschäftsmodellen oder Zielgruppen.

Obwohl die beiden Männer nebeneinander Liegestützen, Kniebeugen oder Hampelmänner absolvieren, firmieren sie auf dem Bildschirm vor ihnen nicht als Trainierende. Sie sind Player 1 und Player 2. Ein Sensor erkennt und zählt jede Art von Fitnessübung und schreibt diese live auf dem Screen den Kontrahenten zu. Die beiden trainieren um die Wette. Sie spielen sozusagen Fitness gegeneinander. Das Beispiel stammt aus einem Produkt-Demovideo des Dresdner Start-up Evomo, dessen Tracking-KI verspricht, Fitness-Gaming zu demokratisieren. Die Technologie nutzt Sensoren von Smartphones oder Watches, um Burpees oder Wadenheber zu erkennen und zu messen, z. B. von zwei gleichzeitig Trainierenden.  

Definition von Gamification
Was dieses Beispiel interessant macht: Evomo verpasst seiner Software spielerische Elemente. Es werden Punkte für Übungen verteilt und Ranglisten angezeigt. Wer ist Erster, wer Zweiter? Und damit sind wir mitten in der Welt der Gamification, in der belohnende Elemente aus Spielen außerhalb von Spielen eingesetzt werden, um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren – so die Definition von Gamification.  

Gamification und Gaming befinden sich im Wachstum, wie diese Kennzahlen beispielhaft verdeutlichen:

  1. Der Gaming-Markt in Deutschland wächst seit Jahren, wie die Umsatzzahlen zeigen. 2012 bis 2019 sind diese von 2,3 auf 6,2 Milliarden Euro gestiegen. Die Umsätze liegen damit weit vor denen der Film- oder Musikindustrie.
  2. Auch weltweit gehen immer mehr Videospiele über die Ladentheke: 160 Milliarden Euro nahmen Gamehersteller 2020 ein, bis 2023 soll der Markt auf 200 Milliarden wachsen. Größtes Wachstum verzeichnen dabei Spiele auf dem Smartphone.
  3. Dem generellen Gamification-Markt wird ein Wachstum von aktuell 9 auf 25 Milliarden Dollar bis 2025 prophezeit.

Gamification und Fitness: Die Ursprünge liegen in den 80er-Jahren
Neu allerdings ist die grundsätzliche Idee hinter der Gamification nicht. Videospielfans erleben den Gamification-Bruder Exergaming (Exercise plus Gaming, Bewegung steuert Spiel) seit den 1980ern. Die einen tanzten auf Matten, in die Sensoren eingearbeitet waren, andere saßen auf Home-Bikes und fuhren dank einer Kooperation von Life Fitness und Nintendo durch virtuelle Welten. Ab den 2000ern schwangen Spieler virtuelle Tennisschläger auf der Nintendo Wii, suchten fiktive Tierchen bei Pokemon Go und besiegten Monster mit Kniebeugen und Sit-ups bei Nintendo Ringfit.

Neu aber ist, dass die Belohnungssysteme „Spiel“ und „Spielelemente“ die Fitnessbranche flächendeckend erreichen und dem für die breite Masse oft langweiligen Fitnesstraining drei frische Aspekte verleihen: Spaß,  Motivation und Bewegungskontrolle. Der Kerngedanke ist, dass durch Gamification und Exergaming der Fokus beim Training weg vom Kalorienverbrennen hin zum spielerischen Spaß geht. Einige der jüngsten Beispiele für diesen Trend sind Produkte eines Münchner Unternehmens, das den Spaß schon im Namen trägt: Fun with balls will Menschen dank Spiel und Spaß zu mehr Bewegung animieren. Bei Multiball z. B. handelt es sich um einen Technologie-Mix aus Projektoren und Sensoren. Jede Wand kann ein gigantisches, interaktives Interface für Bewegungsspiele aller Art werden. Spieler schlagen, kicken oder werfen Bälle auf digitale Dartscheiben oder Monster, versuchen, Torhüter zu bezwingen oder die richtige Antwort auf eine Mathematik-Aufgabe zu geben.

„Wir arbeiten mit Fitnessclubs, Trainingscentern, Sportläden und aufgrund der Corona-Krise auch mit Usern zusammen, die sich Multiball ins Wohnzimmer liefern lassen“,

erklärt Markos Kern, Gründer von Fun with balls.


Seine Vision ist, dass sein Unternehmen nicht bloß interaktiven Spaß an Bewegung bietet, sondern ein ganzes Eco-System an Spielern, Betreibern, Trainern und Softwareentwicklern. Somit sollen sowohl Zielgruppen in Fitnessstudios als auch Menschen, die lieber zu Hause trainieren, angesprochen werden.

Nutzen für Fitnessstudiobetreiber
Welchen Nutzen hat solch eine Technologie für Fitnessstudiobetreiber in Zeiten der digitalen Transformation? Sie kann eine Antwort auf die Zukunftskernfrage geben. Warum sollten Fitnessfans noch ins Studio gehen, wenn sie ihr Wohnzimmer oder den Wald dank neuer Produkte und Gewohnheiten als gleichberechtigte Sportorte empfinden? Markos Kern sieht zwei entscheidende Vorteile für Fitnessstudios. Erstens ist er davon überzeugt, dass Fitness zunehmend zu einem Gruppenevent wird, und diesem sozialen Aspekt können Fitnessstudios am ehesten gerecht werden. Den zweiten Vorteil für Fitnessclubs sieht er darin, wenn das Erlebnis mehr Platz braucht. Das Fitnessstudio von morgen könnte also mehr Disneyland bieten. „Durch spielerische Ansätze können Fitnessstudios die Rückkehr in die Post-Lockdown-Welt für bestehende Kunden erleichtern und neue Kunden akquirieren, die einen großen Wert auf Interaktion und Spaß legen“, ist Natalia Karbasova, Gründerin des FitTech Summits, überzeugt.

Wie Gamification in Fitnessstudios eingesetzt werden kann, zeigt das Beispiel des ExerCube von Sphery. Dabei handelt es sich um eine Art aufgeschnittenen Würfel, bei dem die Nutzer von drei riesigen Bildschirmwänden umgeben sind. Darauf läuft ein Fitness-Rennspiel, das die Spieler mit Punkten und Sternen belohnt, wenn sie im richtigen Moment die gewünschte Übung durchführen – und sich zum Beispiel ducken, wenn ein Hindernis auftaucht. Das Unternehmen wirbt auf seiner Website mit Trainer-Zitaten, die den ExerCube im Studio z. B. als Warm-up oder für ein 12-minütiges HIIT-Training mit ihren Kunden nutzen. Dies bestätigt, dass Fitnessstudios mit Installationen dieser Art neue und alte Kunden in ihre Studios locken können.   
 


Etienne Petermann, Gründer Evomo, Markos Kern, Gründer von Fun with balls, und Anna Lisa Martin-Niedecken, Gründerin von Sphery (v. l.)
 

Und auch Etienne Petermann, der Gründer von Evomo, ist sich sicher, dass Studiobetreiber zukünftig von Gamification profitieren werden. „Wir glauben an eine hybride Zukunft der Studios“, erklärt er. Die Menschen werden, da ist er sich sicher, ortsungebundener trainieren. Daher sei es für Fitnessstudios wichtig, die eigenen Mitglieder auch außerhalb der eigenen vier Fitnesswände an das eigene Produkt zu erinnern, z. B. durch Gym-Satelliten wie eine Fitness-Spiele-App.

Psychologie der Gamification: Kompetenzerleben, Feedback und Flow
Der Spaßfaktor bei Gamification ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Der Spieler erlebt Kompetenz. Es motiviert, wenn man spürt, etwas bewirken zu können und auf dem richtigen Weg zum Ziel zu sein. Punkte oder Abzeichen sind Signale für Erfolg. Games arbeiten dabei häufig mit disproportionalen Rückmeldungen. Auf das Bewältigen simpler Aufgaben folgt ein positives, visuelles Feedback. Studien
zeigen zudem: Spieler lieben das Vervollständigen von Aufgaben und zu wissen, wie weit es bis zur Zielerreichung noch ist. Psychologen nennen das Progressionstransparenz. Das Prinzip kennt man z. B. von Fortschrittsbalken. Ist die Aufgabe zudem optimal auf die Skills der Spieler abgestimmt, also im schmalen Korridor zwischen Unter- und Überforderung, entsteht der sogenannte Flow-Effekt und die Nutzer gehen in der Tätigkeit auf und vergessen die Zeit. „Dieser Effekt ist dank Technologie modellierbar“, erklärt Markos Kern. D. h. Sensoren und Software messen die steigenden Spielerskills und passen den Schwierigkeitslevel entsprechend so an, dass der Flow-Effekt nicht abreißt.  

Warum werden spielerische Elemente die Fitnessbranche erobern?
Bleibt Gamification ein Hype? Nein, da sind sich die Gründer einig. Erstens, so Etienne Petermann, weil alte und neue Zielgruppen aktuell Fitness einen neuen Sinn zuschreiben. Übungen sollen nicht nur der Gesundheit schmeicheln oder den Körper verändern, sondern auch einfach Spaß machen. Zudem hat sich das motivierende Prinzip, Tagesziele zu erreichen, bereits in anderen Apps durchgesetzt. Auch Markos Kern ist überzeugt, dass Gamification nicht nur ein Hype ist. Schließlich wird die Disruption der Fitnessbranche nicht mehr verschwinden, nach Musikern oder Medienmachern sind nun Studiobetreiber an der Reihe, neue Geschäftsmodelle und frische Alleinstellungsmerkmale zu finden. Fitnessgames könnten eine Lösung für diese Herausforderung sein. „Viele Studiobetreiber unterschätzen Fitnessgames als Publikumsmagnet oder als Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erreichen“, erklärt Markos Kern. Das könnte sich in Zukunft ändern.
 

Bildquellen:
Header: ©Sphery AG

Der Autor

  • Max Gaub

    Max Gaub arbeitet seit fast 20 Jahren als journalistischer Unternehmer und Dozent. 2020 stieg er beim Event- und Medien-Start-up FitTech Company als Chief Content Officer ein. Das junge Unternehmen will die Player der Branche vernetzen – über Kongresse und digitale Talkshows.

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