Forschung an den Muskeln

Intelligent statt intensiv bringt optimale Erfolge beim Kraftzuwachs

Professor Vincent Caiozzo ist Zellbiologe an University of California in Irvine. Er studiert Muskeln seit 30 Jahren. Der von der NASA gestützte Space Cycle ist der Gipfel seiner lebenslangen Forschung. "Die Übungen im Space-Cycle fühlen sich so an, als würden an jedem Atom des Körpers Hanteln hängen." Im Gegensatz zu vielen anderen Muskelforschern geht es Caiozzo um die Erhaltung der Muskelmasse, nicht der Steigerung. Er will bessere Wege finden, den Verlust der Muskelmasse durch Alterung, Krebs, Wirbelverletzungen oder im Weltall zu mindern. Aber selbst jene, die nur am Strand eine gute Figur machen wollen, können von dem Forscher lernen. Nutzen wir deren Wissen um die Muskelbiologie besser zu verstehen. Mithilfe dieses Wissens können wir unseren Körper schneller und einfacher denn je in Form bringen. Die Kunst besteht lediglich darin die Wissenschaft in das Training zu integrieren.

Forschungslabor Space Cycle
Das Space Cycle ist eine Tret-Zentrifuge und wird im Moment eingesetzt um Astronauten für Ihren Einsatz im Weltall vorzubereiten. Whärend der eine auf dem Fahrradtrainer sitzt, steht der andere in einem Käfig. Käfig und Heimtrainer hängen jeweils an einem Ende einer waagerecht aufgehängten Achse. Diese rotiert ähnlich wie das Rotorblatt eines Hubschraubers. Je schneller der Astronaut in die Pedale tritt, desto schneller bewegt sich der Käfig auf der anderen Seite. Nach Angaben von Caiozzo sind die Fliehkräfte bis zu sieben Mal größer als die Erdgravitation. Im Käfig kann der Astronaut Kniebeugen machen, bei denen Muskeln gegen diese erzeugte Schwerkraft antreten müssen. Mit diesem Trainingsgerät können die Astronauten im Weltall in wenigen Minuten ihr Kraft trainieren. Caiozzo weiß, dass er damit nicht den Kraftverlust in All nicht verhindern kann. Aber er kann mit dem Space Cycle den Reiz zur Kräftigung der Muskulatur auslösen, und das ohne Gewichte.

Forschungslabor Gym
Alwyn Cosgrove bezeichnet sich selbst nicht als Muskelforscher, aber er ist mittlerweile ein Experte auf dem Gebiet. Seit seiner Eröffnung seines Fitness-Studios, Results Fitness im Jahr 2000, sammelt er jedes Workout in einer Datenbank und überprüft dessen Wirkung. "Klienten bezahlen für die schnellsten Resultate", sagt er. "Um konkurrenzfähig zu sein, muss ich herausfinden, was am besten funktioniert." Im Unterschied zu kommerziellen Health Clubs, bietet Cosgrove´s Einrichtung in Santa Barbara den Kunden maßgeschneiderte Trainingspläne und individuelles Coaching. In einer normalen Woche kommt er auf 400 Trainingseinheiten und 20800mal Feedback pro Jahr. Genau dieser Umstand macht diese Einrichtung zu einem Forschungslabor und seine Klienten fungieren als menschlichen Ratten. Der Fitness-Experte schlägt die Verbindung zwischen der akademischen Forschung von Caiozzo mit der Übertragung dieser Erkenntnisse auf Übungen, Sätze und Wiederholungen. Das Ende von Cosgroves Experiment ist ein Muskelaufbauplan, welcher sich nicht nur im Fitness-Studio bewährt hat, sondern auch auf wissenschaftlichen Tatsachen beruht. Das 40-jährige Bodybuilding-Dogma wird grundsätzlich hinterfragt.

Muskelwissenschaft – Was steckt dahinter?
Die Biologie des Muskels ist gar nicht so harte Wissenschaft wie immer behauptet. Für den Sportler gilt es die Basis zu verstehen. Die Muskeln arbeiten nach dem S.A.E.N-Prinzip, ein Akronym für "Spezifische Adaption für eingegangene Nachfrage." Wenn ein Muskel gegen einen großen Widerstand kontrahiert, wird er größer und stärker, sagt Caiozzo. Hingegen antwortet der Muskel auf längerdauernde Kontraktionen mit erhöhter Resistenz gegen Erschöpfung. Diese Adaptionen sind die Vorkehrungen des Körpers um den Stress zu verringern. Alltägliche Dinge wie Laufen oder Treppensteigen bereiten uns wenig Mühe.

Bauen wir das S.A.E.N-Prinzip in das Training ein. Beim Hanteltraining entstehen feine Risse in den Muskelfasern. Diese begünstigen die Muskelprotein-Synthese. Mit Aminosäuren werden Zellen repariert, verstärkt und resistenter gegen zukünftige Beschädigungen. Obwohl diese Vorgänge nur unter dem Mikroskop sichtbar sind, wird dieser Effekt nach einiger Zeit auch für das Auge sichtbar. Breitere Schultern, größere Arme oder dickere Brustmuskeln entstehen durch diesen Prozess.

Dieser Prozess wird ständig untersucht um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Unzählige Studien der University of Texas Medical Branch in Galveston haben herausgefunden, dass Muskelprotein-Synthese bis zu 48 Stunden nach einem Krafttraining erhöht ist. Ein Kraftraining am Montag früh um 8 Uhr ist nach den Forschungsergebnissen erst am Mittwoch um 8 bzw. 9 Uhr abgeschlossen.
Dieser Fakt unterstützt auch Cosgroves erste Behauptung: "Drei mal Ganzkörperkrafttraining ist der effektivste Weg um Muskelmasse zu gewinnen." Der Gegensatz dazu ist ein Training, bei der der Körper in spezielle Segmente aufgeteilt wird und diese an verschiedenen Tagen isoliert trainiert werden. Beispielsweise wird die Brust am Montag, der Rücken am Dienstag und die Beine am Mittwoch trainiert. Mit diesem System werden die einzelnen Muskelgruppen aber nur einmal pro Woche beansprucht. Mit dreimaligen Training pro Woche arbeiten beispielsweise die Brustmuskel, Beinmuskeln, Rückenmuskeln 144 Stunden in der Woche, während sie beim selektiven Training nur 48 Stunden pro Woche wachsen.

Verbindungen
Aus anatomischer Sicht kann man die Muskeln nicht isoliert betrachten. Die Ursache dafür liegt im Aufbau. Die Muskelfasern sind umschlossen von einer Membran, welche als Faszien bezeichnet werden. Sie dienen auch der Befestigung der Muskeln an den Knochen und mit anderen Muskeln. Diese Faszien schaffen eine funktionelle Beziehung zwischen scheinbar separaten Muskelgruppen. "Sogar eine kleine Bewegung vom Oberarm löst ein kompliziertes Netzwerk von Muskeln von der Schulter bis zur Hüfte", sagt Bill Hartman, Konditions- und Krafttrainer sowie Physiotherapeut. Der Latissimus dorsi, der großer Rückenmuskel, verbindet Oberarmmuskel, Schulterblatt, Wirbelsäule und die thoracolumbare Faszie miteinander. Sie besteht aus einer starken Schicht von collagenen Strukturen, welche an den Muskeln der Wirbel und Becken ihren Ursprung hat. Die Gesäßmuskeln und hinteren Hüftmuskeln stehen im direkten Kontakt mit dem Becken.

"Das Training nach Körperpartien aufzuteilen ist unlogisch", sagt Cosgrove. Wird intensives TeilkörpertTraining generell an aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt, so behindert es den natürlichen Erholungsprozess. "Die Nährstoffe, welche der Körper dringend für die Reparaturarbeiten vom vorherigen Tag benötigt, werden für das aktuelle Training zur Verfügung gestellt", so der Ernährungswissenschaftler Dr. Jeff Volek von der University von Connecticut. Die Muskeln wachsen am besten, wenn die Muskeln und sich der gesamte Körper erholt. Auf diesem Prinzip basiert auch die Philosophie des Ganzkörpertrainings.

Ein neues Rezept
Bodybuilder argumentieren, dass Ganzkörpertraining die einzelnen Muskeln zu wenig beansprucht. Ein typisches Brusttraining eines Bodybuilders dauert 30 Minuten oder länger. Für ein adäquates Training müsse man mehrere Stunden hart im Kraftraum trainieren, so die gängige Meinung der Bodybuilder, basierend auf den Empfehlungen der meisten Profis. Wobei man nicht vergessen darf, dass deren Körper nicht natürlich ausschaut und deren Erfolge mit keinem dieser Konzepte erreicht werden können, weil die physiologischen Gesetze mit biochemischen Mitteln ausgeschaltet werden. Cosgrove bietet einen anderen Trainingsweg. Er empfiehlt vier Übungen mit dreiSätzen, das ergibt zwölf Sätze pro Woche. Nun liegt die Entscheidung bei jedem einzelnen, ob er zwölf Sätze an einem Tag trainieren oder auf drei Tage verteilt trainieren möchte. Die Intervalle haben sich in unzähligen Versuchen als erfolgreicher herausgestellt. Eine Studie der University of Alabama verglich die Wirkungsweise von einmaligen und dreimaligen Ganzkörpertraining über drei Monate. Beide Gruppen absolvierten gleich viele Sätze pro Woche. Das Resultat: Die Gruppe mit dreimaligem Training gewann in diesem Zeitraum 4,5 Kilogramm Masse, während die andere Gruppe nur um 2 Kilogramm zunahm.

Um noch mehr Zeit zu sparen, verwendet Cosgrove Supersätze. Wenn möglich paart er Übungen, welche die Gegenspieler der vorherigen Übung anspricht und somit erlaubt es ihm die Erholungszeit zwischen den Sätzen zu reduzieren. Dieses Konzept basiert auf Sir Charles Scott Sherrington wissenschaftlichen Errungenschaften, welcher den Nobelpreis 1932 für seine außergewöhnlichen Entdeckungen in Physiologie und Neurowissenschaft verliehen wurde. Sherringtons Gesetz der reziproken Innervation besagt, dass jede neuronale Aktivierung eines Muskels mit einer Hemmung des Gegenspielers einhergeht. Das bedeutet, wenn man die Brust trainiert, entspannen die Rückenmuskeln  und Erholung ist nichts anderes.

Daraus ergibt sich, dass man nach dem Bankdrücken anstatt einer zweiminütigen Pause schon nach der Hälfte mit Körperrudern fortfahren können. Nach der Beendigung dieses Satzes sollte man den Satz erneut wiederholen. Durch diieses Vorgehen lassen sich acht bis zehn Minuten pro Trainingseinheit einsparen, ohne Qualitätsverlust, stellt Cosgrove fest.

Ein weiteres Puzzleteil für Muskelwachstum fand Alwyn durch die Analyse tausender Trainingsprotokolle. Cosgrove entwickelte die Volumen-Schwellen-Theorie. "Es scheint, dass das Wachstum eines Muskels erst nach 90 bis 120 Sekunden vollständiger Spannung stattfindet. Sagen wir eine komplette Wiederholung dauert fünf Sekunden. Für einen Satz mit acht Wiederholungen setzen wir die Muskeln 40 Sekunden unter Spannung. Nach Cosgroves Theorie, sind lediglich drei Sätze nötig, um die 120 Sekunden zu erreichen. Aber man kann das Ziel auch erreichen in dem man zwei Sätze á zwölf Wiederholungen trainiert, oder vier Sätze mit fünf Wiederholungen.

Jedoch ist es eine Theorie und sollte auch so behandelt werden, genau so sieht es auch der Entwickler. Menschliche Studien sind in diesem Bereich bisher noch nicht vergleichbar genug hinsichtlich der Variabilität der Sätze, Wiederholungsumfang und bezüglich der Muskelspannung.

Forschung Muskelwachstum
Manche Männer gewinnen schneller und leichter Muskeln als andere. Zudem werden manche massiger als der Rest, obwohl sie vergleichbar trainieren. Genau aus diesem Grund werden Ratten in der Forschung bevorzugt, da sie in Gegensatz zum Menschen homogenere Lebewesen sind. Sie weichen kaum voneinander ab und genau dies erlaubt es den Wissenschaftlern genauere Schlüsse über Enzyme, Stoffwechselvorgänge und Gene, welche das Muskelwachstum regulieren.

Natürlich sind Laborratten keine Sportler. Deshalb entwickelte der Forscher Caiozzo 1992 einen Trainingsapparat für Ratten. Das Gerät ähnelt dem im Fitness-Studio bekannten Beinstrecker. Da die Ratten nicht das tun was die Forscher ihnen sagten, mussten Forscher sich etwas überlegen und sie fanden eine intelligente Lösung. Sie implantierten den Ratten ein Edelstahldraht in den Wadenmuskel (Gastrocnemius) und zogen diesen unter der Haut über das Bein bis zum Kopf, wo zwei schmale Schräubchen eingesetzt wurden um die Ratten auch manuell zu stimulieren. Die Wissenschaftler waren in der Lage, mit einem kleinen elektrischen Schlag eine maximale Kontraktion auszulösen. Mit diesem Experiment konnten sie ein menschliches Krafttraining nachahmen.

Die Ratten trainierten vier Sätze mit zehn Wiederholungen. Jede dauerte zwei Sekunden mit einer Spannungszeit von 80 Sekunden. Nach acht Wochen konnte bei dieser Gruppe immer noch kein Wachstum festgestellt werden. Nun gab es zwei Möglichkeiten: Entweder funktionierte das Trainingsgerät nicht oder die Trainingsdauer war zu kurz. Die Forscher entschieden sich den Versuch zu verändern. Sie erhöhten bis auf vier Sekunden Spannung pro Wiederholung und damit verdoppelte sich die gesamte Spannungszeit auf 160 Sekunden. Die Ergebnisse waren beeindruckend. Innerhalb von vier Wochen nahmen die Ratten signifikant Masse zu.

Sicherlich entspricht dieses Experiment nicht genau der Volumen-Schwellen-Theorie, aber es ist ein biologischer Beweis für eine gewisse Reizdauer. Es scheint das seine Schlüsse einfach der Zeit vorausgehen. Die Zukunft wird zeigen, das seine Schlussfolgerungen wissenschaftlich belegt werden. Der Erfolg gibt ihm bereits jetzt recht.

Wiederholungsumfang
Ein weitverbreitetes amerikanisches Bodybuilding-Sprichwort lautet "Go heavy or go home". Ein Sprichwort welches hinterfragt werden sollte. Entscheidend für die Auswahl des Gewichts ist lediglich das Ziel des Trainings. Denn es gibt unterschiedliche Wege des Muskelwachstums. Der erste Weg, wenn die Myofibrillen, einzelne Teile der Muskelfasern in Anzahl und Dichte zunehmen. Dieser Weg wird erreicht durch hohe Intensität bei wenigen Wiederholungen zwischen 1 bis 7. Ein anderer Weg des Muskelwachstums ist dann, wenn die Muskeln über einen längeren Zeitraum kontrahieren. Typischerweise wird bei dieser Methode mit geringen Gewichten gearbeitet und bei 12 bis 15 Wiederholungen trainiert. Dies führt zu einer verbesserten Energieversorgung im Muskel und damit ist auch das verstärkte Muskelwachstum zu erklären. Jedoch wird man mit dieser Methode auf Dauer nicht viel stärker. Daher empfiehlt Cosgrove eine Mischung aus beiden Methoden mit etwas geringeren Intensitäten. Zum Beispiel montags fünf Wiederholungen pro Übung, mittwochs 15 und am Freitag 10 pro Übung. "Es ist nicht nur die Intensität verantwortlich für mehr Wachstum, aber es vermeidet die Stagnation auf einem Plateau", sagt Cosgrove. Tatsächlich gibt es für seine Meinung auch Beweise. Im Jahr 2002 haben Forscher der Arizona State University den Unterschied zwischen ballistischem und traditionellem Krafttraining untersucht. Beide Gruppen trainierten drei Mal pro Woche, wobei die ballistische Gruppe mit verschiedenen Wiederholungszahlen trainierten.

Studienergebnis
Die Studie ergab, dass die Männer mit ballistischem Training ungefähr doppelt so viel Kraftzuwachs verzeichnen konnten als die Trainierenden mit herkömmlichem Training. Auch die Kraftexperten Fleck und Kraemer konnten ähnliche Ergebnisse mit ballistischem Training erreichen. Kommen wir zurück zum Space Cycle. Klar wird es im Moment noch nicht vermeidbar sein, dass die Astronauten Kraft lassen im Weltall, aber das Space Cycle lässt den Kraftverlust deutlich kleiner werden und das mit nur wenigen Minuten Training pro Tag. Dieses Beispiel zeigt wieder, dass effektives Training nicht zwangsläufig durch riesige Umfänge oder immense Intensitäten gekennzeichnet ist. Sondern durch Intelligenz. Die meisten von uns verbringen 18 Stunden am Tag sitzend. Sei es auf dem Stuhl im Arbeitszimmer, auf dem Sessel oder dem Sofa vor dem Fernseher. Daher haben wir sehr viel gemeinsam mit den Astronauten als wir denken.

Das Space-Cycle der University of Irving.

Der Autor

  • Constantin Wilser

    Constantin Wilser ist seit 2006 in der Fitnessbranche als Redakteur tätig. Davor absolvierte er sein Bachelor-Studium der Sportwissenschaften am KIT in Karlsruhe. Seit 2019 ist er Bestandteil des BODYMEDIA-Redaktionsteams. Seit Anfang 2023 ist er Chefredakteur. In seiner Freizeit trainiert der Fußball-Fan gerne im Studio, geht laufen oder fiebert im Fußball-Stadion mit.