Digitalisierung

Sind Robotics, KI und Automation die (nahe) Zukunft der Physiotherapie?

Die Physiotherapie hat digitalen Nachholbedarf, aber man sollte nicht alles digitalisieren, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dieser Prozess muss mit Ziel und Verstand angegangen werden. Wir zeigen, wie die digitale Zukunft der Physiotherapie aussehen kann und was jetzt schon Realität ist.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Richtig eingesetzt erspart die Digitalisierung Physiotherapeuten viel Arbeit.
  • Digitalisierung kann vor allem bei sich oft wiederholenden Prozessen nützlich sein.
  • Die digitale Lösung sollte intuitiv zu bedienen, kostentransparent und mit anderen Softwares kompatibel sein.
  • Mit einem Patienten-Leitsystem können der Empfangskraft viele administrative Aufgaben abgenommen werden.

Hinsichtlich des hohen administrativen Aufwands ist es eigentlich erstaunlich, wie wenig digitalisiert das Arbeiten in der Physiotherapie ist. Der Rückstand sollte aber nicht auf einmal aufgeholt werden – das könnte zu einer „Überdigitalisierung“ führen. „Wir dürfen nicht um jeden Preis alles digitalisieren“, sagt Tobias Hofstetter, Mitgründer und Vertriebsleiter von Heal11. Das junge Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, Physiotherapie-Einrichtungen sinnhaft zu digitalisieren. Dabei setzen sie auf die eigens entwickelte Software Proleos und ein Patienten-Leitsystem.

Viele der im Markt verfügbaren digitalen Lösungen werden aus der Notwendigkeit heraus entwickelt, etwas digitalisieren zu wollen oder sogar zu müssen. Tobias Hofstetter sieht dieses Vorgehen kritisch: „Man hört immer wieder, dass unbedingt digitalisiert werden muss. Das ist aber der falsche Ansatz! Digitalisierung sollte als Tool genutzt werden für Prozesse, welche irgendwann für den Menschen monoton werden, weil er sie ständig ausführen muss, und nicht einfach bei jedem Prozess.“

Um das zu schaffen, wählte das junge Unternehmen einen anderen Weg. Durch Befragungen im Markt und durch die Gespräche mit Therapeuten, Empfangskräften, Inhabern und Trainern gewannen sie ein detailliertes Bild von den Anforderungen, die den Markt derzeit beschäftigen. Diese Erkenntnisse wurden mit der eigenen Recherche gekoppelt und so ergaben sich drei Hauptthemen hinsichtlich der Digitalisierung: Softwaredschungel, Einfachheit, Kosten.

Der Durchblick fehlt

Einrichtungen beschwerten sich darüber, dass sie aktuell viel zu viele Softwarelösungen parallel bedienen müssen und sich dadurch Arbeit staut.

Nehmen wir zum Beispiel die Patientin Ursula, welche von ihrem Therapeuten Manu überzeugt wurde, dass sie auch selbst etwas für ihre Gesundheit tun muss. Sie entscheidet sich also, im Selbstzahlerbereich ein Abo abzuschließen. Also muss Ursula in der Selbstzahler-Software neu angelegt werden. Sie wird von ihrer Trainerin Kirsten empfangen und berichtet ihr von ihren Problemen mit dem Bein, kann aber nicht genau sagen, was bereits behandelt wurde und welche Diagnose genau vorliegt. Jetzt muss Kirsten zu Manu, um sich die Informationen zu holen, oder hoffen, dass sie alle benötigten Informationen in der Patientenakte findet.

Und diese Beispiele gibt es zuhauf, sodass eine Softwarelösung mit vielen Bausteinen erforderlich ist. Diese sollte Patientenverwaltung, Mitgliederverwaltung, Reha-Sport, Abrechnung/Factoring, Outsourcing des Mitgliedermanagements, Zeiterfassung und noch einiges mehr umfassen.

Keep it simple

Gerade neue wie auch etwas ältere Mitarbeitende tun sich häufig schwer damit, in einer Software zurechtzukommen. Das Problem potenziert sich, wenn die Einrichtung einen kompletten Softwarewechsel durchläuft. Ein intuitives Arbeiten mit der Software ist also essenziell, um allen Mitarbeitenden den Zugang und den Umgang zu erleichtern.

Der dritte Punkt sind unübersichtliche Kosten. Viel zu häufig berichteten Inhaber, dass sie nicht genau einschätzen können, welche Kosten in den nächsten Monaten auf sie zukommen, da Spalten, Mitarbeiter, Tools, etc. extra bepreist werden und somit die Übersicht verloren geht. Die Preisstruktur sollte also möglichst transparent sein. All das vereint Heal11 in seiner Softwarelösung Proleos, die gemeinsam mit der HMM Deutschland GmbH entwickelt wurde.

Grafik des Patientenleitsystems von Heal11
Übersicht über das Patientenleitsystem, das die Abläufe in der Praxis einfacher machen kann (Bildquelle: © Heal11 GmbH)

Historisch werden Softwarelösungen im Physiotherapiebereich nicht unbedingt kompatibel miteinander entwickelt. Das soll sich ändern: „Proleos soll ein Ökosystem werden, an das sie alle weiteren Anwendungen einfach andocken können, sodass Proleos als solches konstant weiterentwickelt wird, aber sich auch das Netzwerk rund um Proleos stetig erweitert“, erklärt Heal11-Mitgründer und Geschäftsführer Heiko Kandler.

Software ist allerdings nicht das einzige Thema, das Physiotherapiepraxen zukünftig bewegen wird. Anforderungen an zukünftige digitale Lösungen sind, den Alltag zu vereinfachen, die Effizienz bei der Arbeit mit den Patienten zu erhöhen und sich wiederholende Aufgaben zu automatisieren. So wird die Praxis wirtschaftlicher. Wie eine praxistaugliche Lösung aussehen kann, zeigt Heal11 mit ihrem Patienten-Leitsystem.

Patienten sinnvoll leiten – Arbeit einsparen

Betritt ein Patient zum ersten Mal die Praxis, wird er oder sie direkt am Check-in gebeten, die Krankenkassenkarte einzugeben, und wird danach direkt visuell zum Therapiedesk oder zum Empfang geleitet. Die Empfangskraft bekommt in ihrem Interface angezeigt, dass sich jemand am Check-in eingecheckt hat, und kann bei einem Ersttermin den Patienten zum Therapiedesk begleiten und mit diesem die Ersteinweisung durchführen und im System anlegen. Sind alle wichtigen personenbezogenen Daten abgespeichert, kann das Rezept eingescannt werden. Je nach Software wird dieses direkt geprüft.

Nach erfolgreicher Prüfung werden alle behandlungsrelevanten Daten sowie der Anamnesebogen abgefragt und die Daten können auch selbst vom Patienten eingetragen werden. Auch das Abschließen und Bearbeiten von Patienten-Behandlungsverträgen sowie Zusatzvereinbarungen ist hier möglich.

Im Anschluss kann der Patient selbst alle weiteren Termine an dem Desk vereinbaren. Gleichzeitig werden ihm über die Bildschirme wissenswerte Informationen über die Praxis und Zusatzleistungen vermittelt. Abschließend erhält er eine individuelle Zahlenkombination, um anonym im Wartezimmer aufgerufen werden zu können, und wird in den Wartebereich geleitet.

Sobald der Patient im System eingecheckt ist, wird er der Empfangskraft oder dem Therapeuten mit allen ausgefüllten Unterlagen im Interface angezeigt, mit der Möglichkeit, diese runterzuladen und in die Praxissoftware einzufügen. Bei Verwendung der Praxissoftware „Proleos“ werden die Daten automatisch hochgeladen.

Der Eingang eines Therapieraums
Die Empfangskraft kann den Patienten Räume zuweisen, sodass diese über die Bildschirme des Leitsystems mit ihrer Zahlenkombination ausgerufen werden (Bildquelle: © Heal11 GmbH)

Die Empfangskraft kann nun den Patienten Räume zuweisen, sodass diese über die Bildschirme des Leitsystems mit ihrer Zahlenkombination ausgerufen werden. Gleichzeitig sieht die Empfangskraft bei allen Räumen den aktuellen Status und hat eine extreme Arbeitserleichterung, da sie sich mehr um die Patienten kümmern kann und weniger administrative Tätigkeiten auszuüben hat.

Soll ein bereits bestehender Patient ein neues Rezept bekommen, ist der Prozess noch einfacher. Er checkt sich selbstständig am Check-in ein und wird dann visuell zum Therapiedesk geleitet. Dort wird das neue Rezept über den Tisch eingelesen und der Patient kann alles, wie bereits oben beschrieben, eigenständig bearbeiten. Bei Problemen oder Rückfragen kann die Empfangskraft dann immer noch hinzugezogen werden, ohne aber von vornherein diese in Anspruch zu nehmen.

Im Wartebereich als auch über alle anderen in der Praxis verfügbaren Bildschirme werden den Patienten wissenswerte Informationen, Aktionen und Zusatzleistungen vermittelt. Zudem besteht über die Stele die Möglichkeit, sich eigenständig tiefer über Zusatzleistungen zu informieren und diese auch direkt zu buchen, ohne dass hierfür die Empfangskraft eingebunden werden muss und ohne dass ein Therapeut mit dem Patienten ein Verkaufsgespräch führen muss.

Therapeut oder die Empfangskraft können nun, sobald der dafür vorgesehene Behandlungsraum fertig vorbereitet ist, den Kunden über seine individuelle Zahlenkombination in den Behandlungsraum beordern. In diesem Moment wird dem Patienten auf den Bildschirmen im Wartebereich die Zahlenkombination angezeigt und diese weist ihm somit den Weg.

Am Roomterminal des Behandlungsraumes ist die Zahlenkombination ebenso zu finden, außerdem ein Hinweis, dass der Patient eintreten kann. Sobald das Zimmer belegt ist, ist dies über das Roomterminal sowie in der Anzeige der Empfangskraft ersichtlich. Nach erfolgter Behandlung kann der Patient sich auch noch mal selbstständig empfohlene Zusatzbehandlungen dazubuchen oder Termine ausmachen, ohne die Zeit der Empfangskraft in Anspruch zu nehmen.

Perspektive der Digitalisierung

Welche Entwicklungen sich langfristig in der Branche etablieren könnten, berichtet Dominik Fogt, Mitgründer und Geschäftsführer von Heal11: „Wir werden in den nächsten Jahren viel Bewegung in Richtung der Digitalisierung sehen. Hierbei wird sich aber die Spreu vom Weizen trennen.

Ich glaube, wichtige Themengebiete werden Robotics, KI-basierte OCR-Systeme und administrative KI sein. Ersteres kennt man als klassischen Bot, welcher Standard-Tasks abarbeitet, und letzteres ist sozusagen die konsequente Weiterentwicklung, also eine selbstlernende Intelligenz. KI-basierte OCR sind Lesesysteme, welche intelligent Fehler erkennen oder aber auch Fehldrucke interpretieren können. Das wird essenziell bleiben bis zur finalen Etablierung des E-Rezepts und der Telematik-Infrastruktur.“

Bildquelle Header: © Aliaksandr Marko - stock.adobe.com, © Heal11 GmbH

Der Autor

  • Dominik Fogt

    Dominik Fogt ist Gründer der Heal11 GmbH und beschäftigt sich intensiv mit der Digitalisierung in Physiotherapiepraxen und Gesundheitseinrichtungen.

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